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Bundessozialgericht
Beschl. v. 05.02.2015, Az.: B 1 KR 129/14 B
Vergütungsrechtliche Bewertung eines Sachverhalts; Grundsätzliche Bedeutung bei ausgelaufenem Recht; Auslegung von Kodierrichtlinien
Gericht: BSG
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 05.02.2015
Referenz: JurionRS 2015, 11052
Aktenzeichen: B 1 KR 129/14 B
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LSG Hessen - 21.08.2014 - AZ: L 8 KR 128/13

SG Wiesbaden - AZ: S 18 KR 145/10

Rechtsgrundlage:

§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG

BSG, 05.02.2015 - B 1 KR 129/14 B

Redaktioneller Leitsatz:

1. Die bloße Frage nach der vergütungsrechtlichen Bewertung eines konkret individuellen Sachverhalts, rügt nur die Unrichtigkeit der LSG-Entscheidung; dies ist kein zulässiger Prüfungsgegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde.

2. Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage bedarf es generell besonderen Vorbringens, wenn es sich um ausgelaufenes Recht handelt.

3. Dementsprechend entbehren Rechtsfragen der grundsätzlichen Bedeutung, wenn die Tatbestandsmerkmale einer Einzelvergütungsvorschrift mit einer normativ vorgegebenen kurzen Geltungsdauer einer rechtstatsächlich stattfindenden fortlaufenden Überprüfung und eventuellen Anpassung mit der Folge unterliegen, dass im Zeitpunkt der Befassung des Revisionsgerichts mit der Norm eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung nicht mehr erkennbar ist.

4. Kodierrichtlinien und Fallpauschalen-Katalog, als Normenverträge für die Krankenhausvergütung vereinbart, sind streng nach Wortlaut und Normsystematik unter Achtung des Spezialitätsgrundsatzes auszulegen.

in dem Rechtsstreit

Az: B 1 KR 129/14 B

L 8 KR 128/13 (Hessisches LSG)

S 18 KR 145/10 (SG Wiesbaden)

.......................................................................................,

Klägerin und Beschwerdegegnerin,

Prozessbevollmächtigte: ................................................,

gegen

DAK-Gesundheit,

Nagelsweg 27 - 31, 20097 Hamburg,

Beklagte und Beschwerdeführerin.

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 5. Februar 2015 durch den Präsidenten M a s u c h sowie die Richter Prof. Dr. H a u c k und Dr. E s t e l m a n n

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. August 2014 wird als unzulässig verworfen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 878,89 Euro festgesetzt.

Gründe

I

1

Die Klägerin, Trägerin der H Klinik, eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses, behandelte die 1927 geborene, bei der beklagten Krankenkasse versicherte A (im Folgenden: die Versicherte) wegen unstillbaren Nasenblutens stationär in der Zeit vom 16. bis 20.12.2009. Die Versicherte nahm in der Zeit davor wegen chronischer Herzrhythmusstörungen fortlaufend ein Antikoagulans (Marcumar) ein. Ihre stationäre Behandlung bestand im Absetzen des Medikaments, der laborgestützten Gerinnungskontrolle und dem Anlegen einer Tamponade. Die Klägerin kodierte als Hauptdiagnose ICD-10-GM (2009) D68.3 (Hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper [Blutung bei Dauertherapie mit Antikoagulanzien ...]), steuerte dadurch die Fallpauschale DRG (2009) Q60C (Erkrankungen des retikuloendothelialen Systems, des Immunsystems und Gerinnungsstörungen mit komplexer Diagnose oder CC, ohne Milzverletzung, ohne Granulozytenstörung oder Alter > 15 Jahre) an und forderte von der Beklagten 2032,84 Euro Vergütung. Die Beklagte war hingegen der Auffassung, die Klägerin hätte ICD-10-GM (2009) R04.0 (Epistaxis = Nasenbluten) als Hauptdiagnose kodieren und die dadurch angesteuerte Fallpauschale DRG (2009) D62Z (Epistaxis oder Otitis media oder Infektionen der oberen Atemwege, Alter > 2 Jahre) abrechnen müssen. Die Klägerin habe nur Anspruch auf eine Vergütung von 1153,95 Euro. Die Klägerin machte als Differenz einen nicht erfüllten Anspruch auf weitere 878,89 Euro geltend. Das SG hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin diesen Betrag nebst Zinsen zu zahlen. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Klägerin habe einen Vergütungsanspruch nach DRG (2009) Q60C. Als Hauptdiagnose sei ICD-10-GM (2009) D68.3 in Einklang mit den DKR - Deutsche Kodierrichtlinien - (2009) D002f zu kodieren. Hiernach sei als Hauptdiagnose die Diagnose zu kodieren, die nach Analyse als diejenige festgestellt worden sei, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich sei. ICD-10-GM (2009) R04.0 gehöre zum Kapitel XVIII des ICD-10-GM (2009). Es enthalte Auffangregelungen für andernorts nicht klassifizierbare Symptome und abnorme Klinik- und Laborbefunde und sei gegenüber ICD-10-GM (2009) D68.3 systematisch nachrangig, das eine Ursache der Blutung benenne. Unerheblich sei dagegen, dass ICD-10-GM (2009) R04.0 im Sinne einer lokalen Symptombeschreibung genauer sei. Auch finde DKR (2009) 1917d (Unerwünschte Nebenwirkungen von Arzneimitteln [bei Einnahme gemäß Verordnung]) keine Anwendung, obwohl sie spezieller als DKR (2009) D002f sei. Denn ICD-10-GM (2009) D68.3 bilde bereits als Hauptdiagnose sowohl den krankhaften Zustand als auch den Aspekt der unerwünschten Nebenwirkung eines Arzneimittels ab und sei deswegen spezifischer (Urteil vom 21.8.2014).

