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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 10.10.2013, Az.: V ZB 5/13
Anforderungen an Begründung eines Haftantrags im Zusammenhang mit der Zurückschiebung nach der Dublin-II-Verordnung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 10.10.2013
Referenz: JurionRS 2013, 48673
Aktenzeichen: V ZB 5/13
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Pasewalk - 05.12.2012 - AZ: 4 XIV 11/12

LG Neubrandenburg - 28.12.2012 - AZ: 4 T 208/12

BGH, 10.10.2013 - V ZB 5/13

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist bei der Abschiebehaft eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 S. 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). ). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.

  2. 2.

    Bei einer Zurückschiebung nach der Dublin-II-Verordnung gehören zu den erforderlichen Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung auch Ausführungen dazu, dass und weshalb der Zielstaat nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist. Das wiederum richtet sich im Wesentlichen danach, in welchem der in der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Verfahren die Zurückschiebung erfolgen soll, insbesondere ob eine Aufnahme nach Art. 10, 16 Abs. 1 Buchstabe a der Dublin-II-Verordnung oder eine Wiederaufnahme nach Art. 4 Abs. 5 oder Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c bis e jeweils in Verbindung mit Art. 20 Dublin-II-Verordnung betrieben werden soll. Die Entscheidung darüber, ob eine Aufnahme oder eine Wiederaufnahme beantragt wird, obliegt dem zuständigen Bundesamt, dessen Vorgehen abgefragt und in dem Haftantrag mitgeteilt werden muss. Ferner muss der Antrag Angaben dazu enthalten, innerhalb welchen Zeitraums Überstellungen in den betreffenden Mitgliedstaat üblicherweise möglich sind. Pauschale Angaben zu den Fristen für die Beantwortung des Ersuchens und für die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat reichen nicht aus.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Oktober 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und den Richter Dr. Kazele

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Pasewalk vom 5. Dezember 2012 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Neubrandenburg vom 28. Dezember 2012 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein russischer Staatsangehöriger, wurde am 4. Dezember 2012 festgenommen. Er hatte zuvor einen Asylantrag in Polen gestellt und verfügte weder über einen Aufenthaltstitel für Deutschland noch über einen Reisepass. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 5. Dezember 2012 Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 16. Januar 2013 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene nach seiner am 14. Januar 2013 erfolgten Zurückschiebung nach Polen die Feststellung erreichen, dass die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung ihn in seinen Rechten verletzt haben.

II.

2

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts liegen die Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungshaft vor. Im Zeitpunkt der Haftanordnung sei zu erwarten gewesen, dass die beabsichtigte Zurückschiebung nach Polen innerhalb von sechs Wochen erfolgen könne.

III.

3

Die Rechtsbeschwerde ist nach Erledigung der Hauptsache analog § 62 FamFG ohne Zulassung statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. April 2010 - V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359 Rn. 9 mwN). Sie ist auch im Übrigen zulässig und hat in der Sache Erfolg.

4

1. Die Haft hätte schon deshalb nicht angeordnet werden dürfen, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.

5

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10; vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, [...] Rn. 4; vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, jeweils mwN).

6

b) Bei einer Zurückschiebung nach der Dublin-II-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003, ABl. L 50 S. 1) gehören zu den erforderlichen Angaben zur Durchführbarkeit der Zurückschiebung auch Ausführungen dazu, dass und weshalb der Zielstaat - hier Polen - nach der Verordnung zur Rücknahme verpflichtet ist. Das wiederum richtet sich im Wesentlichen danach, in welchem der in der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Verfahren die Zurückschiebung erfolgen soll, insbesondere ob eine Aufnahme nach Art. 10, 16 Abs. 1 Buchstabe a der Dublin-II-Verordnung oder eine Wiederaufnahme nach Art. 4 Abs. 5 oder Art. 16 Abs. 1 Buchstabe c bis e jeweils in Verbindung mit Art. 20 Dublin-II-Verordnung betrieben werden soll. Die Entscheidung darüber, ob eine Aufnahme oder eine Wiederaufnahme beantragt wird, obliegt dem zuständigen Bundesamt, dessen Vorgehen abgefragt und in dem Haftantrag mitgeteilt werden muss. Ferner muss der Antrag Angaben dazu enthalten, innerhalb welchen Zeitraums Überstellungen in den betreffenden Mitgliedsstaat üblicherweise möglich sind. Pauschale Angaben zu den Fristen für die Beantwortung des Ersuchens und für die Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat reichen nicht aus (eingehend zum Ganzen Senat, Beschlüsse vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, [...] Rn. 5 ff., und vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 19 ff., jeweils mwN).

7

c) Daran gemessen ist der Haftantrag unzureichend. Die beteiligte Behörde hat ausgeführt, der Betroffene sei gemäß EURODAC-Recherche in Polen als Asylbewerber erfasst. Das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge werde daher das Konsultationsverfahren mit dem zuständigen Mitgliedsstaat Polen aufnehmen. Weiterhin müssten Passersatzpapiere beschafft werden. Die Dauer der Haft sei erforderlich, um das Dublin II-Verfahren zu gewährleisten.

8

Diesen Angaben lässt sich schon nicht zweifelsfrei entnehmen, in welchem der in der Dublin-II-Verordnung vorgesehenen Verfahren die Zurückschiebung erfolgen soll. Ferner fehlt es an Ausführungen dazu, innerhalb welchen Zeitraums Überstellungen nach Polen in dem gewählten Verfahren üblicherweise möglich sind. Darüber hinaus enthält der Antrag keine Angaben zu der für die Beschaffung der Passersatzpapiere voraussichtlich erforderlichen Zeit.

9

2. Die Aufrechterhaltung der Haftanordnung durch das Beschwerdegericht hat den Betroffenen ebenfalls in seinen Rechten verletzt, weil der Mangel des Haftantrags nicht - was mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 15. September 2011 - V ZB 136/11, FGPrax 2011, 318 Rn. 8) - im weiteren Verlauf des Verfahrens geheilt worden ist.

IV.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog. Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Stresemann

Roth

Brückner

Weinland

Kazele

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