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Bundesverwaltungsgericht
Beschl. v. 10.02.2015, Az.: BVerwG 5 B 60.14
Anforderungen an die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht
Gericht: BVerwG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 10.02.2015
Referenz: JurionRS 2015, 11152
Aktenzeichen: BVerwG 5 B 60.14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

VGH Baden-Württemberg - 19.08.2014 - AZ: 2 S 962/14

BVerwG, 10.02.2015 - BVerwG 5 B 60.14

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Das Tatsachengericht hat grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden, ob es sich selbst die für die Aufklärung und Würdigung des Sachverhalts erforderliche Sachkunde zutraut. Dieses Ermessen überschreitet das Gericht erst dann, wenn es sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde zuschreibt und sich nicht mehr in den Lebens- und Erkenntnisbereichen bewegt, die den ihm angehörenden Richtern allgemein zugänglich sind. Dies zeigt hier die Beschwerde im Hinblick auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Prüfung, ob die ärztlichen Unterlagen eine nachvollziehbare Tatsachengrundlage dafür bilden, ob im Falle einer diagnostizierten Legasthenie der Begriff der Krankheit im beihilferechtlichen Sinne erfüllt ist, nicht auf. Die Beschwerde legt nicht hinreichend dar, warum das Berufungsgericht insoweit eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch genommen haben oder seine diesbezügliche Sachkunde sonst ernstlich zweifelhaft sein soll.

  2. 2.

    Die Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt jedoch auch in der Ausprägung, die er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es bestimmte Erkenntnismittel in Bezug auf Einzelheiten des Parteivortrags versteht und rechtlich bewertet, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt. Eine Ausnahme hiervon gilt dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtliche Gesichtspunkte stützen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte.

  3. 3.

    Der Einwand des Klägers, das Berufungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft versäumt, ihn im Berufungsverfahren darauf hinzuweisen, dass sein Vortrag unzureichend gewesen sei und noch weiterer Sachvortrag für erforderlich erachtet werde, greift nicht durch, wenn die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, das der Klage stattgegeben hatte, wegen ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassen worden ist und im Zulassungsbeschluss der Verwaltungsgerichtshof zu der entscheidungserheblichen Frage sowie der unzureichenden Tatsachenbasis Stellung genommen hat. Nach den deutlichen Äußerungen im Berufungszulassungsbeschluss muss das Berufungsgericht nicht zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Hinweispflicht auch noch darüber hinaus im Berufungsverfahren gesonderte Hinweise zur Bewertung der Sachlage erteilen.

In der Verwaltungsstreitsache
hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 10. Februar 2015
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Störmer und Dr. Fleuß
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. August 2014 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 328 € festgesetzt.

Gründe

1

Die auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) beschränkte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2

1. Soweit die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, ist eine Verletzung dieser Verfahrensvorschrift bereits nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise bezeichnet worden.

3

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Oberverwaltungsgerichts bzw. Verwaltungsgerichtshofs aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen. Denn die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen, zu kompensieren (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 13. Januar 2009 - 9 B 64.08, 9 B 34.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 372 S. 18 <S. 20>; vom 5. März 2010 - 5 B 7.10 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 94 S. 11 <S. 11 f.> und vom 21. September 2011 - 5 B 11.11 - Rn. 15 m.w.N.).

4

Eine diesen Anforderungen genügende Darlegung enthält die innerhalb der Begründungsfrist eingegangene Beschwerdebegründung des Klägers vom 22. Oktober 2014 nicht. Soweit der Kläger im Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 22. Januar 2015, mit dem er zur schriftlichen Erwiderung des Beklagten auf die Beschwerdebegründung Stellung genommen hat, weitere Ausführungen macht, können diese grundsätzlich keine Berücksichtigung finden. Denn diese weitere Begründung des Klägers ist nach Ablauf der zweimonatigen Begründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) eingegangen. Soweit in diesem Schriftsatz neues Vorbringen zu den gesetzlichen Zulassungsgründen enthalten ist, kann es deshalb im Beschwerdeverfahren nicht mehr berücksichtigt werden (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 1992 - 9 B 256.91 -Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 2, vom 2. August 2010 - 4 BN 36.10 - Rn. 5 und vom 15. Januar 2014 - 5 B 57.13 - Rn. 6). Selbst wenn es berücksichtigt würde, genügten auch die ergänzenden Ausführungen der Beschwerde den Darlegungsanforderungen nicht.

