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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 15.05.2014, Az.: 2 StR 1/14
Auswirkungen des Zweifelsgrundsatzes "in dubio pro reo" bei nicht sicherer Feststellbarkeit der Tatbeteiligung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.05.2014
Referenz: JurionRS 2014, 18115
Aktenzeichen: 2 StR 1/14
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Limburg - 28.08.2013

Rechtsgrundlage:

§ 261 StPO

Fundstellen:

NStZ-RR 2014, 282-283

StV 2015, 153-154

Verfahrensgegenstand:

Versuchter Totschlag u.a.

BGH, 15.05.2014 - 2 StR 1/14

Redaktioneller Leitsatz:

In einem Verfahren gegen mehrere Angeklagte können Feststellungen, die nach dem Zweifelssatz zu Gunsten eines Angeklagten getroffen werden, nicht Grundlage für Feststellungen zum Nachteil eines anderen Angeklagten sein.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 15. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg a. d. Lahn vom 28. August 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

1

Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung früherer Urteile eine Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und acht Monaten verhängt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

2

1. a) Nach den Feststellungen war der Angeklagte in der Nacht vom 21. auf den 22. Dezember 2012 im Anschluss an eine private Party mit 11 weiteren ebenfalls erheblich alkoholisierten Jugendlichen laut lärmend im Stadtgebiet von W. unterwegs. Gegen ein Uhr morgens kam es nach einem Streitgespräch mit einem sich über den Lärm beschwerenden Anwohner zu einer körperlichen Auseinandersetzung mit diesem. Mehrere der Jugendlichen, darunter der Angeklagte und die nicht (mehr) revidierenden Mitangeklagten G. , T. , D. und J. umringten den mit einem Hockeyschläger bewaffneten Nebenkläger und schlugen - mit Ausnahme des J. - diesen zu Boden, G. mit einem Schlagring, T. mit dem dem Opfer entwendeten Hockeyschläger. Anschließend traten sie - wiederum mit Ausnahme des J. - gemeinsam auf den Körper des mittlerweile besinnungslos am Boden Liegenden ein, bis ein weiterer mit einem Baseball-Schläger bewaffneter Anwohner, der Zeuge L. , zu Hilfe eilte. Während die übrigen Jugendlichen sofort davonliefen, trat der Angeklagte dem bewusstlosen und stark blutenden Geschädigten, dessen Tod billigend in Kauf nehmend, mit dem beschuhten Fuß noch mindestens dreimal ins Gesicht, was zu weiteren stark blutenden Platzwunden führte. Anschließend gelang es dem Angeklagten nicht mehr, zu der flüchtenden Gruppe aufzuschließen. Nachdem er sich im Innenstadtbereich versteckt gehalten hatte, wurde er gegen drei Uhr morgens festgenommen.

3

b) Das Landgericht stützt seine Feststellungen zur Tatbeteiligung des Angeklagten, der vorgibt, sich an das Tatgeschehen nicht erinnern zu können, vor allem auf die Angaben des Mitangeklagten T. bei dessen Exploration durch den Sachverständigen. Danach seien der Angeklagte und der - freigesprochene - Mitangeklagte J. die letzten gewesen, die bei dem Geschädigten gestanden hätten. J. habe schon zuvor massiv auf den Nebenkläger eingeschlagen. Nach dem Geschehen habe sich zudem Blut auf den Schuhen des J. befunden.

4

Darüber hinaus spricht nach Ansicht der Strafkammer für die Täterschaft des Angeklagten N. , dass dieser getrennt von der Gruppe geflohen war sowie die Aussage des Zeugen L. , derjenige, der auf das Opfer zuletzt eingetreten habe, sei mit einem grauen Pullover bekleidet gewesen. Der Angeklagte N. hatte unter einer Flecktarnjacke einen hellen Kapuzenpullover getragen.

