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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 04.05.2016, Az.: 3 StR 392/15
Revisionsrechtliche Nachprüfung des Schuldspruchs wegen verfassungsfeindlicher Verunglimpfung von Verfassungsorganen; Absichtlicher Einsatz für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 04.05.2016
Referenz: JurionRS 2016, 20466
Aktenzeichen: 3 StR 392/15
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:040516B3STR392.15.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Rostock - 28.04.2015

Fundstelle:

RÜ 2016, 583

Verfahrensgegenstand:

Verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen u.a.

BGH, 04.05.2016 - 3 StR 392/15

Redaktioneller Leitsatz:

Die Strafbarkeit nach§ 90b Abs. 1 StGB erfordert auch, dass der Täter sich durch sein Verhalten absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. Ob die Intention des Täters diese Voraussetzungen erfüllt, bemisst sich nach den Legaldefinitionen des § 92 StGB.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 28. April 2015 aufgehoben.

    Der Angeklagte wird freigesprochen.

  2. 2.

    Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen verfassungsfeindlicher Verunglimpfung von Verfassungsorganen in Tateinheit mit Beleidigung zu der Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, von denen zwei Monate als verbüßt gelten. Außerdem hat es ihm die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden und Rechte aus öffentlichen Wahlen "herzuleiten", für drei Jahre aberkannt.

2

Die auf mehrere Verfahrensrügen und die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt auf die Sachrüge zu dessen Freispruch.

3

1. Der Verurteilung liegen folgende Feststellungen zugrunde:

4

Der Angeklagte fertigte spätestens am 24. Juni 2012 unter Verwendung einer Vorlage aus dem Internet ein "Fahndungsblatt" im DIN-A4-Format an, auf dem unter der Überschrift "Verräter am deutschen Volk - linke/grüne/islamophile Bande" 19 Portraitfotos von Bundes- und Landespolitikern angebracht sind, so die der Abgeordneten des Deutschen Bundestages T. und W. . Nach dem Text des Plakates sollen die abgebildeten Personen "wegen stillschweigender Duldung und Beteiligung an Morden, Vergewaltigungen, Kindesmissbrauch, Attentaten, Umvolkung und Finanzverbrechen an der eigenen Bevölkerung steckbrieflich gesucht" sein. Für Hinweise, die zum Ergreifen der Gesuchten führen, werden 100.000 € ausgelobt. Mitteilungen nehme das Bundeskriminalamt oder jede Polizeidienststelle entgegen. Darunter folgt der Satz: "Vorsicht! Volksverräter machen von der Nazikeule rücksichtslos Gebrauch". Dieses "Fahndungsplakat" brachte der Angeklagte innen an der Heckscheibe seines PKW an und fuhr so zwei Wochen lang auf öffentlichen Straßen. Auch hielt er sich mit dem Fahrzeug auf Campingplätzen und öffentlichen Parkplätzen auf, wo Passanten das Blatt zur Kenntnis nahmen. Der Angeklagte beabsichtigte durch das Plakat, die darauf abgebildeten Amts- und Mandatsinhaber als Verbrecher darzustellen, "um das Vertrauen der Betrachter in die Geltung der Verfassung zu erschüttern und um sie anzuhalten, am von ihm erstrebten Umsturz der Verfassungsorgane und des Bestands der Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken". Ihm war auch bewusst, dass der Text eine erhebliche Ehrkränkung darstellte.

5

Bei der rund ein Jahr später durchgeführten Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten wurden weitere Exemplare des "Fahndungsblattes" im DIN-A3-Format sichergestellt, deren künftige Veröffentlichung der Angeklagte geplant hatte.

6

Die Abgeordneten T. und W. haben die Ermächtigung zur Strafverfolgung nach § 90b Abs. 2 StGB erteilt und Strafantrag nach § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB gestellt.

7

2. Die Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen verfassungsfeindlicher Verunglimpfung von Verfassungsorganen.

