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Bundesverfassungsgericht
Beschl. v. 29.12.2009, Az.: 2 BvR 574/09
Verfassungsbeschwerde gegen die Ablehnung einer Aussetzung des Vollzugs einer Sicherungsverwahrung mangels Durchführung einer Therapie
Gericht: BVerfG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.12.2009
Referenz: JurionRS 2009, 31791
Aktenzeichen: 2 BvR 574/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Erfurt - 27.10.2008 - AZ: StVK 527/07

OLG Jena - 24.02.2009 - AZ: 1 Ws 559/08

nachgehend:

BVerfG - 29.12.2009 - AZ: 2 BvR 675/09

Fundstelle:

AnwBl 2010, 84-85

Hinweis:

Hinweis: Verbundenes Verfahren

Verbundverfahren:
BVerfG - 29.12.2009 - AZ: 2 BvR 675/09

Verfahrensgegenstand:

Verfassungsbeschwerden
1. des Herrn R...
...
gegen den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 24. Februar 2009 - 1 Ws 559/08 -
- 2 BvR 574/09 -,
2. des Herrn R...,
gegen
a) den Beschluss des Thüringer Oberlandesgerichts vom 24. Februar 2009 - 1 Ws 559/08 -,
b) den Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 27. Oktober 2008 - StVK 527/07 -
und Antrag auf Zulassung eines Beistands
- 2 BvR 675/09 -

BVerfG, 29.12.2009 - 2 BvR 574/09

In den Verfahren
...
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts
durch
den Vizepräsidenten Voßkuhle,
den Richter Mellinghoff und
die Richterin Lübbe-Wolff
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG
in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473)
am 29. Dezember 2009
einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.

Der Antrag auf Zulassung von Frau S. und Herrn S. als Beistände wird abgelehnt.

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt.

2

1.

Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 675/09 ist unzulässig.

3

a)

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Frau S. und des Herrn S. als Beistände nach § 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG ist unbegründet.

4

Die Zulassung nach § 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG, die in das pflichtgemäße Ermessen des Bundesverfassungsgerichts gestellt ist, kommt nur in Betracht, wenn sie objektiv sachdienlich ist (vgl. BVerfGE 8, 92 [BVerfG 22.07.1958 - 1 BvR 49/58] <94>; 68, 360 <361>). Diese Voraussetzung ist hier schon deshalb nicht erfüllt, weil der Beschwerdeführer gegen die hier angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts bereits eine Verfassungsbeschwerde vertreten durch einen Rechtsanwalt eingelegt hat (2 BvR 574/09).

5

Eine Umdeutung des Antrags in eine Bevollmächtigung als Prozessvertreter ist nicht möglich. Zum einen ist der Antrag eindeutig formuliert, zum anderen verfügen die als Beistände benannten Personen nicht über die nach § 22 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG erforderliche Qualifikation als Rechtsanwälte oder Lehrer des Rechts an einer deutschen Hochschule.

6

b)

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht innerhalb der Frist gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG eingelegt worden ist. Der Schriftsatz ist von nicht vertretungsberechtigen Personen eingereicht und unterzeichnet worden (vgl. BVerfGE 8, 92 [BVerfG 22.07.1958 - 1 BvR 49/58] <93 f.>). Außerdem ist ausweislich einer im Verfahren 2 BvR 574/09 vorgelegten Kopie die Entscheidung des Thüringer Oberlandesgerichts dem Verteidiger des Beschwerdeführers, der auch der Verfahrensbevollmächtigte in dem Verfahren 2 BvR 574/09 ist, am 25. Februar 2009 zugegangen. Der hier vorliegende Schriftsatz ist beim Bundesverfassungsgericht erst am 27. März 2009 und damit verspätet eingegangen.

7

2.

Die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 574/09 ist offensichtlich unbegründet.

8

a)

Die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts ist Sache der Strafgerichte und wird vom Bundesverfassungsgericht nur daraufhin überprüft, ob das Strafvollstreckungsgericht in objektiv unvertretbarer Weise vorgegangen ist oder die verfassungsrechtliche Bedeutung und Tragweite des durch Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 104 Abs. 2 GG verbürgten Freiheitsrechts verkannt hat (vgl. BVerfGE 18, 85 [BVerfG 10.06.1964 - 1 BvR 37/63] <92 f., 96>; 72, 105 <113 ff.>). Will das Gericht die Ablehnung der Aussetzung darauf stützen, dass der Beschwerdeführer eine erforderliche Therapie noch nicht durchgeführt hat, trifft es von Verfassungs wegen die Pflicht, die diesbezüglichen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörden zu überprüfen und auf diese in geeigneter Weise einzuwirken, um dem Beschwerdeführer eine solche Therapie zu ermöglichen. Denn nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG ist allein der zuständige Richter zur Entscheidung über die Fortdauer der Freiheitsentziehung berufen; er muss die vollständige Verantwortung für die Rechtfertigung der Freiheitsentziehung übernehmen können. Daher verbietet es sich, dass die Exekutive über eine - ungeprüfte, möglicherweise rechtswidrige - Einflussnahme auf die Tatsachengrundlage der richterlichen Entscheidung über den Freiheitsentzug deren Inhalt und Ergebnis faktisch vorwegnimmt (vgl. zur Versagung von Lockerungen BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2009 - 2 BvR 2009/08 -, NJW 2009, S. 1941 <1942 f.>).

