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Bundessozialgericht
Beschl. v. 05.11.2015, Az.: B 9 V 60/15 B
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.11.2015
Referenz: JurionRS 2015, 32018
Aktenzeichen: B 9 V 60/15 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Hessen - 15.07.2015 - AZ: L 1 VE 23/13

SG Marburg - AZ: S 1 VE 5/12

BSG, 05.11.2015 - B 9 V 60/15 B

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 V 60/15 B

L 1 VE 23/13 (Hessisches LSG)

S 1 VE 5/12 (SG Marburg)

......................,

Klägerin und Beschwerdeführerin,

Prozessbevollmächtigte: ..................................,

gegen

Land Hessen,

vertreten durch das Regierungspräsidium Gießen - Landesversorgungsamt Hessen -,

Landgraf-Philipp-Platz 1 - 7, 35390 Gießen,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 5. November 2015 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. S c h l e g e l sowie die Richter O t h m e r und Dr. R ö h l

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15. Juli 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

1

Die 1962 geborene Klägerin begehrt die Anerkennung eines Impfschadens und Versorgung nach dem Infektionsschutzgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz. Sie wurde aufgrund ihrer Tätigkeit als Krankenpflegehelferin am 17.8.2000, 13.9.2000 und 12.2.2001 mit dem Wirkstoff Twinrix Adulto gegen Hepatitis A und B geimpft. Am 19.3.2004 beantragte die Klägerin die Anerkennung einer Multiplen Sklerose als Impfschaden, welche aufgrund der Hepatitis-B-Impfung vom 17.8.2000 entstanden sei. Das Hessische LSG hat durch seine Berichterstatterin mit Urteil vom 15.7.2015 ohne mündliche Verhandlung den geltend gemachten Anspruch der Klägerin unter Verweis auf die Entscheidungsgründe des SG Marburg im Urteil vom 22.5.2013 (S 1 VE 5/12) verneint, weil das SG zu Recht die Klage bezüglich der Hepatitis-B-Impfung vom 17.8.2000 abgewiesen habe. Soweit sich die Klage auf andere Impfungen als die Hepatitis-B-Impfung vom 17.8.2000 beziehe, sei sie bereits unzulässig, weil hinsichtlich dieser Impfungen weder ein Entschädigungsantrag gestellt noch ein Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei.

2

Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG, die sie mit einer Verletzung ihres rechtlichen Gehörs und damit sinngemäß mit einem Verfahrensfehler (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) begründet.

II

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

4

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

5

1. Die Klägerin rügt, das LSG hätte unter Beachtung ihres zweitinstanzlich gemachten Vortrags sowie ihres erweiterten Klageantrags zwingend weitere Ermittlungen von Amts wegen nach den §§ 103, 106 SGG durchführen müssen. Dies hätte dazu geführt, dass es zu einer Bejahung des Kausalzusammenhangs zwischen den streitgegenständlichen Impfungen und dem bei der Klägerin gegebenen neurologischen Beschwerdebild gekommen wäre.

6

Mit diesem Vortrag hat die Klägerin einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) nicht in der gebotenen Weise dargelegt. Sie hat bereits nicht hinreichend aufgezeigt, dass sie einen entsprechenden (prozessordnungsgemäßen) Beweisantrag gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG gestellt und bis zuletzt vor dem Berufungsgericht auch aufrechterhalten habe. Ein - wie die Klägerin - in der Berufungsinstanz bereits anwaltlich vertretener Beteiligter kann nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seinem Urteil wiedergibt (stRspr, vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Nach Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG soll die Sachaufklärungsrüge die Revisionsinstanz nur dann eröffnen, wenn das Tatsachengericht vor seiner Entscheidung durch einen Beweisantrag ausdrücklich darauf hingewiesen worden ist, dass ein Beteiligter die Sachaufklärungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 9 S 21; Nr 31 S 52).

7

Die Klägerin hat keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG bezeichnet. Auch fehlt es an der Angabe, zu welchem ergänzenden Beweisthema eine weitere gutachterliche Stellungnahme vom LSG hätte eingeholt werden müssen.

8

2. Soweit die Klägerin (auch) eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) darin sieht, dass das Berufungsgericht auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung des SG Marburg verwiesen hat, ohne sich mit dem relevanten Vortrag der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren auseinanderzusetzen, genügt ihr Vorbringen ebenfalls nicht den Darlegungserfordernissen. § 62 SGG konkretisiert den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG). Die Vorschrift soll verhindern, dass die Beteiligten durch die Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190) und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen mit einbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn er sich aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des Vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt oder den Vortrag eines Beteiligten als nicht existent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]) oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146 [BVerfG 19.05.1992 - 1 BvR 986/91]). Art 103 Abs 1 GG schützt indes nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).

9

Mit der bloßen Behauptung, das LSG habe sich mit ihrem wesentlichen und streitentscheidenden Vortrag in der Berufungsinstanz, insbesondere durch die vorgelegten Ausführungen des Herrn Fridrich, hinsichtlich des Kausalzusammenhangs der Hepatitits-B-Impfungen und dem bei ihr bestehenden Erkrankungsbild nicht auseinandergesetzt und demzufolge eine für sie ungünstige Entscheidung getroffen, hat die Klägerin eine Verletzung des § 62 SGG nicht schlüssig dargelegt. Damit kann ein Beteiligter nur dann durchdringen, wenn er vor dem LSG alle prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um sich Gehör zu verschaffen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 62 RdNr 11d mwN). Inwiefern sie dies getan habe, legt die Klägerin nicht dar. Auch setzt sie sich nicht mit der Entscheidung des LSG im Rahmen der Bezugnahme auf die SG-Entscheidungsgründe inhaltlich auseinander. Sie führt insbesondere nicht konkret aus, welches entscheidungserhebliche Vorbringen im Rahmen der Berufung vom LSG nicht beachtet worden ist, zumal dieses die Ausführungen des Herrn Fridrich im Tatbestand aufführt, und welches Ergebnis die Entscheidung inhaltlich unter Beachtung ihres Vorbringens nach der Rechtsansicht des LSG gehabt hätte. Soweit die Klägerin eine Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) rügen wollte, so kann sie hierauf eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht stützen. Gleiches gilt auch für die Rüge der inhaltlichen Fehlerhaftigkeit durch fehlerhafte Anwendung des maßgeblichen Beweismaßstabs (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap III, RdNr 162). Soweit die Klägerin die Durchführung einer Beweisaufnahme vermissen sollte, ist sie nicht darauf eingegangen, dass sie überhaupt vor dem LSG Beweisanträge aufrechterhalten bzw gestellt hat (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 22).

10

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

11

4. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 iVm § 169 SGG).

12

5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Prof. Dr. Schlegel
Othmer
Dr. Röhl

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