5

2. Die Verurteilung wegen versuchten Totschlags hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern:

6

Die Strafkammer hat den Mitangeklagten J. freigesprochen. Den entgegenstehenden Angaben des Mitangeklagten T. , wonach J. zusammen mit dem Angeklagten auf den Geschädigten eingeschlagen habe, der Angeklagte und J. als Letzte bei dem Tatopfer gestanden hätten und sich anschließend Blut auf den Schuhen des J. befunden habe, ist das Landgericht nicht gefolgt, da sie durch keinen weiteren Umstand bestätigt würden.

7

Hinsichtlich des Angeklagten stützt sich die Strafkammer hingegen auf die Angaben des T. , die dadurch bestätigt würden, dass der Angeklagte nicht mit dem Rest der Gruppe geflohen war und seine Kleidung zudem zu der Beschreibung der Kleidung durch den Zeugen L. passt.

8

Diese Überzeugungsbildung ist rechtlich nicht tragfähig. Die Strafkammer lässt unberücksichtigt, dass in einem Verfahren gegen mehrere Angeklagte solche Feststellungen, die nach dem Zweifelssatz zu Gunsten eines Angeklagten getroffen werden, nicht Grundlage für Feststellungen zum Nachteil eines anderen Angeklagten sein können (BGH, Urteil vom 7. März 1995 - 1 StR 523/94, StV 1996, 81; Urteil vom 4. Februar 1992 - 1 StR 787/91, BGHR StPO § 261 in dubio pro reo 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl. § 261 Rn. 32). Ist die Tatbeteiligung eines Angeklagten nicht sicher feststellbar und wird dieser deshalb freigesprochen, können daher gleichwohl hinsichtlich eines Mitangeklagten nach dem Zweifelsgrundsatz für diesen günstige Feststellungen geboten sein, die auf der Annahme der Tatbeteiligung des freigesprochenen Mitangeklagten beruhen. Entsprechend hat der Generalbundesanwalt ausgeführt:

"Die Strafkammer musste hinsichtlich des Angeklagten N. nach dem Grundsatz 'im Zweifel für den Angeklagten' von einer Tatbeteiligung des Mitangeklagten J. ausgehen. Auf dieser Grundlage hatte sich das Landgericht im Rahmen einer sorgfältigen Beweiswürdigung insbesondere mit der Frage auseinanderzusetzen, ob der Angeklagte oder J. der 'letzte Angreifer' war. Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat in ihre Überlegungen den Mitangeklagten J. als Tatbeteiligten nicht einbezogen. Sie hat sich auf den Angeklagten N. beschränkt und sieht in dessen Kleidung - heller Kapuzenpullover unter Flecktarnjacke (UA S. 55) - ein gewichtiges, für die Täterschaft des Angeklagten sprechendes Indiz. Die Gewichtigkeit dieses Indiz lässt sich aber nicht beurteilen, da Feststellungen zur Kleidung des Mitangeklagten J. am Tatabend fehlen. Danach bestimmen sich aber die in Bezug auf die Kleidung des Angeklagten N. zu stellenden Beweisanforderungen. Unabhängig davon erscheint zudem sehr fragwürdig - worauf der Beschwerdeführer zu Recht hinweist - ob die Strafkammer ohne weiteres davon ausgehen kann, dass ein solcher 'heller Pullover' farblich mit dem von dem Zeugen L. beschriebenen grauen Pullover übereinstimmt; jedenfalls ist die Beweiswürdigung insoweit lückenhaft, als sich das Tatgericht mit der Frage der farblichen Übereinstimmung von grau und hell in den Urteilsgründen nicht für das Revisionsgericht nachvollziehbar auseinandergesetzt hat. "

9

Dem schließt sich der Senat an und weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass - wovon das Landgericht zutreffend ausgegangen ist - wuchtige Tritte gegen den Kopf oder in das Gesicht eines bewusstlosen Opfers einen bedingten Tötungsvorsatz jedenfalls nahelegen.

Appl

Schmitt

Eschelbach

Ott

Zeng

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