Rechtswörterbuch

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Beihilfenrecht

 Normen 

Art. 107 - 109 AEUV

 Information 

1. Einführung

1.1 Begriffsbestimmungen

Beihilfen sind eine Unterform der Subventionen. Als Subvention wird gemeinhin jede finanzielle oder geldwerte Zuwendung oder der Verzicht auf Einnahmen einer staatlichen oder vom Staat beeinflussten Stelle bezeichnet, für die der Begünstigte keine unmittelbare Gegenleistung erbringt.

Beihilfen sind die Wirtschaftssubventionen der EU und durch folgende Merkmale gekennzeichnet:

  • staatliche Mittel

  • keine Gegenleistung

  • selektive Begünstigung

  • Verfälschung des Wettbewerbs

  • (mögliche) Beeinträchtigung des Handels

Der Begriff der Beihilfe umfasst alle Formen einer Begünstigung / positiven Leistung (Geld- und Sachleistungen) sowie die Belastungsverminderung. Beihilfen müssen aus staatlichen Quellen stammen und ohne Gegenleistung erbracht werden:

Beispiel:

  • Zuschüsse

  • Befreiung / Privilegierung von Steuern und Abgaben

  • Zinszuschüsse

  • Kapitalbeteiligungen

  • Überlassung von Betriebsmitteln

  • Übernahmen von Bürgschaften

  • Verkauf von Grundstücken

  • Lieferung von Gütern oder Erbringung von Dienstleistungen unter Verkehrswert

1.2 Zu unterscheidende Rechtsbereiche

Im Beihilfenrecht der Europäischen Union müssen folgende Rechtsbereiche unterschieden werden:

2. Vorgaben der EU für nationale Beihilfen

2.1 Rechtsgrundlagen

Die europäischen Vorgaben für die Mitgliedsländer bei der Vergabe von Beihilfen sind in folgenden Rechtsgrundlagen geregelt:

In der Praxis ist das europäische Beihilferecht überwiegend in EU-Verordnungen geregelt, z.B. der VO 70/2001 über die Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen.

2.2 Inhalt der Vorgaben

Gemäß Art. 107 AEUV sind Beihilfen aufgrund der Unvereinbarkeit mit dem Binnenmarkt untersagt, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten beeinträchtigen.

Hinweis:

Beihilfen, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten nicht beeinträchtigen, sind grundsätzlich gemeinschaftsrechtlich zulässig.

Die Ausnahmen von diesem grundsätzlichen Verbot sind in den Art. 107 Absatz 2 und 3 AEUV aufgeführt:

  1. a)

    In Art. 107 Absatz 2 AEUV sind Beihilfen bestimmt, die immer zulässig sind. Dies sind:

    • Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher.

    • Beihilfen zur Beseitigung von Schäden durch Naturkatastrophen u.Ä.

    • Beihilfen für durch die Teilung Deutschlands betroffene Gebiete.

  2. b)

    Art. 107 Absatz 3 AEUV nennt Beihilfen, die nach der Entscheidung der Europäischen Kommission als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden können:

    • Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung in wirtschaftlich schwachen Gebieten.

    • Beihilfen zur Förderung von Vorhaben gemeinsamer europäischer Interessen oder zur Behebung einer beträchtlichen Wirtschaftsstörung eines Mitgliedsstaates.

    • Beihilfen zur Förderung gewisser Wirtschaftsbereiche.

    • Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes.

    • Sonstige Beihilfen, die der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Europäischen Kommission bestimmt.

    Es handelt sich dabei - abgesehen von der letzten Möglichkeit - um eine Ermessensentscheidung der Europäischen Kommission, d.h. sie kann innerhalb der infrage kommenden Entscheidungsalternativen eine eigene Auswahl treffen.

    Die Europäische Kommission hat insofern zur Eingrenzung ihres Ermessens bzw. zur Transparenz ihrer Entscheidungsgrundlagen in Verordnungen, Richtlinien etc. Kriterien zur Beurteilung der Zulässigkeit der Beihilfen erlassen. Der Geltungsbereich ist teilweise zeitlich begrenzt.

