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Bundessozialgericht
Beschl. v. 13.04.2016, Az.: B 3 P 6/16 B
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 13.04.2016
Referenz: JurionRS 2016, 16363
Aktenzeichen: B 3 P 6/16 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Nordrhein-Westfalen - 08.01.2016 - AZ: L 5 P 23/14

SG Dortmund - AZ: S 39 P 245/12

BSG, 13.04.2016 - B 3 P 6/16 B

in dem Rechtsstreit

Az: B 3 P 6/16 B

L 5 P 23/14 (LSG Nordrhein-Westfalen)

S 39 P 245/12 (SG Dortmund)

..........................................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte: ....................................................,

gegen

AOK NORDWEST - Die Gesundheitskasse,

Kopenhagener Straße 1, 44269 Dortmund,

Beklagte und Beschwerdegegnerin.

Der 3. Senat des Bundessozialgerichts hat am 13. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. W e n n e r sowie den Richter S c h r i e v e r und die Richterin Dr. W a ß e r

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 2016 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I

1

Der 1968 geborene, bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger, der seit einem Motorradunfall im Jahr 1997 querschnittsgelähmt ist und über das Sozialamt Grundsicherungsleistungen einschließlich der Hilfe zur Pflege bezieht, begehrt die Zahlung von Pflegegeld ab Juli 2011. In einem von der Beklagten veranlassten Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) wurde nach einer häuslichen Begutachtung am 20.10.2011 ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 33 Minuten täglich und im Bereich der Hauswirtschaft von 51 Minuten täglich festgestellt. Ein weiteres Gutachten des MDK bestätigte nach häuslicher Begutachtung am 13.3.2012 einen Grundpflegebedarf von 39 Minuten täglich und den festgestellten Bedarf in der hauswirtschaftlichen Versorgung. Dementsprechend lehnte die Beklagte Leistungen nach der Pflegestufe I ab (Bescheid vom 26.10.2011), und der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6.6.2012).

2

Klage und Berufung sind ebenfalls erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 16.12.2013; Beschluss des LSG vom 8.1.2016). Das SG hat ein Sachverständigengutachten vom 20.7.2013 nach persönlicher Untersuchung des Klägers eingeholt, in dem ein Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von 26 Minuten täglich und im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von 45 Minuten täglich festgestellt war. Das Berufungsgericht hat auf Antrag des Klägers ein Sachverständigengutachten nach § 109 SGG von einem vom Kläger benannten Arzt eingeholt. Dieser ist nach persönlicher Untersuchung des Klägers am 27.5.2014 zur Einschätzung eines Hilfebedarfs im Bereich der Grundpflege von 46 Minuten täglich gekommen, hat aber im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung ausdrücklich keinen Hilfebedarf festgestellt. Das Berufungsgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach der Pflegestufe I seien nicht erfüllt. Vielmehr sei dem vom SG eingeholten nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten zu folgen. Aus den dagegen vom Kläger vorgetragenen Einwendungen ergebe sich kein Nachweis für einen höheren Pflegebedarf. Der Kläger könne sein Begehren auch nicht auf das nach § 109 SGG eingeholte Gutachten stützen, da danach kein Bedarf in der hauswirtschaftlichen Versorgung festgestellt worden sei. Zudem beruhe das Gutachten auf einem Rechenfehler beim Umrechnen des wöchentlichen Hilfebedarfs beim Baden in den täglichen Hilfebedarf. Bei richtiger Umrechnung sei dieser um 2 Minuten geringer, sodass der erforderliche Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten nicht erreicht werde. Dabei komme es nicht mehr darauf an, dass der Zeitaufwand hierfür angesichts der vom Kläger selbst eingeräumten Fähigkeiten zur Teilwäsche zu hoch gegriffen sei.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

II

4

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Kläger den geltend gemachten Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels nicht formgerecht bezeichnet hat (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG).

5

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist darzulegen, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht (vgl zB BSG Beschluss vom 26.10.2015 - B 10 ÜG 13/15 B sowie BSG SozR 1500 § 160a Nr 14). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbsatz 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 Satz 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

6

1. Der Kläger rügt eine Verletzung seines Fragerechts nach § 116 Abs 2, § 118 Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO und damit eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG) und führt dazu aus, das LSG habe "zu Unrecht jedenfalls die Pflegefachkraft W. mit dem Gutachten vom 20.7.2013 nach § 103 SGG nicht ergänzend befragt." Der Kläger habe in seinen schriftlichen Ausführungen dazu Stellung genommen, "dass die begutachtenden Pflegekräfte die tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten der häuslichen Umgebung des Klägers nicht in die zeitlichen Bewertungen zur Mobilität im Bereich der Grundpflege eingestellt haben".