9

b)

In den angegriffenen Entscheidungen wird eine Sozialtherapie als Voraussetzung für eine mögliche Entlassung des Beschwerdeführers angesehen. Bisher konnte der Beschwerdeführer eine solche Therapie noch nicht aufnehmen. Die Gerichte sind jedoch ihrer eigenständigen Prüfungspflicht (aa.) sowie ihrer Einwirkungspflicht auf die Vollzugsbehörden (bb.) in ausreichendem Maße nachgekommen.

10

aa)

In beiden gerichtlichen Entscheidungen wird berücksichtigt, dass dem Beschwerdeführer die Aufnahme einer Sozialtherapie durch mehrfache Verlegungen erschwert wurde. Es wird festgestellt, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Aufnahme in die sozialtherapeutische Abteilung im Jahr 2003 wegen fehlender Therapiemotivation abgelehnt wurde, so dass nicht erkennbar ist, dass es sich bei der Ablehnung um eine rechtswidrige Entscheidung gehandelt hätte. Dass die Gerichte nach wie vor eine Therapie für erforderlich halten, um dem Beschwerdeführer eine ausreichend günstige Prognose stellen zu können, ist nicht willkürlich. Vielmehr wird es mit seiner Persönlichkeitsstörung begründet, aus der die Gefahr weiterer Gewaltdelikte resultiere. Es liegt keine Verkennung der Tragweite des Freiheitsgrundrechts darin, dass das Gericht in diesem Fall das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit schwerer gewichtet als die Beschränkungen, die sich aus dem weiteren Vollzug der Sicherungsverwahrung für das Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers ergeben.

11

Die Bewertung einzelner für und gegen eine günstige Prognose sprechender Aspekte obliegt den Fachgerichten und entzieht sich der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht.

12

Das Oberlandesgericht hat in den Tenor seines Beschlusses mit aufgenommen, dass die nächste Prüfung nach § 67e Abs. 2 StGB zum 1. Februar 2010 zu erfolgen habe, somit zwei Jahre nach Beginn der Vollstreckung der Maßnahme. Dies ist ein geeignetes Mittel, um eine unverhältnismäßig lange Dauer der Sicherungsverwahrung zu verhindern.

13

bb)

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts enthält zudem einen deutlichen Hinweis darauf, dass die Justizvollzugsanstalten verpflichtet sind, dem Beschwerdeführer die Durchführung einer Sozialtherapie zu ermöglichen, sofern nicht in seiner Person liegende Gründe entgegen stehen. Da der letzte Antrag des Beschwerdeführers auf Aufnahme in eine sozialtherapeutische Abteilung wegen mangelnder Therapiemotivation abgelehnt wurde, sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen, wonach die richterliche Entscheidung über die Aussetzung einer Freiheitsstrafe nicht nach Belieben durch behördliche Einflussnahme auf die Tatsachengrundlage dieser Entscheidung präjudiziert werden darf (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. April 2009 - 2 BvR 2009/08 -, NJW 2009, S. 1941 <1944 f.>), nicht verletzt. Die Therapiemotivation ist anerkanntermaßen eine grundlegende Voraussetzung für die Aufnahme einer Therapie (vgl. Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 11. Aufl. 2008, § 9 Rn. 17 ff.). Aus dem Gutachten vom 28. Januar 2008 und dem Verhalten des Beschwerdeführers in den letzten Jahren ist für die Gerichte bisher nicht erkennbar, dass die erforderliche Therapiemotivation nunmehr vorliegt. Deshalb ist es vertretbar, dass sich das Gericht auf einen Hinweis an die Vollzugsbehörden beschränkt hat, um dafür zu sorgen, dass dem Beschwerdeführer die für eine Entlassung für erforderlich gehaltene Therapie im Falle ausreichender Therapiemotivation ermöglicht wird.

14

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

15

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Voßkuhle
Mellinghoff
Lübbe-Wolff

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