    Beispiel:

    • VO 800/2008 zur Erklärung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in Anwendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag (allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung)

    • Empfehlung der Kommission vom 06.05.2003 betreffend die Definition der KMU

    • VO 1/2004 über die Anwendung der Art. 87, 88 EGV auf staatliche Beihilfen für KMU-Unternehmen in der Landwirtschaft

    • VO 1595/2004 über die Anwendung der Art. 87, 88 EGV auf staatliche Beihilfen für KMU-Unternehmen in der Fischereiwirtschaft

    Als Gruppenfreistellungen werden Verordnungen bezeichnet, in denen Beihilfen für bestimmte Sektoren generell für zulässig erklärt werden.

2.3 Anmeldepflicht / Genehmigungspflicht der nationalen Beihilfengewährung

Jeder Mitgliedsstaat ist gemäß Art. 108 Absatz 3 AEUV vor der Einführung oder Umgestaltung einer Beihilfe verpflichtet, die Europäische Kommission rechtzeitig zu informieren. Mit der Gewährung der Beihilfen darf erst nach einer positiven Entscheidung begonnen werden.

Beispiel:

  • Entscheidung der Kommission vom 30. Juni 2004 über die Maßnahmen, die Italien zugunsten des Verlagswesens angemeldet hat

  • Entscheidung der Kommission vom 02.Juli 2002 über die Gewährung von Beihilfen an das Unternehmen Gonzales Y Diez durch die spanische Regierung

Die Voraussetzungen und die Durchführung des Genehmigungsverfahrens sind in der VO 659/1999 über die Voraussetzungen der Beihilfegewährung (Beihilfenverfahrensverordnung) sowie der VO 794/2004 über die Durchführung der Beihilfegewährung niedergelegt.

2.4 De-minimis-Beihilfen

Durch die Verordnung 994/98 wird die Kommission ermächtigt, einen Höchstbetrag (Schwellenwerte) festzusetzen, bis zu dem Beihilfen als Maßnahmen angesehen werden, die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Absatz 1 AEUV erfüllen und daher auch nicht dem Anmeldungsverfahren gemäß Art. 108 Absatz 3 AEUV unterliegen.

Seit dem 01.01.2014 gilt insofern die "VO 1407/2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen":

Die Gesamtsumme der einem Unternehmen gewährten De-minimis-Beihilfen darf gemäß Art. 2 Abs. 2 VO 1998/2006in einem Zeitraum von drei Steuerjahren 200.000,00 EUR nicht übersteigen. Der Gesamtbetrag der De-minimis-Beihilfe an ein Unternehmen, das im Bereich des Straßengüterverkehrs tätig ist, darf in einem Zeitraum von drei Steuerjahren 100.000,00 EUR nicht überschreiten. Diese Höchstbeträge gelten für De-minimis-Beihilfen gleich welcher Art und Zielsetzung und unabhängig davon, ob die von dem Mitgliedstaat gewährte Beihilfe ganz oder teilweise aus Gemeinschaftsmitteln finanziert wird. Der Zeitraum bestimmt sich nach den Steuerjahren, die für das Unternehmen in dem betreffenden Mitgliedstaat maßgebend sind.

Der Dreijahreszeitraum ist fließend, d.h. bei jeder Neubewilligung einer De-minimis-Beihilfe ist die Gesamtsumme der im laufenden Steuerjahr sowie in den vorangegangenen zwei Steuerjahren gewährten De-minimis-Beihilfen festzustellen. Zu berücksichtigen sind auch von einem Mitgliedstaat gewährte Beihilfen, selbst wenn sie ganz oder teilweise aus Mitteln gemeinschaftlicher Herkunft finanziert werden.

Hinweis:

Mit der neuen Verordnung sind folgende Änderungen in Kraft getreten:

  • Aufgehoben wurde der Ausschluss von Beihilfen für "Unternehmen in Schwierigkeiten".

  • Mutter- und Tochtergesellschaften werden als ein Unternehmen angesehen, d.h. die an eine Gesellschaft gewährte Beihilfe gilt als für das Unternehmen gewährte Beihilfe und ist anzurechnen.

Da für den Agrarsektor Sondervorschriften gelten und die Gefahr besteht, dass dort selbst kleine Beihilfebeträge die Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Absatz 1 AEUV erfüllen, hat die VO 1998/2006 den Agrarsektor aus ihrem Geltungsbereich ausgeschlossen. Rechtsgrundlage ist vielmehr die gesonderte Verordnung VO 1408/2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor.

