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Insolvenz - Arbeitsverhältnis

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 Normen 

§ 55 InsO

§ 38 InsO

 Information 

1. Allgemein

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers hat zunächst keine Auswirkungen auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses: Der Insolvenzverwalter übernimmt die Rechte und Pflichten des Arbeitgebers.

2. Gehaltsansprüche

2.1 Einteilung

Für die Gehaltsansprüche der Arbeitnehmer gilt Folgendes:

2.2 Insolvenzgeld

Das Insolvenzgeld erfasst grundsätzlich alle Ansprüche auf Bezüge aus dem Arbeitsverhältnis während der dem Ereignis nach § 165 SGB III vorausgehenden drei Monate.

Keine Voraussetzung des Insolvenzgeldes ist es, dass das Arbeitsverhältnis zum Insolvenzzeitpunkt noch bestanden hat. Ausreichend ist es, wenn das Arbeitsverhältnis höchstens ca. sechs Monate vor dem Insolvenzereignis beendet wurde und der Arbeitnehmer aus dieser Zeit noch einen Anspruch auf Arbeitsentgelt hat, der dann bei Vorliegen der Voraussetzungen für höchstens drei Monate als Insolvenzgeld gezahlt wird.

Zu den Ansprüchen auf Arbeitsentgelt gehört grundsätzlich auch das Urlaubsgeld (d.h. die zusätzliche Vergütung). Zur Beantwortung der Frage, ob das Urlaubsgeld bei der Berechnung des Insolvenzgeldes zu berücksichtigen ist, hat das Bundessozialgericht mit der Entscheidung BSG 23.03.2006 – B 11a AL 65/05 folgende Grundsätze aufgestellt:

Für die Zuordnung des Urlaubsgeldes zum Insolvenzgeld-Zeitraum kommt es entsprechend der Formulierung des Gesetzes darauf an, wann das Arbeitsentgelt erarbeitet worden ist. Ausschlaggebend sind insoweit der arbeitsrechtliche Entstehungsgrund und die Zweckbestimmung der Leistung:

  • Grundsätzlich ist das Urlaubsgeld nur zu zahlen, wenn tatsächlich Urlaub gewährt wird und ein Anspruch auf Urlaubsvergütung besteht. In diesem Fall ist das Urlaubsgeld auch insolvenzgeldrechtlich nur zu berücksichtigen, soweit es für die Zeit der Urlaubstage in den letzten drei Monaten vor dem Insolvenzereignis vom Arbeitgeber zu zahlen gewesen wäre.

  • Wird das zusätzliche Urlaubsgeld dagegen urlaubsunabhängig gezahlt (z.B. im Juli), ist es wie jede andere jährliche Sonderzahlung außerhalb des laufenden Arbeitsentgelts (z.B. Weihnachtsgeld etc.) nur dann berücksichtigungsfähig, wenn es sich ganz oder anteilig den dem Insolvenzereignis vorausgehenden drei Monaten zuordnen lässt.

    Arbeitsvertragliche Vereinbarungen bzw. Regelungen, die bei vorherigem Ausscheiden des Arbeitnehmers einen zeitanteiligen Anspruch vorsehen, begründen dementsprechend einen Insolvenzgeld-Anspruch in Höhe des auf den Insolvenzgeld-Zeitraum entfallenden Anteils.

  • Lässt sich die Sonderzahlung nicht in dieser Weise einzelnen Monaten zurechnen, ist sie in voller Höhe bei dem Insolvenzgeld zu berücksichtigen, wenn sie im Insolvenzgeld-Zeitraum zu einem Stichtag im Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmern hätte ausgezahlt werden müssen.

Das Insolvenzgeld ist gemäß § 324 Abs. 3 SGB III innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis zu beantragen.

Der Geschäftsführer einer GmbH, dem eine Insolvenzverschleppung vorzuwerfen ist, kann der Arbeitsagentur für Vermögensschäden aus § 826 BGB (Zahlung des Insolvenzgeldes) haften, wenn der Geschäftsführer gegen seine Verpflichtung verstoßen hat, den Insolvenzantrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. der Überschuldung zu stellen (BGH 18.12.2007 – VI ZR 231/06).

