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Ergänzungspflegschaft

 Normen 

§ 1809 BGB

BT-Drs. 19/24445 (zu der am 01.01.2023 in Kraft getretenen Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts)

 Information 

1. Ergänzungspflegschaft

Für einen Minderjährigen ist gemäß § 1809 BGB ein Ergänzungspfleger zu bestellen, wenn seine Eltern oder sein Vormund aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen an der Wahrnehmung bestimmter Angelegenheiten verhindert sind.

Der Pfleger hat gemäß § 1809 BGB die Pflicht und das Recht, die ihm übertragenen Angelegenheiten im Interesse des Pfleglings zu dessen Wohl zu besorgen und diesen zu vertreten.

Beispiel:

"Der Vater und die Mutter können nach Abs. 1 Nr. 1 dieser Vorschrift das Kind bei einem Rechtsgeschäft zwischen dem Ehegatten des Vaters oder der Mutter oder einem ihrer Verwandten in gerader Linie einerseits und dem Kind andererseits nicht vertreten, es sei denn, dass das Rechtsgeschäft ausschließlich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht. Letzteres ist dann gegeben, wenn der schuldrechtliche Schenkungsvertrag rechtswirksam ist, weil dann durch die Auflassung ausschließlich eine Verbindlichkeit erfüllt wird (...). Eine rechtswirksame schuldrechtliche Vereinbarung bei Vertretung eines geschäftsunfähigen Minderjährigen durch die Eltern liegt allerdings nur dann vor, wenn das Rechtsgeschäft für den Minderjährigen lediglich rechtlich vorteilhaft ist. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs greift das Vertretungsverbot des § 1795 Abs. 1 Nr. 1 BGB bei Vorliegen dieser Voraussetzung nicht" (OLG München, 29.04.2020 - 34 Wx 341/18).

Beispiel:

Hat das Kind bisher bei der alleinsorgeberechtigten Mutter gelebt und ist dann zum (nicht sorgeberechtigten) Vater gewechselt und klagt dieser nun auf Unterhalt gegen die Kindesmutter, so muss für die Vertretung des Kindes in dem Unterhaltsprozess zur Vermeidung eines Insichprozesses der Mutter eine Ergänzungspflegschaft bestellt werden (OLG Koblenz 03.07.2006 - 11 UF 164/06).

Beispiel:

Der durch Verfügung von Todes wegen angeordnete Ausschluss der elterlichen Vermögensverwaltung für vom Kind ererbtes Vermögen umfasst auch die Befugnis zur Ausschlagung der Erbschaft. Die in einem solchen Fall von einem ausgeschlossenen Elternteil im Namen des Kindes erklärte Ausschlagung ist mangels Vertretungsmacht unwirksam (BGH 29.06.2016 - XII ZB 300/15).

Beispiel - kein Erfordernis einer Ergänzungspflegschaft:

Hat der Erblasser seinen Sohn und dessen minderjährige Kinder als Erben eingesetzt und seinen Sohn zudem als Testamentsvollstrecker bestimmt, so erfordert diese Konstellation keinen Ergänzungspfleger (OLG München 03.06.2022 - 2 WF 232/22):

"Die Voraussetzungen für eine Ergänzungspflegschaft nach § 1909 BGB liegen nicht vor, da jedenfalls der Vater der Kinder B. und T. an der Vermögenssorge für die Minderjährigen nicht gehindert ist. Das Gesetz sieht die Eltern als die natürlichen Verwalter der Vermögensinteressen ihrer minderjährigen Kinder an. Die Bestellung eines Ergänzungspflegers allein zur Prüfung, ob der gesetzliche Vertreter die Rechte des Kindes pflichtgemäß wahrnimmt oder ob es etwa im Interesse des Kindes nötig sein könne, gegen ihn vorzugehen, findet im Gesetz keine Stütze. Vielmehr muss ein Interessenwiderstreit im konkreten Fall auftreten und die Befürchtung rechtfertigen, der Vertreter könnte aus Eigennutz die von ihm wahrzunehmenden Belange des Kindes vernachlässigen. Der Umstand, dass der gesetzliche Vertreter in einer Person auch die Aufgaben als Testamentsvollstrecker über den vom Minderjährigen ererbten Nachlass wahrnimmt bzw. als Miterbe in einer Erbengemeinschaft mit seinen Kinder ist erfordert ohne konkreten Anlass nicht die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft."

Zuständiges Gericht:

Zuständig für die Ergänzungspflegschaft ist das Familiengericht. Die Frage, welches Gericht zuständig ist, wenn sowohl das Rechtsgeschäft genehmigungsbedürftig ist als auch zur Vertretung des Kindes ein Ergänzungspfleger zu bestellen ist, wurde durch den BGH in dem Beschluss vom 25.11.2004 - V ZB 13/04 ausdrücklich nicht entschieden.

2. Abgrenzung: Familiengerichtliche Genehmigung

Die Bestellung eines Ergänzungspflegers ist abzugrenzen von der familiengerichtlichen Genehmigung.

 Siehe auch 

Einbenennung

Familiengerichtliche Genehmigung

Feststellung der Vaterschaft

Kindesunterhalt

Kindeswohl

Pflegekind

Sorgerecht

Verfahrensbeistand

Bestelmeyer: Die unsinnige (Nicht-)Zuständigkeit des Familiengerichts für die Anordnung von Ergänzungspflegschaften; Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ 2000, 1068

Jänicke/Braun: Vertretungsausschluss bei rechtlich nachteiligen Verfügungen zu Gunsten Minderjähriger; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2013, 2474

Regler: KindRG und Ergänzungspflegschaft. Zuständigkeitsprobleme, elterliches Antrags-, Vorschlags- und Beschwerderecht; Der Deutsche Rechtspfleger - Rpfleger 2000, 305

Servatius: Die gerichtliche Genehmigung von Eltern-Kind-Geschäften; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2006, 335

Thonemann: Ergänzungspflegschaft und familien-/vormundschaftsgerichtliche Genehmigung bei vorweggenommener Erbfolge - Umsetzungsfragen; Der Erbschaft-Steuer-Berater - ErbStB 2008, 29

Wertenbruch: Familiengerichtliche Genehmigung für Grundstücksveräußerung durch GbR mit minderjährigem Gesellschafter?; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 2150

Weinbrenner: Ergänzungspflegschaft und vormundschafts- / familiengerichtliche Genehmigung bei der Schenkung von KG-Gesellschaftsanteilen an Minderjährige; Familie - Partnerschaft - Recht - FPR 2009, 265