2.5 Kontrolle der nationalen Beihilfengewährung

Die Beihilfengewährung der nationalen Staaten wird gemäß Art. 108 Absatz 1 AEUV von der Europäischen Kommission laufend überprüft.

Gelangt die Europäischen Kommission zu der Entscheidung, dass die Beihilfe mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist oder missbräuchlich angewandt wurde, so besteht gemäß Art. 108 Absatz 2 AEUV folgende Rechtslage:

  1. a)

    Der betreffende Staat hat die Beihilfe innerhalb der von der Europäischen Kommission gesetzten Frist aufzuheben oder umzugestalten.

  2. b)

    Kommt der betroffene Staat dieser Anweisung innerhalb der gesetzten Frist nicht nach, so kann sowohl die Europäische Kommission als auch der betreffende Staat den Europäischen Gerichtshof anrufen.

  3. c)

    Der betreffende Staat kann darüber hinaus bei dem Rat beantragen, dass die gewährte oder geplante Beihilfe als mit dem Binnenmarkt vereinbar gilt. Voraussetzung ist, dass außergewöhnliche Umstände diese Entscheidung rechtfertigen. Ist bereits ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof eingeleitet, so ist dieses Verfahren zunächst auszusetzen.

2.6 Konkurrentenklage

Konkurrenten von mit einer Beihilfe geförderten Unternehmen können die Entscheidung der Europäischen Kommission über die Zulässigkeit dieser Beihilfe oder das Nichteinschreiten im Falle einer unzulässigen Beihilfe mit einer Konkurrentenklage vor dem Europäischen Gerichtshof überprüfen lassen.

2.7 Rückforderung rechtswidrig gewährter Beihilfen

Ist die Gewährung einer Beihilfe rechtswidrig (Gewährung vor abschließender Entscheidung der Europäischen Kommission oder unter Verletzung der Vorgaben des Durchführungsverbots), so kann der Staat von dem Begünstigten die Beihilfe zurückfordern. Rechtsgrundlagen der Rückforderung bestimmen sich nach dem jeweiligen nationalen Recht, das EU-Recht bietet insofern keine entsprechende Vorschrift.

Hinweis:

Zu den Details siehe den Beitrag "Widerruf eines Verwaltungsaktes".

Zwar erkennen die Rechtsprechungen sowohl des Europäischen Gerichtshofs als auch des Bundesverwaltungsgerichts einen grundsätzlichen Vertrauensschutz an, dieser wird aber an hohe Voraussetzungen geknüpft und nur ausnahmsweise bei Vorliegen besonderer Umstände anerkannt. Grundsätzlich urteilen die Gerichte, dass das öffentliche Rücknahmeinteresse den Vertrauensschutz des Einzelnen überwiegt.

2.8 Haftung der Europäischen Union

Bei einer rechtswidrigen Entscheidung der Europäischen Kommission in Beihilfesachen kommt gemäß Art. 340 Absatz 2 AEUV eine Haftung der Europäischen Union in Betracht.

 Siehe auch 

Gruppenfreistellung

Kartellrecht

KMU

Verpflichtungsklage - Subventionen

Widerruf eines Verwaltungsaktes

Bartosch: Die neue Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung im EG-Beihilfenrecht; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2008, 3612

Birkemeyer/Meyer: Rückforderungslage beim Widerruf einer Subventionsbewilligung im Rahmen der Insolvenz; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2015, 2300

Carnap-Bornheim: Einführung in das Europäische Beihilfenrecht; Juristische Schulung - JuS 2013, 215

Goldmann: Rechtsfolgen des Verstoßes gegen das EG-Beihilfenrecht für privatrechtliche Verträge und ihre Rückabwicklung; Jura 2008, 275

Säcker/Schmitz: Die Staatlichkeit der Mittel im Beihilfenrecht. Zugleich Anmerkung zu EuGH, U. v. 19.12.2013 - Rs. C-262/12 - (Vent De Colère); Neue Zeitschrift für Kartellrecht - NZKart 2014, 202

Soltesz: Das neue europäische Beihilfenrecht; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2014, 3128