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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 15.12.2011, Az.: 2 BvR 2362/11
Notwendigkeit der Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde gegen eine Zwangsbehandlung mit einem Neuroleptikum nach dem SächsPsychKG
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.12.2011
Referenz: JurionRS 2011, 32560
Aktenzeichen: 2 BvR 2362/11
ECLI: [keine Angabe]

Fundstelle:

BtPrax 2012, 61-62

BVerfG, 15.12.2011 - 2 BvR 2362/11

Redaktioneller Leitsatz:

Auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsmedikation richten, ist es zunächst Sache der Fachgerichte, auch die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache unter Beachtung der Darlegungsanforderungen für Vorlagen im Verfahren der konkreten Normenkontrolle dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

In dem Verfahren
über
die Verfassungsbeschwerde

des Herrn K...

gegen

die medizinische Zwangsbehandlung mit einem Neuroleptikum

und

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

die Richterin Lübbe-Wolff
und die Richter Landau,
Huber

gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 15. Dezember 2011 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

1

Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Zwangsbehandlung eines auf der Grundlage des Sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten (SächsPsychKG) vom 10. Oktober 2007 (SächsGVBl S. 422, zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 14. Dezember 2010, SächsGVBl S. 414, 432) Untergebrachten.

2

1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat. Sie ist unzulässig, weil nicht ersichtlich ist, dass der Beschwerdeführer den Rechtsweg erschöpft hätte.

3

a) Hinsichtlich der konkreten Zwangsbehandlung mit einem Neuroleptikum, gegen die der Beschwerdeführer sich mit der Verfassungsbeschwerde wendet, hat er bisher, soweit aus seinem Vorbringen erkennbar, den Rechtsweg nicht beschritten. Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgelegten Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts betreffen die vorläufige Unterbringung des Beschwerdeführers in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses nach §§ 10, 17 SächsPsychKG sowie die Zustimmung des Amtsgerichts zur Untersuchung und Heilbehandlung des Beschwerdeführers nach § 16 SächsPsychKG. Die vom Beschwerdeführer beanstandete Zwangsbehandlung setzt jedoch über die Zustimmung nach § 16 SächsPsychKG hinaus eine konkrete Anordnung voraus (§ 22 Abs. 4 SächsPsychKG). Gegen die konkrete Anordnung der - mit der Verfassungsbeschwerde auch nicht näher beschriebenen - Zwangsbehandlung hat der Beschwerdeführer jedoch bisher nicht um fachgerichtlichen Rechtsschutz gemäß § 327 Abs. 1 FamFG bei dem nach § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 GVG zuständigen Amtsgericht nachgesucht.

4

b) Die Erschöpfung des fachgerichtlichen Rechtswegs ist hier nicht deshalb ausnahmsweise unzumutbar (§ 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG; BVerfGE 77, 275 [BVerfG 02.12.1987 - 1 BvR 1291/85] <282>; 78, 155 <160>), weil keine ausreichenden Möglichkeiten fachgerichtlichen Eilrechtsschutzes bestünden. Insbesondere wären die Fachgerichte nicht aus kompetenziellen Gründen gehindert, dem Beschwerdeführer vorläufigen Rechtsschutz auch im Hinblick auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Grundlagen seiner Zwangsbehandlung (zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 ff. sowie vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 633/11 -, [...]) zu gewähren.

5

Auf Anträge von Untergebrachten hin, die sich gegen eine Zwangsmedikation richten, ist es zunächst Sache der Fachgerichte, auch die Vereinbarkeit der jeweils herangezogenen landesrechtlichen Rechtsgrundlagen mit dem Grundgesetz zu prüfen, gegebenenfalls vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren (s. dazu, dass die Fachgerichte an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nicht durch das in der Hauptsache nach Art. 100 Abs. 1 GG bestehende Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts gehindert sind, BVerfGE 86, 382 [BVerfG 24.06.1992 - 1 BvR 1028/91] <389>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2005 - 1 BvR 1781/05 -, EuGRZ 2005, S. 634 f.) und bei negativem Ausgang der Prüfung die Sache unter Beachtung der Darlegungsanforderungen für Vorlagen im Verfahren der konkreten Normenkontrolle (vgl. nur BVerfGE 88, 70 [BVerfG 12.01.1993 - 1 BvL 7/92] <74>; 105, 61 <67>) dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen.

6

Die Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage kann von den Fachgerichten auch von Amts wegen - unabhängig von einer entsprechenden Rüge des jeweiligen Klägers - zu prüfen sein (vgl. BVerfGE 112, 50 [BVerfG 09.11.2004 - 1 BvR 684/98] <61>). Zwar kann Gerichten nicht angesonnen werden, rügeunabhängig oder unabhängig von näherer Substantiierung ein Gesetz ins Blaue hinein auf nicht offen zutage liegende verfassungsrechtliche Fehler - insbesondere etwa im Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens - zu prüfen (s. für die Substantiierungsbedürftigkeit von Rügen, die das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates betreffen, selbst vor dem Bundesverfassungsgericht BVerfGE 115, 118 [BVerfG 15.02.2006 - 1 BvR 357/05] <136>). Jedenfalls nachdem durch den Senatsbeschluss vom 23. März 2011 (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 23. März 2011 - 2 BvR 882/09 -, EuGRZ 2011, S. 321 ff.) die wesentlichen Anforderungen an die gesetzlichen Grundlagen einer Zwangsbehandlung geklärt sind, muss von den Fachgerichten aber erwartet werden, dass sie diese bei Entscheidungen, die die Zwangsbehandlung von Untergebrachten betreffen, von Amts wegen im Auge behalten und entsprechend verfahren.

7

2. Durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

8

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

9

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Lübbe-Wolff

Landau

Huber

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