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Bundesgerichtshof
Urt. v. 22.07.2015, Az.: IV ZR 273/13
Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Urteil
Datum: 22.07.2015
Referenz: JurionRS 2015, 21188
Aktenzeichen: IV ZR 273/13
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Bautzen - 07.12.2012 - AZ: 20 C 511/12

LG Görlitz - 10.07.2013 - AZ: 2 S 8/13

Rechtsgrundlagen:

§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB

§ 10a VAG

§ 5a Abs. 2 S. 4 VVG

BGH, 22.07.2015 - IV ZR 273/13

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richterin Harsdorf-Gebhardt, die Richter Dr. Karczewski, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller im schriftlichen Verfahren, bei dem Schriftsätze bis zum 17. Juni 2015 eingereicht werden konnten,
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerseite wird das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 10. Juli 2013 aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird auf 4.950,43 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerseite (Versicherungsnehmerin: im Folgenden d. VN) begehrt von dem beklagten Versicherer (im Folgenden Versicherer) Rückzahlung geleisteter Versicherungsbeiträge einer Kapitallebensversicherung.

2

Diese wurde aufgrund eines Antrags d. VN mit Versicherungsbeginn zum 1. November 1999 nach dem so genannten Policenmodell des § 5a VVG in der seinerzeit gültigen Fassung (im Folgenden § 5a VVG a.F.) abgeschlossen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erhielt d. VN mit dem Versicherungsschein eine Verbraucherinformation nach § 10a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) und die Versicherungsbedingungen, die ebenso wie das Policenbegleitscheiben eine Belehrung über das Widerspruchsrecht gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. enthielten. Mit Schreiben vom 1. September 2010 erklärte d. VN "den Widerspruch gem. § 5a VVG a.F. bzw. den Widerspruch nach § 8 VVG, bzw. den Widerruf nach § 355 BGB höchstvorsorglich die Anfechtung nach § 119 I BGB, hilfsweise die Kündigung". Der Versicherer akzeptierte die Kündigung und zahlte den Rückkaufswert aus.

3

Mit der Klage verlangt d. VN - soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung - Rückzahlung aller auf den Vertrag geleisteten Beiträge nebst Zinsen abzüglich des bereits gezahlten Rückkaufswerts.

4

Nach Auffassung d. VN ist der Versicherungsvertrag nicht wirksam zustande gekommen. Auch nach Ablauf der Frist des - gegen Gemeinschaftsrecht verstoßenden - § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. habe der Widerspruch noch erklärt werden können.

5

Der Versicherer erhebt die Einrede der Verjährung.

6

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt d. VN das Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

I. Dieses hat einen Prämienrückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung verneint. Der Versicherer habe zwar d. VN nicht ordnungsgemäß über das Widerspruchsrecht belehrt. Die Widerspruchsbelehrung in dem Policenbegleitscheiben sei nicht in drucktechnisch deutlicher Form erfolgt. Auch die zu § 3 der AVB befindliche Belehrung sei drucktechnisch nicht (ausreichend) hervorgehoben. Der Vertrag sei aber gemäß § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie rückwirkend endgültig wirksam geworden.

9

II. Die Revision ist begründet.

10

1. Der - mit der Revision allein weiterverfolgte - Anspruch auf Prämienrückzahlung folgt dem Grunde nach aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB.

11

a) Der zwischen den Parteien geschlossene Versicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlung. Er ist infolge des Widerspruchs d. VN nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war - ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist - rechtzeitig.

12

aa) Nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts belehrte der Versicherer d. VN nicht ordnungsgemäß in drucktechnisch deutlicher Form i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. über das Widerspruchsrecht. Dafür genügt es entgegen der Auffassung der Revisonserwiderung nicht, dass die Widerspruchsbelehrung in dem Anschreiben etwas eingerückt ist.

13

Für einen solchen Fall bestimmte § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. zwar, dass das Widerspruchsrecht ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das Widerspruchsrecht bestand hier aber nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort.

14

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225 [EuGH 19.12.2013 - Rs. C-209/12]). Der Senat hat mit Urteil vom 7. Mai 2014 (IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101 Rn. 17-34) entschieden und im Einzelnen begründet, die Regelung müsse richtlinienkonform teleologisch dergestalt reduziert werden, dass sie im Anwendungsbereich der Zweiten und der Dritten Richtlinie Lebensversicherung keine Anwendung findet und für davon erfasste Lebens- und Rentenversicherungen sowie Zusatzversicherungen zur Lebensversicherung grundsätzlich ein Widerspruchsrecht fortbesteht, wenn d. VN - wie hier - nicht ordnungsgemäß über das Recht zum Widerspruch belehrt worden ist und/oder die Verbraucherinformation oder die Versicherungsbedingungen nicht erhalten hat.

15

bb) Die (hilfsweise erklärte und später widerrufene) Kündigung des Versicherungsvertrages steht dem Widerspruch nicht entgegen (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 36 m.w.N.). Ein Erlöschen des Widerspruchsrechts nach beiderseits vollständiger Leistungserbringung kommt ebenfalls nicht in Betracht (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 37 m.w.N.). Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung hat d. VN das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann der Versicherer schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er d. VN keine ordnungsgemäße Widerspruchsbelehrung erteilte (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 39 m.w.N.).

16

b) Die bereicherungsrechtlichen Rechtsfolgen der Europarechtswidrigkeit des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sind nicht auf eine Wirkung ab Zugang des Widerspruchs (ex nunc) zu beschränken, sondern nur eine Rückwirkung entspricht dem Effektivitätsgebot (dazu im Einzelnen Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 42-44).

17

Ein Rückgewähranspruch war bei Erhebung der Klage im Juli 2012 noch nicht verjährt. Zu diesem Zeitpunkt war die maßgebliche regelm äßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB nicht abgelaufen. Diese konnte erst mit Schluss des Jahres 2010 beginnen, da d. VN erst in diesem Jahr den Widerspruch erklärte. Der nach einem Widerspruch gemäß § 5a VVG a.F. geltend gemachte Bereicherungsanspruch entstand erst mit Ausübung des Widerspruchsrechts im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB; jedenfalls zu diesem Zeitpunkt hatte d. VN Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom 8. April 2015 IV ZR 103/15, WM 2015, 865 Rn. 19 ff.).

18

3. Der Höhe nach umfasst der Rückgewähranspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB nicht uneingeschränkt alle gezahlten Prämien. Vielmehr muss sich d. VN bei der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung den jedenfalls bis zur Kündigung des Vertrages genossenen Versicherungsschutz anrechnen lassen. Der Wert des Versicherungsschutzes kann unter Berücksichtigung der Prämienkalkulation bemessen werden; bei Lebensversicherungen kann etwa dem Risikoanteil Bedeutung zukommen (Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 45 m.w.N.).

19

Da es hierzu an Feststellungen fehlt, ist der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Es wird den Parteien Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben haben (vgl. Senatsurteil vom 7. Mai 2014 aaO Rn. 46).

Mayen

Harsdorf-Gebhardt

Dr. Karczewski

Lehmann

Dr. Brockmöller

Verkündet am: 22. Juli 2015

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