Finanzierung:

Die Mittel für die Zahlung des Insolvenzgeldes werden gemäß § 358 SGB III durch eine monatliche Umlage von den Arbeitgebern aufgebracht. Der Umlagesatz ist grundsätzlich in § 360 SGB III festgeschrieben. Durch eine Rechtsverordnung kann aber gemäß § 361 SGB III jeweils für ein Kalenderjahr ein abweichender Umlagesatz erhoben werden. Dies ist für das Jahr 2024 mit der

»Verordnung zur Festsetzung des Umlagesatzes für das Insolvenzgeld für das Kalenderjahr 2024 (Insolvenzgeldumlagesatzverordnung 2024 - InsoGeldFestV 2024)« geschehen.

2.3 Gehaltsansprüche als Masseverbindlichkeiten

Grundsätzlich sind Masseverbindlichkeiten vorab zu befriedigen. Da die Insolvenzeröffnung nur die voraussichtliche Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens voraussetzt, kommt es in den folgenden Fällen nicht zur bevorzugten Zahlung der noch ausstehenden, nach der Insolvenzeröffnung entstandenen Gehaltsansprüche:

Die Durchsetzung der Masseforderung unterliegt keinen Besonderheiten, tarifliche sowie vertragliche Ausschlussfristen sind zu beachten. Im Falle der gerichtlichen Geltendmachung ist die Klage gegen den Insolvenzverwalter als Partei kraft Amtes zu erheben:

Beispiel:

»Rechtsanwältin Baum als Insolvenzverwalterin über das Vermögen der XY GmbH - Beklagte.«

2.4 Insolvenzanfechtung

Während der wirtschaftlichen Krise vorgenommene Vermögensverschiebungen können rückgängig gemacht werden. Dies gilt grundsätzlich auch für Ansprüche von Arbeitnehmern wegen rückständiger Arbeitsvergütung. Gemäß §§ 142, 133 InsO ist eine Anfechtung jedoch nicht möglich, wenn ein sogenanntes Bargeschäft vorliegt.

Unter dem Gesichtspunkt des Bargeschäfts werden Leistungen der Anfechtung entzogen, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in das Schuldnervermögen gelangt ist. Leistung und Gegenleistung müssen beim Bargeschäft zwar nicht Zug um Zug erbracht werden. Allerdings setzt das in der Vorschrift enthaltene Tatbestandsmerkmal »unmittelbar« voraus, dass Leistung und Gegenleistung in einem engen zeitlichen Zusammenhang ausgetauscht werden. Dieser Ausnahmeregelung liegt der wirtschaftliche Gesichtspunkt zugrunde, dass ein Schuldner, der sich in der Krise befindet, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen würde, wenn selbst die von ihm abgeschlossenen wertäquivalenten Bargeschäfte der Anfechtung unterlägen. In diesem Fall findet wegen des ausgleichenden Vermögenswertes keine Vermögensverschiebung zulasten des Schuldners, sondern eine bloße Vermögensumschichtung statt.

Mit der zum 05.04.2017 in Kraft getretenen Neufassung des §§ 142 InsO wurde Klarheit in der Frage geschaffen, binnen welchen Zeitraums verspätet ausgezahltes Arbeitsentgelt noch vom Bargeschäftsprivileg erfasst ist:

Absatz 2 Satz 2 stellt klar, dass bei Zahlungen von Arbeitsentgelt in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BAG (BAG 06.10.2011 – 6 AZR 262/10, BGH 10.07.2014 – IX ZR 192/13) ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben ist, wenn der Zeitraum zwischen Arbeitsleistung und Gewährung von Arbeitsentgelt drei Monate nicht übersteigt. Der Begriff »Arbeitsentgelt« ist im sozialversicherungsrechtlichen Sinn zu verstehen (vgl. § 14 Absatz 1 Satz 1 SGB IV). Er umfasst daher alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer abhängigen Beschäftigung, somit auch Fälle der Entgeltfortzahlung etwa bei Krankheit oder Urlaub. Die gesetzliche Klarstellung soll die Rechtssicherheit für Arbeitnehmer erhöhen und ihr Vertrauen darin stärken, dass sie Arbeitsentgelt, das sie spätestens drei Monate nach der Arbeitsleistung erhalten haben, auch behalten dürfen.

3. Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Das Arbeitsverhältnis kann gemäß § 113 InsO sowohl von dem Insolvenzverwalter als auch von der anderen Vertragspartei mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden, es sei denn es besteht (vertraglich, tariflich etc.) eine kürzere Kündigungsfrist. Dies gilt auch für befristete Arbeitsverträge! Nach der Entscheidung BAG 23.02.2017 – 6 AZR 665/15 beginnt »die Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO mit dem Zugang der Kündigungserklärung.«

Die Kündigung unterliegt bei Vorliegen der Voraussetzungen jedoch ansonsten den Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes, d.h. der Kündigungsschutz bleibt dem Arbeitnehmer grundsätzlich erhalten. Die Sozialauswahl kann gemäß § 125 InsO beschränkt sein.

Beispiel:

Das Bundesarbeitsgericht hat mit dem Urteil BAG 28.06.2012 – 6 AZR 682/10 die Frage entschieden, dass die Betriebsparteien bei der einem Interessenausgleich mit Namensliste zugrunde liegenden Sozialauswahl die Berücksichtigung von Unterhaltspflichten gegenüber Kindern von deren Eintragung in die Lohnsteuerkarte abhängig machen dürfen und damit bewusst alle anderen gegenüber Kindern bestehenden Unterhaltspflichten ausblenden können.

Der Insolvenzverwalter hat darüber hinaus alle bei der Kündigung bestehenden allgemeinen Zustimmungs-, Anhörungs- oder Anzeigeerfordernisse zu beachten.

Die Kündigung muss die für eine sonstige Kündigung im Arbeitsrecht notwendigen Formvorschriften etc. beachten. So muss sie z.B. schriftlich ausgesprochen werden. Kündigungsberechtigt ist nur der Insolvenzverwalter. Vor der Insolvenzeröffnung zur Kündigung befugte Mitarbeiter sind ohne eine gesonderte Vollmacht des Insolvenzverwalters nicht mehr kündigungsbefugt.

Ein bestehender Sonderkündigungsschutz ist auch bei einer Kündigung gemäß § 113 InsO zu beachten.

Besteht für das Arbeitsverhältnis eine längere als eine dreimonatige Kündigungsfrist, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Schadensersatz u.a. für den entgangenen Gehaltsanspruch. Der Schadensersatzanspruch hat jedoch nur den Rang einer einfachen Insolvenzforderung.

»§ 113 InsO findet auf Kündigungen vor Dienstantritt Anwendung« (BAG 23.02.2017 – 6 AZR 665/15).

4. Abfindungsanspruch

Der in einem Prozessvergleich zum Abschluss eines Kündigungsschutzprozesses während des laufenden Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner erworbene Anspruch auf Zahlung einer Abfindung unterfällt als Neuerwerb dem Insolvenzbeschlag. Der Insolvenzverwalter ist insoweit Rechtsnachfolger des Insolvenzschuldners und kann eine Umschreibung des Titels und die Erteilung der Vollstreckungsklausel zu seinen Gunsten verlangen (BAG 12.08.2014 – 10 AZB 8/14).

 Siehe auch 

Altersteilzeit

Insolvenz

Insolvenzgläubiger

Insolvenzverwalter

Massegläubiger

BGH 21.04.2010 – IV ZR 308/07 (Insolvenzgeld und Feuerbetriebsunterbrechungsversicherung)

BGH 13.10.2009 – VI ZR 288/08 (Rückgriff auf den Geschäftsführer)

BAG 27.10.2004 – 10 AZR 123/04 (Insolvenzanfechtung der Gehaltszahlung nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens)

Huber: Insolvenzanfechtung rückständiger Lohnzahlungen an Arbeitnehmer; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2009, 1928

Jacobs: Rechtsweg bei Anfechtungsklage des Insolvenzverwalters gegen Arbeitnehmer des Insolvenzschuldners; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2009,

Krieger/Fischinger: Umstrukturierung mit Hilfe von Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2007, 2289

Laws: Die Haftung des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit (gescheiterten) Anträgen auf Gewährung von Insolvenzgeld; Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht – ZInsO 2009, 57

Louven: Insolvenzgeld bei Unternehmensinsolvenzen. Eine systematische Übersicht mit Praxisempfehlungen; Neue Wirtschafts-Briefe – NWB 2005, 713

Rohlfing: Die insolvenzanfechtungsrechtliche Fiktionswirkung des § 28e I 2 SGB IV; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2009, 3407

Wroblewski: »Recht auf Arbeit« in der Insolvenz. Freistellung, Beschäftigung und die Folgen; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2011, 347

Wroblewski: Bargeschäftseinwand gegen Lohnanfechtung; Neue Juristische Wochenschrift – NJW 2012, 894