Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundessozialgericht
Urt. v. 18.05.2010, Az.: B 7 AL 16/09 R
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 18.05.2010
Referenz: JurionRS 2010, 18248
Aktenzeichen: B 7 AL 16/09 R
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Baden-Württemberg - 26.05.2009 - AZ: L 12 AL 1661/08

SG Mannheim - AZ: S 11 AL 3408/07

Fundstellen:

info also 2010, 265

SGb 2010, 478-479

BSG, 18.05.2010 - B 7 AL 16/09 R

in dem Rechtsstreit

Az: B 7 AL 16/09 R

L 12 AL 1661/08 (LSG Baden-Württemberg)

S 11 AL 3408/07 (SG Mannheim)

.................... ,

Kläger und Revisionsbeklagter,

Prozessbevollmächtigte: .................................................,

gegen

Bundesagentur für Arbeit,

Regensburger Straße 104, 90478 Nürnberg,

Beklagte und Revisionsklägerin.

Der 7. Senat des Bundessozialgerichts hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2010 durch die Richter Dr. F i c h t e , Dr. K o l o c z e k und C o s e r i u sowie die ehrenamtlichen Richter R o h k a m m und H a n n i g

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Mai 2009 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

I

1

Im Streit ist (noch) der Ersatz geleisteter Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4771,50 Euro, die die Beklagte in der Zeit vom 10.10.1997 bis 31.12.2004 wegen der Zahlung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) für verschiedene Zeiträume erbracht hat.

2

Der Kläger bezog in der Zeit vom 7.11.1995 bis 31.12.2004 mit Unterbrechungen Alhi. Die Bewilligung von Alhi für die Zeiträume vom 10.10.1997 bis 29.5.1998, vom 12.10.1998 bis 21.5.1999, vom 16.9.1999 bis 23.6.2001, vom 21.9.2001 bis 6.11.2003 und vom 7.11.2003 bis 31.12.2004 hob die Beklagte mangels Bedürftigkeit des Klägers auf, verlangte die Erstattung überzahlter Alhi in Höhe von 20 936,22 Euro sowie den Ersatz der in dieser Zeit gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4241,71 Euro und 529,79 Euro, also insgesamt 4771,50 Euro (Bescheid vom 27.7.2007; Widerspruchsbescheid vom 12.9.2007).

3

Während die Klage insgesamt Erfolg hatte (Urteil des Sozialgerichts [SG] Mannheim vom 31.1.2008), hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG abgeändert und den angefochtenen Bescheid nur insoweit aufgehoben, als er die Erstattung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen betrifft, und die Klage im Übrigen abgewiesen; die weitergehende Berufung der Beklagten hat das LSG zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, soweit die Beklagte den Ersatz der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung verlange, sei der angegriffene Bescheid rechtswidrig, weil in dem insoweit maßgebenden § 335 Abs 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III) mit der Abschaffung der Alhi ab 1.1.2005 auch das Wort "Arbeitslosenhilfe" gestrichen worden sei und damit eine Pflicht zur Erstattung der Beiträge bei rückwirkender Aufhebung der Leistungsbewilligung nach dem 1.1.2005 nicht mehr bestehe.

4

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 335 Abs 1 Satz 1 SGB III in der ab 1.1.2005 geltenden Fassung. Trotz der Streichung des Wortes "Arbeitslosenhilfe" in dieser Vorschrift bestünde weiterhin eine Rechtsgrundlage für die Rückforderung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen bei rückwirkender Aufhebung der Alhi-Bewilligung.

5

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG abzuändern und das Urteil des SG insgesamt aufzuheben sowie die Klage insgesamt abzuweisen.

6

Der Kläger hat schriftsätzlich beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält das Urteil des LSG hinsichtlich der noch streitigen Ersatzforderung für zutreffend.

II

8

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Zu Unrecht hat das LSG die Auffassung vertreten, der Ersatz von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen nach § 335 Abs 1 Satz 1 SGB III sei in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung ausgeschlossen. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen (§ 163 SGG) kann der Senat jedoch nicht endgültig in der Sache entscheiden.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 27.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.9.2007, (nur noch) soweit die Beklagte damit den Ersatz von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen in Höhe von 4241,71 Euro und 529,79 Euro verlangt. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Nicht mehr im Streit ist die Aufhebung der Alhi-Bewilligung und Erstattung der gewährten Alhi. Insoweit ist das Urteil des LSG rechts- und der zugrundeliegende Bescheid der Beklagten bestandskräftig.

10

Die Begründetheit der Revision misst sich an § 335 Abs 1 Satz 1, Abs 5 SGB III in der ab dem 1.1.2005 geltenden Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003 (BGBl I 2954). Danach hat der Bezieher von Arbeitslosengeld (Alg) oder Unterhaltsgeld die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) für ihn gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung zu ersetzen, soweit die Entscheidung über die Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert worden ist. Nicht maßgebend ist hingegen die bis 31.12.2004 geltende Fassung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003 (BGBl I 2848), die anders als § 335 SGB III nF ausdrücklich auch den (unrechtmäßigen) Bezieher von Alhi nannte, weil nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts für die Entstehung des originären Ersatzanspruchs für gezahlte Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge der Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung über die das Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis begründende Leistung rückwirkend aufgehoben und die Leistung zurückgefordert wird, maßgebend ist (BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1, RdNr 14; BSG, Urteil vom 7.10.2009 - B 11 AL 31/08 R - RdNr 13).

