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Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.09.2015, Az.: IV ZR 333/15
Rückzahlungsbegehren des Versicherungsnehmers bzgl. geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung nach Widerruf; Abschluss einer Lebensversicherung nach dem Policenmodell
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 23.09.2015
Referenz: JurionRS 2015, 26681
Aktenzeichen: IV ZR 333/15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Hamburg - 16.06.2011 - AZ: 332 O 318/10

OLG Hamburg - 18.11.2011 - AZ: 9 U 121/11

Rechtsgrundlagen:

§ 5a VVG a.F.

§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

BGH, 23.09.2015 - IV ZR 333/15

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 2. September 2015 eingereicht werden konnten,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts - 9. Zivilsenat - vom 18. November 2011 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 14.274,29 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.

2

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Oktober 1995 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein ein Begleitschreiben mit einer Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F.

3

Mit Schreiben vom 26. Juni 2009 erklärte die proConcept Gesellschaft für Projektentwicklung- und Durchführung AG (im Folgenden: proConcept), an die d. VN die Rechte und Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abgetreten hatte, für d. VN den Widerspruch nach § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F., hilfsweise die Kündigung. Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.

4

Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts , insgesamt 14.274,29 €.

5

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Er sei nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt worden, so dass die Widerspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

6

D. VN hat eine Erklärung der proConcept vorgelegt, nach der diese d. VN ermächtigt hat, die aus und in Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag bestehenden Forderungen gegen den Versicherer im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen.

7

Der Versicherer hat sich auf Entreicherung berufen und die Einrede der Verjährung erhoben.

8

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

10

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe d. VN nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. In der Belehrung im Policenbegleitschreiben sei das Schriftformerfordernis nicht erwähnt. Die Belehrung im Antragsformular weise zwar darauf hin, sei aber nicht maßgeblich. Der Vertrag sei gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

11

II. Die Revision ist zulässig. Die auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfende (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 2011 - II ZR 197/09, NJW 2011, 2581 Rn. 10; vom 7. Juli 2008 - II ZR 26/07, WM 2008, 1615 Rn. 12; jeweils m.w.N.) Prozessführungsbefugnis d. VN ist gegeben. Aus der vorgelegten Ermächtigung der proConcept ergibt sich, dass d. VN im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft ermächtigt ist, die abgetretenen Forderungen aus und im Zusammenhang mit dem Versicherungsvertrag - somit auch einen Bereicherungsanspruch - im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen.

12

III. Die Revision ist auch begründet.

13

1. Der Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

14

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

15

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die allein maßgebliche Widerspruchsbelehrung in dem Policenbegleitschreiben ist bereits insofern inhaltlich fehlerhaft, als sie keinen Hinweis darauf enthält, dass der Widerspruch schriftlich zu erheben war (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR 2004, 497 [BGH 28.01.2004 - IV ZR 58/03] unter 3b). Zudem werden die Unterlagen, von deren Erhalt der Beginn der Widerspruchsfrist nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. den Beginn der Widerspruchsfrist abhängig machte, nicht genannt.

16

Für einen solchen Fall einer nicht ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrung bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

17

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225 [EuGH 19.12.2013 - Rs. C-209/12]). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

18

bb) Die (hilfsweise) Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem späteren Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

19

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

20

2. Aus der wirksamen Widerspruchserklärung folgende bereicherungsrechtliche Ansprüche waren bei Erhebung der Klage im Januar 2011 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2009 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte der Versicherungsnehmer Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 - IV ZR 103/15, VersR 2015, 700 Rn. 19 ff.).

21

3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff., IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 [BGH 29.07.2015 - IV ZR 448/14] Rn. 33 ff.).

22

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag - auch zur Frage der Entreicherung (vgl. hierzu Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14 aaO Rn. 41 ff.; IV ZR 448/14, aaO Rn. 46 ff.) - zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen

Harsdorf-Gebhardt

Dr. Karczewski

Lehmann

Dr. Brockmöller

Von Rechts wegen

Verkündet am: 23. September 2015

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