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Eigentum - enteignungsgleicher Eingriff

 Normen 

Gesetzlich nicht geregelt.

 Information 

1. Allgemein

Ein enteignungsgleicher Eingriff erfasst Beeinträchtigungen des Eigentums durch rechtswidrige hoheitliche Maßnahmen (Rechtsakte wie Realakte).

Der enteignungsgleiche Eingriff ist ein Rechtsinstitut des Staatshaftungsrechts.

Beispiele:

Durch nicht ordnungsgemäß durchgeführte Kanalisationsarbeiten wird ein Haus beschädigt.

Durch eine rechtswidrige Verzögerung der Eintragung von Auflassungsvormerkungen im Grundbuch wird die beabsichtigte Veräußerung von Eigentumswohnungen zeitweilig verhindert (BGH 11.01.2007 - III ZR 302/05).

Durch unsachgemäße Bauarbeiten tritt eine zeitweilige Gebrauchsstörung eines Grundstücks ein, was zu einem Verlust an Mieteinnahmen führt, da die Mieter die Miete mindern (OLG Düsseldorf 24.02.1994 - 18 U 135/93).

Durch eine rechtswidrige Versagung einer Teilungsgenehmigung wird die Teilveräußerung eines Grundstücks zu Bauzwecken verhindert bzw. verzögert (BGH 23.01.1997 - III ZR 234/95).

Beim enteignungsgleichen Eingriff handelt es sich nicht etwa - wie der insoweit missverständliche Wortlaut "enteignungsgleich" vermuten lässt - um eine Enteignung, sondern um einen Anwendungsfall des gewohnheitsrechtlich geltenden Aufopferungsgrundsatzes.

Maßgebliche Rechtswegregelung ist daher § 40 Abs. 2 S. 1 VwGO und nicht Art. 14 Abs. 3 S. 4 GG.

2. Anspruchsvoraussetzungen

Der Anspruch setzt voraus, dass von hoher Hand in eine durch Art. 14 GG (eigentumsmäßig) geschützte Rechtsposition unmittelbar eingegriffen wird, dass also die rechtswidrige hoheitliche Maßnahme unmittelbar eine Beeinträchtigung des Eigentums (Eigentumsschutz) herbeiführt und dem Betroffenen dadurch ein besonderes, anderen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt wird (BGH 13.07.2000 - III ZR 131/99).

Es kommt nicht darauf an, ob die Maßnahme gewollt oder gezielt auf den geschützten Gegenstand eingewirkt hat, jedoch muss eine unmittelbare Einwirkung vorliegen und sich eine in der Maßnahme selbst angelegte Gefahr verwirklichen (BGHZ 125, 19).

Der Schaden darf nicht auf andere Weise abgewendet werden können. Es besteht keine Wahl, den Eingriff mit dem dafür vorgesehenen Rechtsmittel abzuwehren oder ihn hinzunehmen und stattdessen eine Entschädigung zu verlangen (Vorrang des Primärrechtsschutzes, vgl. BGH 26.01.1984 - III ZR 216/82, BGH 21.12.1989 - III ZR 132/88).

Hinweis:

Es ist folglich nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts unbedingt zu prüfen, ob der darin enthaltene Eingriff in das Eigentum rechtmäßig ist oder nicht. Wird z.B. die Einlegung des Widerspruchs gegen eine rechtswidrig versagte Baugenehmigung unterlassen, so kann im Regelfall eine Entschädigung für solche Nachteile nicht verlangt werden, die durch den Widerspruch hätten vermieden werden können.

Ferner ist - negative - Voraussetzung, dass die Eigentumsbeeinträchtigung nicht auf ein gegen Art. 14 Abs. 3 GG verstoßendes und damit verfassungswidriges (formelles) Gesetz zurückgeht. Hier verbleibt also dem Betroffenen nur die Möglichkeit, sich gegen die rechtswidrige Maßnahme zu wehren. Grund: Es muss der Gestaltungsentscheidung des Gesetzgebers überlassen bleiben, wie ein Entschädigungsproblem bei legislativem Unrecht zu lösen ist.

Hinweis:

Es gilt folglich der Grundsatz: Keine haftungsrechtliche Sanktion für legislatives Unrecht. Gehen die Eigentumsbeeinträchtigungen dagegen auf rechtswidrige untergesetzliche Rechtsnormen (Rechtsverordnungen, Satzungen) zurück, kommt eine Haftung der öffentlichen Hand unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs grundsätzlich in Betracht (vgl. die Entscheidungsgründe zu folgendem Urteil: BGH 07.06.1990 - III ZR 74/88).

Schließlich muss durch ein materiell-rechtswidriges Verwaltungshandeln in das Eigentums eingegriffen worden sein, wodurch für den Betroffenen ein "fühlbarer Nachteil" entstanden ist (BGHZ 134, 318). Reine Formfehler lösen demnach keinen Ersatzanspruch aus.

3. Anspruchskonkurrenz

Zwischen dem Amtshaftungsanspruch und einem auf demselben Tatsachenkomplex beruhenden Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff besteht eine Anspruchskonkurrenz. Unerheblich ist, ob der Kläger die Klage ausdrücklich auch auf enteignungsgleichen Eingriff stützt. Entscheidend ist vielmehr, ob sich auf der Grundlage des vorgetragenen Sachverhalts die begehrte Rechtsfolge zugleich aus enteignungsgleichem Eingriff herleiten lässt. Ist dies der Fall, so sind die Gerichte berechtigt und verpflichtet, den Prozessstoff auch unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt zu würdigen (BGH 11.01.2007 - III ZR 302/05).

4. Umfang der Entschädigung

Zu beachten ist, dass die Entschädigung im Sinne eines Lastenausgleichs als Kompensation für ein dem Betroffenen abverlangtes Sonderopfer bemessen wird, d.h. es wird eine angemessene Entschädigung zugesprochen, jedoch kein Schadensersatz, wonach der Geschädigte so zu stellen wäre, als wäre der schädigende Eingriff nicht vorgenommen worden.

 Siehe auch 

Aufopferungsanspruch - öffentlich-rechtlicher

Eigentum

Eigentum - enteignender Eingriff

Eigentumsschutz

Enteignung

BGH 22.09.2011 - III ZR 217/10 (Rechtswidriger Eingriff in den Zulassungsstatus einer Arztpraxis)

BGH 22.04.2004 - III ZR 108/03 (Überflutung des Grundstücks)

BGH 13.07.2000 - III ZR 131/99 (Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb als eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition)

BGH 25.02.1982 - III ZR 76/81

BGH 24.10.1985 - III ZR 21/85

Arnauid: Enteignender und enteignungsgleicher Eingriff heute; Verwaltungsarchiv - VerwArch 2002, 394

Lecheler: Enteignung zu Gunsten Privater beim Bau von Elektrizitätsfernleitungen; Recht der Energiewirtschaft - RdE 2005, 125

Schlick: Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen; Neue Juristische Zeitschrift - NJW 2016, 2715

Schoch: Die Haftungsinstitute des enteignungsgleichen und enteignenden Eingriffs im System des Staatshaftungsrechts, JURA 1989, 529

Theis: Rechtswidrige Ablehnung von Baugenehmigungsanträgen und enteignungsgleicher Eingriff; Kommunaljurist - KommJur 2006, 365