5

a) Die Beschwerde zeigt weder hinreichend auf, welche tatsächlichen Feststellungen das Berufungsgericht im Fall der Vornahme welcher konkreten Aufklärungsmaßnahmen voraussichtlich getroffen hätte noch inwiefern etwaige Feststellungen unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können. Zur Darlegung des voraussichtlichen Ertrags der von der Beschwerde für nötig gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen genügen die pauschalen Ausführungen dazu, es sei im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes erforderlich gewesen, "dass sich das Gericht im Fall von Unklarheiten ggf. an die zuständigen Ärzte wendet und diese befragt" (Beschwerdebegründung S. 4), nicht. Vielmehr hätte dargetan werden müssen, welcher Arzt zu welchen entscheidungserheblichen Tatsachen hätte gehört werden sollen und was er voraussichtlich in einer Anhörung über das hinaus vorgebracht hätte, was sich nicht bereits aus den dem Berufungsgericht vorliegenden schriftlichen Materialien (ärztliche Verordnungen bzw. Atteste und Stellungnahmen) ergab. Über dieses Versäumnis hinaus legt die Beschwerde auch nicht hinreichend dar, inwieweit es auf die etwaigen (weiteren) Tatsachenerkenntnisse, die durch die Anhörung von Ärzten hätten gewonnen werden sollen, nach der materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts für den Ausgang des Rechtsstreits angekommen wäre. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass an die ärztliche Verordnung von Heilmitteln die von ihm näher bezeichneten gesteigerten Anforderungen zu stellen seien (UA S. 11). Hiermit setzt sich die Beschwerde in keiner Weise auseinander. Mit ihren Mutmaßungen, "hätte das Gericht eigene Ermittlungen angestellt und zumindest die behandelnden Ärzte befragt, so hätte sich möglicherweise ein anderes Ergebnis gezeigt" (Beschwerdebegründung S. 6), wird die Beschwerde den Darlegungsanforderungen nicht annähernd gerecht.

6

Überdies hat es der Kläger versäumt, vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, in genügender Weise hinzuwirken. Die Beschwerde macht selbst nicht geltend, dass der Kläger im Berufungsverfahren eine konkrete Anhörung bestimmter Ärzte zu bestimmten Tatsachen beantragt oder sonst darauf hingewirkt hätte. Sie legt zudem nicht in schlüssiger Weise dar, aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Berufungsgericht die bezeichneten Anhörungen von Ärzten auch ohne das erforderliche Hinwirken des Klägers hätten aufdrängen müssen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Berufungsgericht davon ausgegangen ist, die vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen erfüllten bereits die grundlegenden Anforderungen nicht, weil darin die getroffene Diagnose nicht schlüssig dargelegt und nicht in sich widerspruchsfrei und nachvollziehbar begründet worden sei (UA S. 9).

7

b) Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht habe die vorgelegten ärztlichen Unterlagen (Verordnungen bzw. Atteste oder Stellungnahmen) nicht als unsubstantiiert, unschlüssig und widersprüchlich qualifizieren dürfen, weil ihm hierfür die entsprechenden medizinischen Fachkenntnisse fehlten (Beschwerdebegründung S. 4 f.), wird damit ebenfalls ein Verstoß gegen den Amtsaufklärungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 VwGO nicht aufgezeigt.

8

aa) Der Sache nach wendet sich die Beschwerde damit in erster Linie gegen die Beweis- und Tatsachenwürdigung des Berufungsgerichts. Angriffe gegen die Sachverhaltswürdigung des Tatsachengerichts können jedoch mit der Rüge der Verletzung des § 86 Abs. 1 VwGO nicht zulässigerweise begründet werden, sondern - soweit ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden soll - allenfalls mit einer Verletzung des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO (BVerwG, Beschlüsse vom 28. Juni 2013 - 5 B 79.12 - Rn. 10 und vom 11. Juni 2014 - 5 B 19.14 - Rn. 11). Einen diesbezüglichen Verfahrensfehler hat die Beschwerde jedoch nicht gerügt.

9

Selbst wenn man in dem Vorbringen des Klägers auch die (konkludente) Rüge eines Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) sehen wollte, führte dies nicht zum Erfolg der Beschwerde. Die Einhaltung der aus dieser Vorschrift folgenden Verpflichtung des Tatsachengerichts, sich im Wege der freien Beweiswürdigung eine Überzeugung von dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu bilden, ist nicht schon dann in Frage gestellt, wenn ein Beteiligter - wie hier der Kläger - eine aus seiner Sicht fehlerhafte Verwertung des vorliegenden Tatsachenmaterials rügt, aus dem er andere Schlüsse ziehen will als die angefochtene Entscheidung. Denn damit wird ein - angeblicher - Mangel in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung angesprochen, der revisionsrechtlich grundsätzlich dem materiellen Recht zuzuordnen ist und deshalb die Annahme eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO regelmäßig nicht rechtfertigen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. Januar 2009 - 5 B 48.08 - Rn. 6 und vom 23. Dezember 2011 - 5 B 24.11 - ZOV 2012, 98 m.w.N.). Ein einen Verfahrensfehler begründender Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann zwar ausnahmsweise insbesondere dann gegeben sein, wenn die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruht, objektiv willkürlich ist oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Naturoder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, missachtet (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2012 - 5 C 2.11 - BVerwGE 143, 119 Rn. 18 und Beschluss vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 - Rn. 22 m.w.N.). Derartige Fehler werden hier jedoch von der Beschwerde nicht substantiiert aufgezeigt.

