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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 16.09.2015, Az.: BVerwG 1 B 36.15
Anerkennung eines irakischen Volkszugehörigen als Asylberechtigter hinsichtlich Flüchtlingseigenschaft
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 16.09.2015
Referenz: JurionRS 2015, 27782
Aktenzeichen: BVerwG 1 B 36.15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

OVG Nordrhein-Westfalen - 27.04.2015 - AZ: OVG 9 A 1380/12.A

Rechtsgrundlagen:

§ 13 AsylVfG

§ 26 AsylVfG

§ 27 Abs. 1 AsylVfG

§ 31 AsylVfG

Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO

Fundstellen:

InfAuslR 2016, 63-64

ZAR 2015, 405

BVerwG, 16.09.2015 - BVerwG 1 B 36.15

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 16. September 2015
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Fricke und Dr. Rudolph
beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. April 2015 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.

Gründe

I

1

Der Kläger, ein irakischer Volkszugehöriger assyrischer Volks- und chaldäisch-römisch-katholischer Religionszugehörigkeit, reiste 2009 auf dem Luftweg von Griechenland kommend in das Bundesgebiet ein und beantragte seine Anerkennung als Asylberechtigter. Zu seinem Reiseweg gab er an, er habe den Irak Ende 2007 verlassen und sei nach Aufenthalten in Syrien, der Türkei und Griechenland nach Deutschland gekommen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) machte von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch. Mit Bescheid vom 1. September 2011 erkannte es dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft wegen Gruppenverfolgung als Christ zu, den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter lehnte es hingegen wegen Einreise aus einem sicheren Drittstaat ab. Das Verwaltungsgericht hat der auf Anerkennung als Asylberechtigter gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat beim Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg gehabt. Dabei hat das Berufungsgericht offengelassen, ob der Kläger trotz seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des Art. 16a Abs. 2 GG (Griechenland) einen grundrechtlichen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter hat, da ihm jedenfalls einfachgesetzlich nach § 26a Abs. 1 Satz 3 AsylVfG ein Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten zustehe.

2

Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Beklagten, mit der diese die Zulassung der Revision erstrebt.

II

3

Die unter anderem auf Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, die Berufungsentscheidung aufzuheben und den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

4

Die Beklagte rügt der Sache nach zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO hinsichtlich der Frage, ob einer Asylanerkennung des Klägers seine Voraufenthalte in anderen Staaten entgegenstehen, nicht in der gebotenen Weise nachgekommen ist. Denn der Kläger ist nach eigenen Angaben nicht nur über Griechenland nach Deutschland eingereist, sondern hat sich zuvor längere Zeit in Syrien und in der Türkei aufgehalten. Dem Berufungsurteil ist nicht zu entnehmen, dass das Berufungsgericht diesen Vortrag als unglaubhaft angesehen hat. Damit hätte - ungeachtet der Frage, ob einer Asylanerkennung die Einreise aus einem kraft Verfassungsrecht sicheren Drittstaat (Griechenland) entgegensteht, - vor allem näherer Darlegung bedurft, warum eine Asylanerkennung nicht mit Blick auf die vorangegangenen Aufenthalte in Syrien und der Türkei wegen anderweitiger Sicherheit vor Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat nach § 27 AsylVfG ausgeschlossen ist; allein der Umstand, dass diese Frage von den Beteiligten nicht problematisiert worden war, machte entsprechende Darlegungen nicht entbehrlich (BVerwG, Beschluss vom 22. Juni 2011 - 10 B 12.11 - Rn. 2). Die Ausführungen im Berufungsurteil, aus welchem Grund der Aufenthalt des Klägers in Griechenland dem einfachgesetzlichen Anspruch auf Zuerkennung der Rechtsstellung eines Asylberechtigten nicht entgegensteht, lassen nicht den Schluss zu, das Berufungsgericht habe den Ausschlussgrund des § 27 Abs. 1 AsylVfG in Bezug auf die Türkei geprüft und verneint.

5

Auf die übrigen von der Beschwerde erhobenen Rügen kommt es damit nicht entscheidend an. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass das Berufungsgericht im neuerlichen Berufungsverfahren zunächst der Frage nachzugehen haben wird, ob für die (nur) auf Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis besteht, nachdem das Bundesamt von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-II-VO) Gebrauch gemacht und den Kläger mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 1. September 2011 die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt hat. Das deutsche Asylrecht unterscheidet zwar zwischen dem verfassungs- und dem unionsrechtlich geregelten Flüchtlingsschutz. Nach dem Asylverfahrensgesetz umfasst ein Asylantrag grundsätzlich beide Begehren (vgl. § 13 AsylVfG) und hat das Bundesamt über diese in einem Bescheid zu entscheiden (vgl. § 31 AsylVfG). Auch bei Gericht werden beide Begehren zulässigerweise zusammen geltend gemacht. Lehnt das Bundesamt indes - wie hier - den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab, gewährt es aber zugleich unionsrechtlichen Flüchtlingsschutz, bedarf besonderer Begründung, inwiefern die gerichtliche Weiterverfolgung des Asylbegehrens mit dem Ziel der (zusätzlichen) Anerkennung als Asylberechtigten dem Kläger einen weiteren Vorteil brächte. Denn der Gesetzgeber hat mit dem Zuwanderungsgesetz von 2004 Asylberechtigte und Flüchtlinge rechtlich weitgehend gleichgestellt, so dass der Unterscheidung keine erhebliche praktische Bedeutung mehr zukommt, insbesondere können sich beide Personengruppen auf die einem Flüchtling gegenüber anderen Ausländern in der Genfer Flüchtlingskonvention gewährten Vorteile berufen. Hinsichtlich der aufenthaltsrechtlichen Folgen sind Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, ebenfalls gleichgestellt (vgl. etwa § 5 Abs. 3, § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis und § 29 Abs. 2 AufenthG bezüglich Erleichterungen beim Familiennachzug). Auch für das Familienasyl und den Familienflüchtlingsschutz bestehen nach § 26 AsylVfG inzwischen keine Unterschiede mehr. Bei dieser Sachlage obliegt es dem Kläger darzulegen, welche weitergehenden Vorteile ihm die begehrte Asylanerkennung brächte. Andernfalls wäre es eine überflüssige Inanspruchnahme der Gerichte, wenn diese trotz des vom Bundesamt gewährten Flüchtlingsschutzes über die Asylanerkennung sachlich entscheiden müssten. Dies zu verhindern ist Zweck der Sachurteilsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1998 - 9 C 1.97 - BVerwGE 106, 339 <340 f.>).

Prof. Dr. Berlit

Fricke

Dr. Rudolph

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