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Bundesgerichtshof
Urt. v. 23.09.2015, Az.: IV ZR 227/14
Rückzahlungsbegehren des Versicherungsnehmers gegen den Versicherer bzgl. geleisteter Versicherungsbeiträge von Lebensversicherungen; Abschluss von Lebensversicherungen nach dem so genannten Policenmodell
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 23.09.2015
Referenz: JurionRS 2015, 26281
Aktenzeichen: IV ZR 227/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Aachen - 09.12.2011 - AZ: 9 O 150/11

OLG Köln - 02.05.2014 - AZ: 20 U 15/12

Rechtsgrundlagen:

§ 5a VVG a.F.

§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

BGH, 23.09.2015 - IV ZR 227/14

Redaktioneller Leitsatz:

§ 5a Abs. 2 S. 4 VVG a.F. muss richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass er im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn der Versicherungsnehmer nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 4. September 2015

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 2. Mai 2014 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 19.000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmer: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge zweier Lebensversicherungen, und zwar einer Lebensversicherung auf zwei Leben und einer fondsgebundenen Lebensversicherung.

2

Erstere wurde aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. Juli 1997 (Endziffer 93) und letztere aufgrund Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. September 1997 (Endziffer 38) nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen.

3

D. VN zahlte in der Folge die Versicherungsprämien. Mit Schreiben vom 29. Juni und 24. November 2005 kündigte er unter anderem diese Verträge und der Versicherer zahlte den jeweiligen Rückkaufswert aus. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 erklärte d. VN den Widerspruch nach § 5a VVG a.F. zu den beiden Verträgen.

4

Mit der Klage begehrt d. VN Rückzahlung aller auf die beiden Verträge geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich bereits gezahlter Rückkaufwerte.

5

Nach Auffassung d. VN sind die Versicherungsverträge nicht wirksam zustande gekommen, weil d. VN zum einen nicht ordnungsgemäß belehrt wurde und zum anderen das Policenmodell mit den Lebensversicherungsrichtlinien der Europäischen Union nicht vereinbar sei.

6

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat Prämienrückerstattungsansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Die Verträge seien aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der jeweils ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

9

II. Die Revision ist begründet.

10

1. Ein Anspruch auf Prämienrückzahlung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB kann d. VN mit der vom Berufungsgericht gegebenen B egründung nicht versagt werden.

11

a) Die zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsverträge schaffen keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlungen. Sie sind infolge des jeweiligen Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekom men. Diese waren - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

12

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Revisionserwiderung - hinsichtlich des Vertrages mit der Endziffer 93 nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Die Widerspruchsbelehrung im maßgeblichen Policenbegleitschreiben genügt diesen Anforderungen nicht, weil sie den Fristbeginn nur an den Erhalt des Versicherungsscheins, nicht aber auch an den Erhalt der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation knüpft (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992 - I ZR 73/91, BGHZ 121, 52, 57 unter II 3; Senatsurteile vom 20. Mai 2015 - IV ZR 502/14, Rn. 10 und vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, Rn. 25).

13

Zutreffend hat das Berufungsgericht weiter ausgeführt, dass die im Versicherungsschein enthaltene Belehrung auch deshalb inhaltlich fehlerhaft ist, weil sie keinen Hinweis darauf enthielt, dass der Widerspruch in Schriftform zu erheben war. Die notwendige Belehrung über das gesetzliche Formerfordernis (vgl. Senatsurteil vom 28. Januar 2004 - IV ZR 58/03, VersR 2004, 497 unter 3 b) konnte d. VN nicht aus der Formulierung entnehmen, dass zur Wahrung der Frist die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs genüge. Selbst wenn ein verständiger Versicherungsnehmer nur verkörperte Erklärungen als der Absendung zugänglich ansieht, so bleibt für ihn dennoch unklar, ob hierzu eine Verkörperung in Textform ausreicht oder ob es nicht der traditionellen Schriftform bedarf (vgl. Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 Rn. 24 und IV ZR 112/14, [...] Rn. 12).

14

Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die Übergabe der Verbraucherinformation hinsichtlich des Versicherungsvertrages mit der Endziffer 38 bei Antragstellung nicht bewiesen, ist - entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung - revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Bestätigung im Versicherungsantrag, belegt dies gerade nicht. Es ist revisionsrechtlich deshalb auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht aus der unterbliebenen Reaktion des Klägers auf die später im Versicherungsschein enthaltene Information, ihm sei bei Antragstellung eine Verbraucherinformation ausgehändigt worden, keine Schlüsse gezogen hat. D. VN hat zu diesem Vertrag unstreitig eine Widerspruchsbelehrung nicht erhalten, so dass keine ordnungsgemäße Belehrung i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG erfolgt ist.

15

Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärun g fort.

16

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225 [EuGH 19.12.2013 - Rs. C-209/12]). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

17

bb) Die Kündigung der Versicherungsverträge steht den Widersprüchen nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.).

18

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

19

2. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung der Verträge genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.; vgl. auch Senatsurteile vom 29. Juli 2015 - IV ZR 384/14, VersR 2015, 1101 Rn. 35 ff. und IV ZR 448/14, VersR 2015, 1104 [BGH 29.07.2015 - IV ZR 448/14] Rn. 33 ff.).

20

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuver weisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen

Harsdorf-Gebhardt

Dr. Karczewski

Lehmann

Dr. Brockmöller

Verkündet am: 23. September 2015

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