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bb) Die Kritik der Beschwerde, dem Berufungsgericht hätten zur Würdigung der ärztlichen Unterlagen die nötigen Sachkenntnisse gefehlt, führt dies ebenfalls nicht auf einen Verfahrensmangel. Für die auch insoweit vom Kläger gerügte Verletzung der Amtsaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) fehlt es schon - wie bereits oben erörtert - an der Darlegung, welche konkreten Aufklärungsmaßnahmen das Berufungsgericht hätte vornehmen sollen, welche Tatsachenfeststellungen voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Berufungsgerichts zu einer für den Kläger günstigeren Entscheidung hätten führen können.

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Auch soweit die Beschwerde mit der vorgenannten Kritik geltend machen will, das Berufungsgericht habe es in unzulässiger Weise unterlassen, Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu erheben, greift die Aufklärungsrüge nicht durch. Dem Erfolg dieser Rüge steht bereits entgegen, dass es der Kläger versäumt hat, im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf eine solche Beweiserhebung hinzuwirken und die Beschwerde auch nicht schlüssig darlegt, dass sich dem Berufungsgericht eine Beweiserhebung durch Sachverständige hätte aufdrängen müssen. Darüber hinaus berücksichtigt die Beschwerde nicht, dass das Tatsachengericht nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu entscheiden hat, ob es sich selbst die für die Aufklärung und Würdigung des Sachverhalts erforderliche Sachkunde zutraut. Dieses Ermessen überschreitet das Gericht erst dann, wenn es sich eine ihm nicht zur Verfügung stehende Sachkunde zuschreibt und sich nicht mehr in den Lebensund Erkenntnisbereichen bewegt, die den ihm angehörenden Richtern allgemein zugänglich sind (vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 2009 - 9 B 64.08, 9 B 34.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 371 S. 18 <S. 20> m.w.N.). Dies wiederum zeigt die Beschwerde im Hinblick auf die vom Berufungsgericht vorgenommene Prüfung, ob die ärztlichen Unterlagen eine nachvollziehbare Tatsachengrundlage dafür bilden, ob im Falle einer diagnostizierten Legasthenie der Begriff der Krankheit im beihilferechtlichen Sinne erfüllt ist, nicht auf. Die Beschwerde legt nicht hinreichend dar, warum das Berufungsgericht insoweit eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch genommen haben oder seine diesbezügliche Sachkunde sonst ernstlich zweifelhaft sein soll (vgl. zu dieser Anforderung BVerwG, Beschlüsse vom 24. November 1997 - 1 B 224.97 - Rn. 6 und vom 5. Juni 2014 - 5 B 75.13 - Rn. 7). Ihre allgemeinen und pauschalen Äußerungen, dass dem Berufungsgericht medizinische Kenntnisse zur Würdigung des Sachverhalts fehlten, genügen dazu nicht.

12

2. Ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt auch nicht vor, soweit die Beschwerde eine Verletzung der richterlichen Hinweispflicht rügt.

13

Die Hinweispflicht (§ 86 Abs. 3 VwGO) konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (BVerwG, Urteil vom 11. November 1970 - 6 C 49.68 - BVerwGE 36, 264 <266 f.>; Beschluss vom 21. September 2011 - 5 B 11.11 - Rn. 3 m.w.N.). Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör folgt jedoch auch in der Ausprägung, die er in § 86 Abs. 3 VwGO gefunden hat, grundsätzlich keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten vorab mitzuteilen, wie es bestimmte Erkenntnismittel in Bezug auf Einzelheiten des Parteivortrags versteht und rechtlich bewertet, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. Dezember 1999 - 9 B 467.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 S. 2, vom 26. November 2001 - 1 B 347.01, 1 PKH 46.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52 S. 4 und vom 9. Januar 2009 - 5 B 53.08 - Rn. 9). Eine Ausnahme hiervon gilt zwar dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf Anforderungen an den Sachvortrag oder auf sonstige rechtliche Gesichtspunkte stützen will, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf - selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen - nicht zu rechnen brauchte (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Juli 2004 - 9 B 23.04 - Rn. 2 m.w.N. und vom 21. September 2011 - 5 B 11.11 - Rn. 3). Dies war hier jedoch nicht der Fall.