7

Damit hat der Kläger Tatsachen, die einen solchen Verfahrensmangel begründen könnten, nicht hinreichend dargelegt. Die Verletzung des Fragerechts einer Partei kommt nur dann in Betracht, wenn die Partei die Befragung des Sachverständigen beantragt hat (vgl Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl 2014, § 397 RdNr 1; § 411 RdNr 5 mwN). Die Befragung des Sachverständigen gehört zur Aufklärung des Sachverhaltes, die im sozialgerichtlichen Verfahren nach § 103 SGG grundsätzlich von Amts wegen erfolgt. Auch das Einholen einer ergänzenden Stellungnahme eines Sachverständigen zu seinem Gutachten steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 118 RdNr 12c). Ein Verfahrensmangel kann auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Demnach ist im Rahmen der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde der entsprechende Beweisantrag genau zu bezeichnen. Vor allem in Verfahren, in denen bereits mehrere medizinische Gutachten und ergänzende Stellungnahmen mit abweichenden Beurteilungen vorliegen, ist eine Konkretisierung des Beweisthemas unabdingbar, da eine pauschale Wiederholung bisher gestellter Beweisfragen nicht erkennen lässt, inwieweit überhaupt noch Aufklärungsbedarf vorliegt (vgl BSG Beschluss vom 28.9.2015 - B 9 SB 41/15 B). Das Übergehen von Beweisanträgen soll die Revisionsinstanz nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG nur eröffnen, wenn das LSG vor der Entscheidung durch einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht noch nicht als erfüllt ansieht. Im Sinne dieser Warnfunktion ist ein solcher Beweisantrag grundsätzlich von einer bloßen Beweisanregung abzugrenzen und muss nach der Rechtsprechung des BSG in der letzten mündlichen Verhandlung oder bei einer Entscheidung nach § 153 Abs 4 SGG nach Erhalt der Anhörungsmitteilung ausdrücklich aufrechterhalten werden (vgl zB BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 sowie Leitherer, aaO, § 160 RdNr 18a). Diese Grundsätze gelten auch für die Befragung eines Sachverständigen (vgl Keller, aaO, § 118 RdNr 12 d ff).

8

Der während des Verfahrens anwaltlich vertretene Kläger legt in seiner Beschwerdebegründung nicht dar, in welchem seiner Schriftsätze ein solcher Antrag zur Ausübung des Fragerechts liegen könnte. Nach der Einholung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens vom 20.7.2013 können die hiergegen vom Kläger erhobenen Einwendungen nicht ohne Weiteres als Beweisantrag gerichtet auf die weitere Befragung des Sachverständigen verstanden werden. Der Kläger hat nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, dass es ihm darum gehe, den Sachverständigen mit seinen Einwendungen zu konfrontieren. Schließlich hatte das Berufungsgericht danach noch auf Antrag des Klägers ein Gutachten nach § 109 SGG eingeholt. In der Beschwerdebegründung wird nicht dargelegt, ob und ggf welche Fragen der Kläger noch von welchem Gutachter beantwortet haben wollte. Es wird auch nicht gerügt, der Gutachter sei von tatsächlich nicht vorliegenden örtlichen Gegebenheiten ausgegangen. Der Rüge, die häusliche Umgebung sei bei den zeitlichen Bewertungen der Mobilität nicht hinreichend berücksichtigt, fehlt es an jeglicher Konkretisierung.

9

Das kann aber letztlich sogar dahinstehen, denn jedenfalls hat der Kläger ein mögliches Begehren, den Sachverständigen zu befragen, nach Erhalt der Anhörungsmitteilung vom 19.10.2015, nicht ausdrücklich aufrechterhalten. Er ist mit diesem Schreiben davon unterrichtet worden, dass der Senat die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs 4 SGG erwäge und hat sich darauf nicht geäußert.

10

2. Soweit der Kläger einen Verfahrensfehler in der unterlassenen Einholung eines Obergutachtens nach § 118 SGG iVm § 412 Abs 1 ZPO sieht, kann auf die Ausführungen zum Fragerecht verwiesen werden. Auch insoweit kann eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach § 103 SGG im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nur gerügt werden, wenn ein entsprechender Beweisantrag gestellt wurde. Auch dies ist weder in der Beschwerdebegründung dargelegt noch den Akten zu entnehmen.

11

3. Zu dem geltend gemachten Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör fehlen jegliche Darlegungen, die über die bisherigen Ausführungen hinausgehen könnten.

12

4. Soweit der Kläger einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz darauf stützt, dass der Sachverständige nach § 109 SGG keine Feststellungen zum hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf des Klägers getroffen habe, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit. Für die formgerechte Bezeichnung eines Verfahrensmangels ist es erforderlich darzulegen, warum die Entscheidung auf dem geltend gemachten Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Daran mangelt es insbesondere, wenn die Entscheidung der Berufungsinstanz auf verschiedene Begründungen gestützt wird, die jede für sich den Urteilsausspruch tragen, aber nicht alle von dem geltend gemachten Verfahrensfehler betroffen sind (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX. Kap, RdNr 69 f). In solchen Fällen ist die Zulassung der Revision nur möglich, wenn für jede Begründung ein Zulassungsgrund vorliegt und dies vom Beschwerdeführer auch entsprechend vorgetragen worden ist (BSG SozR 1500 § 160a Nr 5 und 38; BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 160a RdNr 13 f).

13

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung in erster Linie auf das gerichtliche Gutachten vom 20.7.2013 gestützt. Soweit es darüber hinaus die Ablehnung des geltend gemachten Anspruchs auch durch das Gutachten nach § 109 SGG bestätigt sieht, hat es dies nicht nur mit dem fehlenden hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf des Klägers begründet. Es hat vielmehr daneben ausgeführt, dass auch nach dem nach § 109 SGG eingeholten Gutachten der erforderliche Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten nach der Korrektur des Rechenfehlers nicht erreicht werde. Dies trägt als eigenständige Begründung bereits die Ablehnung des Anspruchs. Weitere Ermittlungen zum hauswirtschaftlichen Versorgungsbedarf allein hätten der Berufung daher nicht zum Erfolg verhelfen können. Bezüglich des Rechenfehlers hat der Kläger keinen Revisionszulassungsgrund dargelegt.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Prof. Dr. Wenner
Schriever
Dr. Waßer

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