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Bundessozialgericht
Beschl. v. 18.09.2015, Az.: B 9 SB 45/15 B
Höherer Grad der Behinderung; Gehörsrüge; Inhalt des Anspruchs auf rechtliches Gehör; Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 18.09.2015
Referenz: JurionRS 2015, 27132
Aktenzeichen: B 9 SB 45/15 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Baden-Württemberg - 13.05.2015 - AZ: L 3 SB 2796/13

SG Freiburg - AZ: S 17 SB 3083/12

BSG, 18.09.2015 - B 9 SB 45/15 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten, und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird.

2. Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden.

3. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt, z.B. wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt, oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist.

4. Art. 103 Abs. 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt.

in dem Rechtsstreit

Az: B 9 SB 45/15 B

L 3 SB 2796/13 (LSG Baden-Württemberg)

S 17 SB 3083/12 (SG Freiburg)

......................................................,

Kläger und Beschwerdeführer,

Prozessbevollmächtigte: ...................................,

gegen

Land Baden-Württemberg,

vertreten durch das Regierungspräsidium, Landesversorgungsamt,

Ruppmannstraße 21, 70565 Stuttgart,

Beklagter und Beschwerdegegner.

Der 9. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18. September 2015 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. S c h l e g e l sowie die Richter O t h m e r und Dr. R ö h l

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Mai 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander für das Beschwerdeverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe

I

1

Der Kläger begehrt einen höheren Grad der Behinderung (GdB).

2

Beim Kläger war seit dem 1.1.2005 wegen einer Mund-Rachenerkrankung in Heilungsbewährung ein Einzel-GdB von 80 anerkannt (Bescheid vom 21.10.2005).

3

Nach Ablauf der Periode der Heilungsbewährung senkte der Beklagte den GdB auf 30 ab (Bescheid vom 14.3.2011, Widerspruchsbescheid vom 13.6.2012). Die Klage des Klägers blieb erfolglos (Gerichtsbescheid vom 1.7.2013).

4

Mit dem angefochtenen Urteil hat das LSG den Gerichtsbescheid und den Bescheid des Beklagten insoweit abgeändert, als darin der GdB von 80 auf weniger als 50 herabgesetzt worden ist (Urteil vom 13.5.2015). Die beim Kläger infolge seiner Tumorerkrankung fortbestehende Schluckstörung rechtfertige weiterhin einen GdB von 50.

5

Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe sein rechtliches Gehör verletzt sowie § 114 SGG.

II

6

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil kein Zulassungsgrund ordnungsgemäß dargetan worden ist (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG).

7

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.

8

Daran fehlt es hier sowohl in Bezug auf die behauptete Gehörsverletzung (1.) sowie auf die Verletzung von § 114 SGG (2.).

9

1. Soweit der Kläger als Verfahrensmangel rügt, dass das LSG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 SGG; Art 103 Abs 1 GG) verletzt habe, entsprechen seine Ausführungen nicht den Darlegungsanforderungen. Denn dieser Anspruch soll lediglich verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (s § 128 Abs 2 SGG; vgl BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]; 96, 205, 216 f). Das Gericht muss jedoch nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden. Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfGE aaO), zB wenn ein Gericht das Gegenteil des vorgebrachten - ohne entsprechende Beweisaufnahme - annimmt, oder den Vortrag eines Beteiligten als nichtexistent behandelt (vgl BVerfGE 22, 267, 274 [BVerfG 19.07.1967 - 2 BvR 639/66]), oder wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, nicht eingeht, sofern der Tatsachenvortrag nach der Rechtsauffassung des Gerichts nicht unerheblich ist (BVerfGE 86, 133, 146 [BVerfG 19.05.1992 - 1 BvR 986/91]). Art 103 Abs 1 GG schützt indessen nicht davor, dass ein Gericht die Rechtsansicht eines Beteiligten nicht teilt (BVerfGE 64, 1, 12; 76, 93, 98).

10

Die Beschwerde wirft dem LSG vor, nicht - wie vom Kläger verlangt - zunächst die Rechtmäßigkeit des Ausgangsbescheids vom 21.10.2005 geprüft bzw die Überprüfung durch den Beklagten abgewartet zu haben, weil dies nach ihrer Ansicht zwangsläufig zur Feststellung eines höheren GdB geführt hätte. Die Beschwerde kritisiert deshalb die Ausführungen im Urteil des LSG, mit denen es der entsprechenden Argumentation des Klägers im Berufungsverfahren nicht gefolgt ist. Eine Gehörsverletzung legt die Beschwerde damit nicht dar, weil Art 103 Abs 1 GG das Gericht, wie ausgeführt, nicht dazu verpflichtet, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen, sondern sie lediglich zur Kenntnis zu nehmen und darauf im gebotenen Ausmaß einzugehen. Das hat das LSG getan, wie die inhaltliche Kritik der Beschwerde an den Urteilsgründen zeigt. Ansonsten ist es nicht Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7), ob das LSG den Einzelfall richtig entschieden hat. Die Ausführungen der Beschwerde zu dem nach ihrer Ansicht richtigerweise festzustellenden GdB sind deshalb im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ohne Belang.

11

2. Soweit der Kläger eine Verletzung von § 114 SGG rügt, fehlt es jedenfalls an der substantiierten Darlegung, warum daraus ein Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde erheblicher Verfahrensmangel resultieren könnte. Unbeschadet der Frage, ob hier überhaupt die Voraussetzungen des § 114 Abs 2 SGG in Gestalt eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses vorlagen, muss zur Rüge eines Verstoßes gegen die Ermessensvorschrift des § 114 Abs 2 S 1 SGG dargetan werden, dass grundsätzlich eingeräumtes Ermessen im besonderen Streitfall auf Null reduziert und das Gericht zu einer Aussetzung des Verfahrens verpflichtet war (vgl BSG Beschluss vom 13.11.2006 - B 13 R 423/06 B - Juris; BSG Beschluss vom 19.7.2006 - B 11a AL 7/06 B - Juris). Damit können Ermessensfehler als solche von vornherein keine Rolle spielen. Das Ermessen reduziert sich zudem nur dann zu einer Verpflichtung zur Aussetzung, wenn anders eine Sachentscheidung nicht möglich ist (BSG Beschluss vom 24.11.2011 - B 4 AS 177/11 B - Juris; vgl BVerwG Beschluss vom 17.12.1992 - 4 B 247/92 - Buchholz 310 § 94 VwGO Nr 6 = Juris). Dazu macht die Beschwerde keine Ausführungen.

12

Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§ 160a Abs 4 S 1 Halbs 2, § 169 SGG).

13

Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

14

3. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Prof. Dr. Schlegel
Othmer
Dr. Röhl

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