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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 02.06.2016, Az.: V ZB 36/16
Rechtmäßigkeit einer Anordnung der Haft zur Sicherung der Abschiebung nach Marokko aufgrund des Haftgrunds der Fluchtgefahr
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 02.06.2016
Referenz: JurionRS 2016, 23487
Aktenzeichen: V ZB 36/16
ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:020616BVZB36.16.0

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Rosenheim - 11.01.2016 - AZ: 8 XIV 9/16

LG Traunstein - 16.02.2016 - AZ: 4 T 186/16

BGH, 02.06.2016 - V ZB 36/16

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juni 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Brückner, den Richter Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp
beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Traunstein - 4. Zivilkammer - vom 16. Februar 2016 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene reiste, nachdem er wegen unerlaubter Einreise Anfang Januar 2016 nach Österreich zurückgewiesen worden war, kurz darauf erneut unerlaubt nach Deutschland ein. Bei einer polizeilichen Kontrolle wurde er ohne Ausweisdokumente angetroffen. Die Abschiebung wurde ihm angedroht. Mit Beschluss vom 20. Januar 2016 hat das Amtsgericht Haft zur Sicherung der Abschiebung des Betroffenen nach Marokko bis längstens 9. Juli 2016 angeordnet. Das Landgericht hat dessen Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und die Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts ihn in seinen Rechten verletzt.

II.

2

Nach Ansicht des Beschwerdegerichts liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG vor. Der Betroffene habe bei seiner richterlichen Anhörung angegeben, nicht nach Marokko zurückkehren und weiter nach Belgien reisen zu wollen. Die Haft dürfe über drei Monate hinaus angeordnet werden. Der Betroffene habe zu vertreten, dass die Abschiebung aufgrund der Dauer der Beschaffung von Passersatzpapieren voraussichtlich nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden könne. Er habe bei seiner polizeilichen Vernehmung angegeben, seine Ausweispapiere in Griechenland weggeworfen zu haben. Die dazu in Widerspruch stehende Angabe bei seiner richterlichen Vernehmung, sein Pass sei bei einem Bootsunfall untergegangen, sei unglaubwürdig.

III.

3

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

4

1. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Haftanordnung rechtsfehlerfrei auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG gestützt worden.

5

a) Nach § 2 Abs. 14 Nr. 5 AufenthG kann die ausdrückliche Erklärung des Ausländers, dass er sich der Abschiebung entziehen will, ein Anhaltspunkt für eine Fluchtgefahr sein. Eine solche Erklärung liegt vor, wenn der Ausländer klar zum Ausdruck bringt, dass er nicht freiwillig in den in der Abschiebungsandrohung genannten Zielstaat reisen und sich vor allem auch nicht für eine behördliche Durchsetzung seiner Rückführung zur Verfügung halten würde (vgl. BT-Drucks. 18/4097, S. 33; Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 27/16, Rn. 5).

6

b) Die tatrichterliche Schlussfolgerung auf die Entziehungsabsicht unterliegt einer Rechtskontrolle nur dahin, ob die verfahrensfehlerfrei festgestellten Tatsachen eine solche Folgerung als möglich erscheinen lassen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Februar 2012 - V ZB 46/11, Rn. 9 mwN). Mit der Rechtsbeschwerde kann nicht geltend gemacht werden, dass die Folgerungen des Tatrichters nicht zwingend seien oder dass eine andere Schlussfolgerung ebenso naheliegt.

7

Hieran gemessen bejaht das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei die Entziehungsabsicht. Es stellt zum einen darauf ab, dass der Betroffene bei seiner polizeilichen Anhörung am 11. Januar 2016 angegeben hatte, dass er sich für eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nur dann zur Verfügung halten würde, wenn er nach Österreich abgeschoben werde. Zum anderen stützt sich das Beschwerdegericht auf die Angaben des Betroffenen bei dessen Anhörung am 10. Februar 2016 durch den beauftragten Richter des Beschwerdegerichts. Dort hat der Betroffene angegeben, dass er nicht nach Marokko zurückkehren und auch nicht an einer Abschiebung mitwirken, sondern nach Belgien weiterreisen wolle. Das Beschwerdegericht hat diese Erklärung rechtsfehlerfrei dahingehend gewürdigt, dass der Betroffene sich einer Abschiebung in sein Heimatland nicht stellen und untertauchen würde, um sich in ein anderes Land abzusetzen.

8

2. Die Haft durfte über drei Monate hinaus angeordnet werden.

9

a) § 62 Abs. 3 Satz 3 AufenthG lässt allerdings erkennen, dass im Regelfall die Dauer von drei Monaten nicht überschritten werden soll und eine Haftdauer von sechs Monaten (§ 62 Abs. 4 Satz 1 AufenthG) nicht ohne weiteres als verhältnismäßig angesehen werden darf (Senat, Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 25/16, Rn. 6; Beschluss vom 30. Juni 2011 - V ZB 261/10, InfAuslR 2011, 396 Rn. 18 mwN). Eine über diesen Zeitraum hinausgehende Haftanordnung ist nur dann zulässig, wenn aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen die Abschiebung erst nach mehr als drei Monaten durchgeführt werden kann (Senat, Beschluss vom 9. Februar 2012 - V ZB 305/10, Rn. 27).

10

b) Ob ein Umstand, der zur Verzögerung der Abschiebung geführt hat, von dem Ausländer zu vertreten ist, ist eine Frage der Zurechnung, die nicht generell-abstrakt beantwortet werden kann, sondern unter Würdigung der gesamten Umstände zu entscheiden ist. Dabei hat der Ausländer auch solche Umstände zu vertreten, die, von ihm zurechenbar veranlasst, dazu geführt haben, dass ein Abschiebungshindernis überhaupt erst eingetreten ist (Senat, Beschluss vom 11. Juli 1996 - V ZB 14/96, BGHZ 133, 235, 238 zu § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG). Das kann der Fall sein, wenn der Ausländer einreist, ohne Ausweispapiere mit sich zu führen (vgl. § 3 Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Der Ausländer, der keine Ausweispapiere besitzt und der auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt, muss deshalb Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines Passersatzpapiers ersucht werden müssen (Senat, Beschluss vom 25. März 2010 - V ZA 9/10, NVwZ 2010, 1175 Rn. 20; Beschluss vom 12. Mai 2016 - V ZB 25/16, Rn. 6).

11

c) So liegt es hier. Das Beschwerdegericht bejaht auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Ermittlungen ohne Rechtsfehler diese Voraussetzungen. Es hat ohne Rechtsfehler die Angabe des Betroffenen in der zeitnah durchgeführten polizeilichen Vernehmung zu Grunde gelegt. Im Rahmen dieser Vernehmung hat der Betroffene nicht erklärt, der Pass sei beim Untergang des Flüchtlingsbootes verloren gegangen. Er hat vielmehr angegeben, ihn weggeworfen zu haben. Vor diesem Hintergrund durfte das Beschwerdegericht die dazu in Widerspruch stehenden späteren Angaben des Betroffenen bei seiner Anhörung durch den beauftragten Richter als unglaubwürdig ansehen. Die tatrichterliche Würdigung lässt keine Rechtsfehler erkennen.

IV.

12

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Gegenstandswerts auf § 36 Abs. 3 GNotKG.

Stresemann

Schmidt-Räntsch

Brückner

Göbel

Haberkamp

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