2

Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im LSG-Urteil.

II

3

Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig und daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 Halbs 2 SGG iVm § 169 S 3 SGG zu verwerfen. Ihre Begründung entspricht nicht den aus § 160a Abs 2 S 3 SGG abzuleitenden Anforderungen an die Darlegung des allein geltend gemachten Revisionszulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung.

4

1. Wer sich - wie hier die Beklagte - auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern diese Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; s auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN).

5

Die Beklagte formuliert folgende Fragen:

"Es geht um die grundsätzliche Klärung der Frage der Kodierung eines Falles, wenn ein Patient Marcumar nimmt und nun wegen einer aufgetretenen Blutung stationär aufgenommen werden muss.

Die Rechtsfrage lautet, welche Hauptdiagnose ist in dieser Konstellation anzugeben?

Ist die spezielle Kodierrichtlinie 1917d anwendbar oder nur die allgemeinen Kodierrichtlinien?

Ist Hauptdiagnose die D68.3 = hämorrhagische Diathese durch Antikoagulanzien und Antikörper?

Oder ist die Hauptdiagnose hier die Blutung (hier R04.0)?"

Es sei "die grundsätzliche Frage [zu] klären, welche Hauptdiagnose in solchen Fällen zu wählen ist: Blutung oder hämorrhagische Diathese und ob die Spezielle Kodierrichtlinie 1917d hier anwendbar ist und den allgemeinen Kodierrichtlinien als lex specialis vorgeht."

6

Der Senat lässt offen, ob diesen Fragen eine klare, über den Einzelfall hinausweisende Rechtsfrage zu entnehmen ist und nicht bloß die Frage nach der vergütungsrechtlichen Bewertung eines konkret individuellen Sachverhalts, ob also die Beklagte nur die Unrichtigkeit der LSG-Entscheidung rügt. Letzteres ist kein zulässiger Prüfungsgegenstand einer Nichtzulassungsbeschwerde. Die Beklagte legt jedenfalls nicht hinreichend die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage dar. Hierzu bedarf es generell besonderen Vorbringens, wenn es sich - wie hier mit im Jahr 2009 geltenden Regelungen - um ausgelaufenes Recht handelt (vgl ausführlich BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10 ff mwN, dort zum Operationen- und Prozedurenschlüssel). Dementsprechend entbehren Rechtsfragen der grundsätzlichen Bedeutung, wenn die Tatbestandsmerkmale einer Einzelvergütungsvorschrift mit einer normativ vorgegebenen kurzen Geltungsdauer einer rechtstatsächlich stattfindenden fortlaufenden Überprüfung und eventuellen Anpassung mit der Folge unterliegen, dass im Zeitpunkt der Befassung des Revisionsgerichts mit der Norm eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung nicht mehr erkennbar ist. Bezogen auf die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung unter dem Gesichtspunkt des ausgelaufenen Rechts bedeutet dies, dass im Streit über die Anwendbarkeit einer bestimmten DRG darzulegen ist: (1) Die betroffene Einzelvorschrift (bzw das dort betroffene Tatbestandsmerkmal) hat im konkreten Fall auf die zur Ermittlung der DRG durchzuführende Groupierung Einfluss. (2) Die in der kalenderjahresbezogen anzuwendenden Fallpauschalenvereinbarung (FPV) mitgeregelte betroffene Einzelvorschrift gilt in späteren FPV im Wortlaut unverändert erlöswirksam für die Groupierung fort. (3) Ein sich daraus in einer Vielzahl von Behandlungsfällen bereits ergebender und zukünftig zu erwartender Streit konnte von den am Abschluss des FPV mitwirkenden Vertragsparteien bislang nicht einvernehmlich gelöst werden. Jedenfalls an Darlegungen der Beklagten zu den Voraussetzungen (2) und (3) fehlt es.