8

Der Tatbestand des § 90b Abs. 1 StGB fordert neben der Verunglimpfung der dort genannten staatlichen Organe oder ihrer Mitglieder und der hierdurch bewirkten konkreten Gefährdung des Ansehens des Gesamtstaates auf der subjektiven Tatbestandsseite, dass der Täter sich durch sein Verhalten absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt. Zwar muss sich diese Absicht des Täters nicht aus der Tathandlung, vorliegend dem öffentlichen Zurschaustellen des Plakates, selbst ergeben. Vielmehr genügt es, dass die Tat ein Mittel ist, mit der er eigene oder fremde Bestrebungen dieser Art voranbringen oder unterstützen will (BGH, Urteil vom 12. Dezember 1979 - 3 StR 334/79, BGHSt 29, 159, 160 f.). Ob die Intention des Täters diese Voraussetzungen erfüllt, bemisst sich nach den Legaldefinitionen des § 92 StGB. Danach stellt es eine Bestrebung gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland dar, wenn ihr Träger darauf hinarbeitet, die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland von fremder Botmäßigkeit aufzuheben, ein zu ihr gehörendes Gebiet abzutrennen oder ihre staatliche Einheit zu beseitigen (§ 92 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. Abs. 1 StGB). Gegen Verfassungsgrundsätze gerichtet sind Bestrebungen, die darauf angelegt sind, die in § 92 Abs. 2 StGB aufgeführten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen, außer Kraft zu setzen oder zu untergraben (§ 92 Abs. 3 Nr. 3 StGB).

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Die Urteilsgründe belegen - auch in einer Gesamtschau - nicht die Absicht des Angeklagten, sich mit dem "Fahndungsblatt" für Bestrebungen dieser Art einzusetzen. Das Landgericht zieht den Schluss auf die Absicht des Angeklagten, den Betrachter des Plakats anzuhalten, am "Umsturz der Verfassungsorgane und des Bestands der Bundesrepublik Deutschland mitzuwirken", aus einer Gesamtbetrachtung von Inhalt und Aufmachung des "Fahndungsblatts", vom Angeklagten verfassten "Email-Schreiben" sowie nicht näher konkretisierten Einlassungen dazu. Dabei verweist es auf ein auf dem Computer des Angeklagten sichergestelltes Schreiben an ein "Internationales Handelszentrum" aus dem Jahr 2011, mit dem er alle, die die "Vollendung der Einheit und Freiheit des deutschen Volkes" erstrebten, zur Teilnahme an einer Sitzung zum "Volks-Reichstag" einlud. Außerdem hatte er im September 2013 eine "eidesstattliche Versicherung" formuliert, in der er seine Auffassung begründete, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existiere und das deutsche Reich niemals aufgelöst worden sei, und kundtat, dass er nicht der Rechtsordnung der "Verwaltungsorganisation Bundesrepublik Deutschland" unterliege, es sei denn, er stelle sich freiwillig in den Dienst der BRD, was er aber seit 1990 nie getan habe. Diesen Schreiben lässt sich indes allenfalls entnehmen, dass der Angeklagte die Freiheit der Bundesrepublik Deutschland von fremder Botmäßigkeit leugnet. Eigene oder von ihm unterstützte Aktivitäten gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des § 92 Abs. 1 StGB ergeben sich daraus nicht. Sie sind auch dem "Fahndungsplakat" selbst nicht zu entnehmen. Ebenso wenig belegen die vom Angeklagten angefertigten Schreiben, dass der Angeklagte darauf hin arbeitete, einen der in § 92 Abs. 2 konkret benannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder zu untergraben.

10

Der Senat schließt es aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere Feststellungen zu Bestrebungen des Angeklagten im Sinne des § 90b Abs. 1, § 92 StGB, die mit dem "Fahndungsblatt" vorangebracht oder unterstützt werden sollten, getroffen werden können. Daher ist der Angeklagte vom Vorwurf der verfassungsfeindlichen Verunglimpfung von Verfassungsorganen freizusprechen.