14

Der Einwand des Klägers, das Berufungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft versäumt, ihn im Berufungsverfahren darauf hinzuweisen, dass sein Vortrag unzureichend gewesen sei und noch weiterer Sachvortrag für erforderlich erachtet werde, greift nicht durch. An den vorstehend ausgeführten Grundsätzen gemessen hat das Berufungsgericht nicht gegen die richterliche Hinweispflicht verstoßen. Vielmehr durfte der Kläger aufgrund des konkreten Prozessverlaufs nicht darauf vertrauen, dass sein Sachvortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren einschließlich der vorgelegten ärztlichen Dokumente auch im Berufungsverfahren für einen Erfolg in der Sache genügen würde. Zweifel daran mussten sich ihm bereits aufdrängen, weil der Verwaltungsgerichtshof die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, das der Klage stattgegeben hatte, wegen ernsthafter Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassen hat. In seinem Zulassungsbeschluss vom 12. Mai 2014 ist der Verwaltungsgerichtshof insoweit dem Zulassungsvorbringen des Beklagten gefolgt. Dieser habe nachvollziehbar geltend gemacht, die Auffassung des Verwaltungsgerichts sei auf einer unzureichenden Tatsachenbasis getroffen worden. Überdies hat der Verwaltungsgerichtshof im Zulassungsbeschluss zu der entscheidungserheblichen Frage ausgeführt, aus der Kurzstellungnahme der behandelnden Arztpraxis vom 6. September 2011 lasse sich nicht ersehen, dass und weshalb der festgestellten "Aufmerksamkeitsschwäche bzw. -störung" Krankheitswert zukommen solle und warum deshalb eine ergotherapeutische Maßnahme für notwendig erachtet werde. Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof dabei auch auf die erhöhten rechtlichen Anforderungen an die Verordnung von Heilmitteln hingewiesen. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung im oben genannten Sinne liegt nach alledem nicht vor. Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter hätte nach dem beschriebenen Prozessverlauf damit rechnen müssen, dass das Berufungsgericht den Vortrag des Klägers und die von ihm zur Stützung seiner Auffassung vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht als ausreichende Tatsachengrundlage erachten könnte. Entgegen der Ansicht des Klägers musste ihm das Berufungsgericht nach den deutlichen Äußerungen im Berufungszulassungsbeschluss nicht zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die Hinweispflicht auch noch darüber hinaus im Berufungsverfahren gesonderte Hinweise zur Bewertung der Sachlage erteilen.

15

3. Das Berufungsgericht hat schließlich auch nicht gegen die Regelung des § 128 VwGO verstoßen. Nach dieser Vorschrift prüft das Oberverwaltungsgericht den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht (Satz 1). Es berücksichtigt auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel (Satz 2).

16

Hierzu trägt der Kläger vor, das Berufungsgericht habe diese Vorschrift übersehen. Dass er neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgelegt habe, sei "ausschließlich dem Umstand geschuldet, dass das Gericht auf dieses Erfordernis nicht einmal hingewiesen" habe (Beschwerdebegründung S. 6). Dieses Vorbringen gibt jedoch für die Darlegung eines Verstoßes gegen § 128 Satz 2 VwGO nichts her, sondern enthält zunächst nur eine - wie oben dargelegt unzureichende - Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht. Der Kläger hat im Berufungsverfahren weder neue Tatsachen vorgebracht noch Beweismittel vorgelegt, welche das Berufungsgericht hätte berücksichtigen können. Er hat sich vielmehr darauf beschränkt, "vollumfänglich auf die Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts" zu verweisen (Schriftsatz vom 23. Juli 2014, Bl. 65 f. der Gerichtsakte).

17

Auf der Grundlage des Akteninhalts, wie er sich dem Berufungsgericht darstellte, hat dieses - entgegen der Ansicht des Klägers - den Streitfall in gleichem Umfang wie das Verwaltungsgericht geprüft. Der Vortrag des Klägers führt daher auch nicht auf einen Verstoß gegen § 128 Satz 1 VwGO, sondern stellt nur einen - wie oben erläutert - untauglichen Versuch dar, einerseits eine angeblich unzureichende (weitere) Sachaufklärung durch das Berufungsgericht zu rügen und andererseits dessen Würdigung des ermittelten Sachverhalts, die von derjenigen des Klägers wie auch des Verwaltungsgerichts abweicht, anzugreifen. Aus diesem Grunde verfängt auch das Vorbringen der Beschwerde nicht, das Berufungsgericht habe eine vollumfängliche Prüfung des Streitfalles nicht vorgenommen, weil es die Ausführungen des Verwaltungsgerichts, das der Klage in vollem Umfang stattgegeben habe, gänzlich unberücksichtigt gelassen habe (Beschwerdebegründung S. 6). Letzteres trifft auch in der Sache nicht zu. Das Berufungsgericht hat aus dem festgestellten Sachverhalt nur andere rechtliche Schlüsse gezogen, als sie der Kläger zu akzeptieren vermag.

18

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

19

4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

Vormeier

Dr. Störmer

Dr. Fleuß

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