7

Alternativ zu den quantitativ zu verstehenden Voraussetzungen (2) und (3) kann sich auch eine "qualitative" Fortwirkung ergeben. Hierzu ist (4) darzulegen, dass der Auslegungsstreit über eine Einzelvorschrift eine strukturelle Frage des Vergütungssystems betrifft, deren Beantwortung - ungeachtet der Fortgeltung der konkret betroffenen Vorschrift - über die inhaltliche Bestimmung der Einzelvorschrift hinaus für das Vergütungssystem als Ganzes oder für einzelne Teile zukünftig von struktureller Bedeutung ist. Letzteres impliziert die Darlegung, dass die Vertragsparteien das näher zu bezeichnende Strukturproblem noch nicht gelöst haben. Auch insoweit fehlt es an jeglichem Vorbringen der Beklagten.

8

Dessen ungeachtet legt die Beklagte auch im Übrigen nicht die Klärungsbedürftigkeit dar. Das Beschwerdevorbringen setzt sich nicht mit der Rechtsprechung des erkennenden Senats auseinander, wonach Kodierrichtlinien und Fallpauschalen-Katalog, als Normenverträge für die Krankenhausvergütung vereinbart, streng nach Wortlaut und Normsystematik unter Achtung des Spezialitätsgrundsatzes auszulegen sind (vgl BSGE 109, 236 [BSG 08.11.2011 - B 1 KR 8/11 R] = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 17, 27, 43; BSG SozR 4-5562 § 9 Nr 3 RdNr 17; BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 14; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 27 RdNr 15 f; BSG Urteil vom 14.10.2014 - B 1 KR 26/13 R - Juris RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die Beklagte verhält sich nicht dazu, ob hiernach noch Klärungsbedarf verbleibt. Vielmehr geht sie selbst davon aus, dass DKR (2009) 1917d als spezielle Kodierrichtlinie in ihrem Anwendungsbereich Vorrang hat. DKR (2009) 1917d sieht insoweit vor, dass unerwünschte Nebenwirkungen indikationsgerechter Arzneimittel bei Einnahme gemäß Verordnung wie folgt kodiert werden: ein oder mehrere Kodes für den krankhaften Zustand, in dem sich die Nebenwirkungen manifestieren, optional ergänzt durch Y57.9! (Komplikationen durch Arzneimittel oder Drogen). Die Beklagte legt auch nicht dar, dass mit den höchstrichterlich vorgegebenen Auslegungsmethoden der Anwendungsbereich von DKR (2009) 1917d und DKR (2009) D002f nicht klar bestimmbar sei.

9

Die Beklagte geht schließlich nicht darauf ein, ob dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl insbesondere BSG SozR 4-2500 § 301 Nr 1 RdNr 14, 20 f) hinreichende Vorgaben für die Auslegung des ICD-10-GM, insbesondere für die Reihenfolge der Berücksichtigung von Diagnosen des ICD-10-GM im Zusammenspiel mit den DKR zu entnehmen sind. Einen etwaigen noch bestehenden Klärungsbedarf zeigt sie nicht auf. Die Beklagte legt nicht dar, warum nach den aufgezeigten höchstrichterlichen Auslegungsmaßstäben unter dem Gesichtspunkt der Haupt- und Nebendiagnose keine zwingende Kodier-Rangfolge der Diagnosen ICD-10-GM (2009) D68.3 und R04.0 aus dem ICD-10-GM (2009) und den DKR (2009) ableitbar sein soll.

10

2. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 160a Abs 4 S 2 SGG).

11

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 3 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 197a Abs 1 S 1 Teils 1 SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG.

Masuch
Prof. Dr. Hauck
Dr. Estelmann

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