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3. Soweit das "Fahndungsblatt" eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB der darauf abgebildeten Personen enthält, ist Verfolgungsverjährung eingetreten, so dass insoweit einer Verurteilung des Angeklagten ein Verfahrenshindernis entgegensteht. Das Verbreiten des "Fahndungsblatt" stellt sich als ein Presseinhaltsdelikt dar, für das die kurze presserechtliche Verjährung gilt, die zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits eingetreten war. Im Einzelnen:12 Da sich die presserechtliche Verjährung wegen ihres jedenfalls auch prozessualen Charakters nach dem Recht des Gerichtsorts (BGH, Urteil vom 24. März 1999 - 3 StR 240/98, BGHSt 45, 41, 43 mwN) bestimmt, ist vorliegend das Landespressegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern anwendbar. § 22 Abs. 1 dieses Gesetzes sieht für die Verfolgung strafbarer Handlungen, die durch die Veröffentlichung oder Verbreitung von Druckwerken begangen werden, bei Vergehen wie dem der Beleidigung eine Verjährungsfrist von sechs Monaten vor. Nach § 6 Abs. 1 LPrG M-V sind Druckwerke im Sinne des Gesetzes unter anderem alle mittels der Buchdruckerpresse oder eines sonstigen zur Massenherstellung geeigneten Vervielfältigungsverfahrens hergestellte und zur Verbreitung bestimmte Schriften. Ein solches Vervielfältigungsverfahren ist immer dann gegeben, wenn im Wege technischer Herstellung nicht bloß eine Mehrheit von Abschriften, sondern eine zwar nicht unbegrenzte, aber doch beliebig vermehrbare Vielzahl von Vervielfältigungen bereitgestellt werden kann. Als Druckwerke gelten deshalb auch die Vervielfältigungen mit dem Drucker des Heimcomputers oder eines Kopierers, bei denen Handarbeit zwar unterstützend mitwirkt, bei entsprechender Programmierung des Gerätes mit einem Knopfdruck aber eine Vielzahl von Exemplaren maschinell produziert werden kann. Ist diese Voraussetzung erfüllt, ist es nicht entscheidend, ob im konkreten Fall eine Vielzahl von Exemplaren tatsächlich hergestellt wurde (BGH aaO, S. 44 f.).

13

Dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe und dem für die Prüfung der Verjährung freibeweislich verwertbaren Akteninhalt ist zu entnehmen, dass der Angeklagte das "Fahndungsblatt" anhand einer aus dem Internet heruntergeladenen Vorlage an seinem Heimcomputer gefertigt und sodann ausgedruckt hat. Dafür, dass es ihm ohne Weiteres möglich war, eine Vielzahl weiterer derartiger Plakate herzustellen, spricht zudem der Umstand, dass bei der Hausdurchsuchung mehrere Exemplare gefunden worden sind. Somit handelt es sich bei dem "Fahndungsblatt" um ein Druckwerk im Sinne von § 22 Abs. 1 LPrG M-V, so dass für damit begangene Vergehen, die nicht vom Ausnahmekatalog des § 22 Abs. 1 Satz 2 LPrG M-V erfasst sind, die sechsmonatige Verjährungsfrist gilt. Diese war - selbst wenn man nicht auf den ersten Verbreitungsakt am 24. Juni 2012 abstellen will - jedenfalls mit dem 8. Januar 2013 und damit zum Zeitpunkt der ersten möglichen Unterbrechungshandlung - der Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Rostock vom 3. Mai 2013 - bereits abgelaufen.

14

Auch wenn einer Aburteilung wegen verfassungsfeindlicher Verunglimpfung von Verfassungsorganen ebenfalls die kurze presserechtliche Verjährung entgegenstünde, ist das Verfahren nicht wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen, sondern der Angeklagte insgesamt freizusprechen. Hinsichtlich des Vorwurfs einer Straftat nach § 90b Abs. 1 StGB hat - da insoweit Entscheidungsreife vorliegt - der Freispruch Vorrang (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 260 Rn. 44). Kann aber bei tateinheitlichem Zusammentreffen eines schwereren und eines leichteren Tatvorwurfs der schwerere, hier der der verfassungsfeindlichen Verunglimpfung von Verfassungsorganen, nicht nachgewiesen werden und ist der leichtere wegen Vorliegens eines unbehebbaren Verfahrenshindernisses nicht mehr verfolgbar, so hat die Sachentscheidung Vorrang vor der Verfahrensentscheidung, weil der schwerer wiegende Vorwurf den Urteilsausspruch bestimmt (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 - 5 StR 14/04, BGHSt 50, 16, 30 mwN). Deshalb ist der Angeklagte insgesamt mit der entsprechenden Kostenfolge freizusprechen (§ 354 Abs. 1, § 467 Abs. 1 StPO).

RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben.
Becker

Becker

Schäfer

Mayer

Spaniol

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