11

Entgegen der Auffassung des LSG scheidet die Erstattung der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge nicht deshalb aus, weil der Bezieher (unrechtmäßiger) Alhi in § 335 Abs 1 Satz 1, Abs 5 SGB III nF nicht mehr genannt ist. Wie der 11. Senat bereits entschieden hat (BSG, Urteile vom 7.10.2009, aaO, und vom 5.5.2010 - B 11 AL 17/09 R), ist die ab dem 1.1.2005 geltende Fassung des § 335 Abs 1 Satz 1 SGB III wegen eines Versehens oder Übersehens eines Tatbestands lückenhaft. Diese Lücke ist im Wege der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung durch eine entsprechende Anwendung des § 335 Abs 1 Satz 1 SGB III nF zu schließen. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des 11. Senats insoweit ausdrücklich an.

12

Ob die weiteren Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden § 335 Abs 1 Satz 1 SGB III nF vorliegen, kann nicht abschließend beurteilt werden. Der Erstattungsanspruch nach § 335 Abs 1 Satz 1, Abs 5 SGB III setzt voraus, dass die BA für den Leistungsbezieher, hier den Kläger als Bezieher von Alhi, Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung bzw zur sozialen Pflegeversicherung bezahlt hat, die Entscheidung über die Leistung, die den Grund für die Beitragszahlung gebildet hat, rückwirkend aufgehoben und die Leistung (durch Verwaltungsakt) zurückgefordert worden ist. Der Ersatzanspruch setzt nach der Rechtsprechung des BSG darüber hinaus voraus, dass der Leistungsempfänger pflichtwidrig gehandelt hat (BSG SozR 3-4300 § 335 Nr 2 S 11 ff; SozR 4-4300 § 335 Nr 1 RdNr 14) und für den Zeitraum, für den die Leistung zurückgefordert worden ist, kein weiteres Kranken- oder Pflegeversicherungsverhältnis iS des § 335 Abs 1 Satz 2, Abs 5 SGB III bestanden hat und (deshalb) kein Anspruch der BA gegen die auf Grund des Leistungsbezuges zuständigen Kranken- oder Pflegekasse nach § 335 Abs 1 Satz 2, Abs 5 SGB III besteht. Erforderlich ist schließlich, dass die BA die Beiträge dem Grunde und der Höhe nach auch zu Recht gezahlt hat (BSG SozR 34300 § 335 Nr 1 S 8; Leitherer in Eicher/Schlegel, SGB III, § 335 RdNr 47, Stand November 2009; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, K § 335 RdNr 98, Stand V/09; Düe in Niesel, SGB III, 4. Aufl 2007, § 335 RdNr 11).

13

Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Der Kläger war in dem Zeitraum, in dem er Alhi bezogen hat, gesetzlich kranken- und pflegeversichert (§ 5 Abs 1 Nr 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - [SGB V], § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung - [SGB XI]). Für diese Zeiträume hat die Beklagte nach den Feststellungen des LSG auch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 4241,71 Euro und 529,79 Euro erbracht und mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid die dem Kläger gewährte Alhi nach Aufhebung der zu Grunde liegenden Bewilligung zurückgefordert. Der Kläger hat sich hinsichtlich des Leistungsbezugs nach den bindenden Feststellungen des LSG auch pflichtwidrig verhalten, weil er zumindest grob fahrlässig unvollständige bzw unrichtige Angaben über sein Vermögen gemacht hat. Ob der Kläger in den Zeiträumen, für die die Alhi aufgehoben und der Ersatz von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen verlangt wird, lediglich durch den Bezug von Alhi kranken- und pflegeversichert war, so dass auch kein Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 335 Abs 1 Satz 2, Abs 5 SGB III gegen die Kranken- und Pflegeversicherung in Betracht kommt, der einen Ersatzanspruch gegen den Kläger ausschließt, kann der Senat mangels Feststellungen des LSG hingegen nicht beurteilen. Zwar bestehen für ein weiteres Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnis keine Anhaltspunkte, es fehlen aber auch Feststellungen dazu, ob die Beiträge in zutreffender Höhe geleistet wurden. Für die zutreffende Beitragshöhe kommt es insbesondere auf die zu Grunde zu legenden beitragspflichtigen Einnahmen (vgl § 232a Abs 1 SGB V, § 57 Abs 1 SGB XI) sowie auf den jeweiligen Beitragssatz an. Das LSG hat aber keine Feststellungen zu dem maßgebenden Arbeitsentgelt (§ 232a Abs 1 iVm § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB V) getroffen, das der Beitragsbemessung zu Grunde zu legen war, so dass dem Senat eine abschließende Prüfung verwehrt ist.

14

Das LSG wird diese Feststellung nachzuholen und ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Dr. Fichte
Dr. Koloczek
Coseriu
Rohkamm
Hannig

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.