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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 29.05.2013, Az.: XII ZB 124/11
Organisatorische Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts in Fristsachen
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.05.2013
Referenz: JurionRS 2013, 38425
Aktenzeichen: XII ZB 124/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Grevenbroich - 22.10.2010 - AZ: 13 F 75/09

OLG Düsseldorf - 14.02.2011 - AZ: II-5 UF 181/10

Fundstelle:

JurBüro 2013, 502-503

BGH, 29.05.2013 - XII ZB 124/11

Redaktioneller Leitsatz:

Der Richter ist gehalten, das bei ihm anhängige Verfahren so zu gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen. Dazu gehört auch, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen (Art. 103 Abs. 1 GG). Wenn der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten gegenüber dem Beschwerdegericht erklärt, er werde einen Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist innerhalb der gesetzlichen Frist stellen, muss das Gericht abwarten, ob der Antragsteller, wie angekündigt, fristgemäß einen Wiedereinsetzungsantrag stellt und darf nicht vorher über einen noch nicht gestellten Wiedereinsetzungsantrag entscheiden.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. Mai 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Dr. Botur beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des 5. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Februar 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 5.316 €

Gründe

I.

1

Die Parteien streiten noch um nachehelichen Unterhalt.

2

Die Verbundentscheidung wurde dem Antragsteller am 29. Oktober 2010 zugestellt. Mit am 29. November 2010 bei dem Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz hat der Antragsteller hinsichtlich des Ausspruchs zum nachehelichen Unterhalt Beschwerde eingelegt. Mit ihm am 20. Januar 2011 zugestellter Verfügung wurde der Antragsteller darauf hingewiesen, dass beabsichtigt sei, sein Rechtsmittel als unzulässig zu verwerfen, weil die Beschwerde nicht bis zum 29. Dezember 2010 begründet worden sei. Mit Schriftsatz vom 2. Februar 2011 teilte der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers mit, dass er schuldlos gehindert gewesen sei, die Beschwerde rechtzeitig zu begründen. Dies sei ihm erst durch die am 20. Januar 2011 zugestellte Verfügung bekannt und bewusst geworden. Es werde deshalb Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist innerhalb der gesetzlichen Frist gestellt werden.

3

Das Oberlandesgericht hat durch Beschluss vom 14. Februar 2011 eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist versagt und die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Antragstellers.

II.

4

Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), denn der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsteller in seinem Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip), welcher es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. hierzu BGHZ 151, 221 = NJW 2002, 3029, 3031 und Senatsbeschluss vom 2. April 2008 - XII ZB 189/07 FamRZ 2008, 1338 Rn. 8 mwN).

6

2. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist sei zurückzuweisen. Der Vortrag des Antragstellers, ihm sei erst durch den Hinweis vom 17. Januar 2011 bekannt und bewusst geworden, dass die Beschwerde rechtzeitig zu begründen sei, lasse ein Verschulden nicht entfallen. Ein Rechtsirrtum der anwaltlich vertretenen Partei sei regelmäßig verschuldet und hindere eine Wiedereinsetzung.

7

3. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Beschwerdegericht hat zu Unrecht über einen Wiedereinsetzungsantrag entschieden und diesen zurückgewiesen.

8

Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts hatte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 2. Februar 2011 noch keinen Wiedereinsetzungsantrag gestellt, sondern lediglich angekündigt, einen solchen innerhalb der gesetzlichen Frist anzubringen. Das hat das Beschwerdegericht nicht beachtet. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG gewährt den Parteien aber den Anspruch auf ein faires Verfahren. Der Richter ist danach gehalten, das bei ihm anhängige Verfahren so zu gestalten, wie die Parteien es von ihm erwarten dürfen (BVerfG NJW 2005, 814, 815 [BVerfG 22.10.2004 - 1 BvR 894/04]; BVerfGE 78, 123 = NJW 1988, 2787 [BVerfG 26.04.1988 - 1 BvR 669/87]; BGH Beschluss vom 28. Oktober 2009 - IV ZB 10/09 NJW-RR 2010, 1000 Rn. 10). Dazu gehört auch, den Vortrag der Parteien zur Kenntnis zu nehmen (Art. 103 Abs. 1 GG). Hätte das Beschwerdegericht sich dementsprechend verhalten, so hätte es durch den angefochtenen Beschluss nicht über einen noch nicht gestellten Wiedereinsetzungsantrag entscheiden und diesen sowie die Berufung zurückweisen dürfen. Vielmehr hätte es abwarten müssen, ob der Antragsteller, wie angekündigt, fristgemäß einen Wiedereinsetzungsantrag stellen würde. Die Monatsfrist für einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdebegründungsfrist lief erst am Montag, dem 21. Februar 2011 und somit nach Erlass des angefochtenen Beschlusses vom 14. Februar 2011, ab.

9

4. Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da es hierzu weiterer Feststellungen bedarf. Das Verfahren ist deshalb an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.

10

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

11

Der Antragsteller hat mit dem am 21. Februar 2011 (einem Montag) beim Oberlandesgericht eingegangenen Wiedereinsetzungsantrag geltend gemacht, die Fristversäumnis sei erst durch die am 20. Januar 2011 zugestellte Verfügung aufgefallen. Zu der Versäumnis sei es gekommen, weil die für die Eintragung und Überwachung von Fristen zuständige Fachangestellte nur die Beschwerdefrist eingetragen, es aber vergessen habe, auch die Beschwerdebegründungsfrist im Fristenkalender zu notieren. Dieser Vortrag ist ohne Ergänzung nicht geeignet, ein eigenes Verschulden des Verfahrensbevollmächtigten auszuschließen.

12

Die Sorgfaltspflichten in Fristsachen verlangt von einem Rechtsanwalt, alles ihm Zumutbare zu unternehmen, um die Wahrung von Rechtsmittelfristen zu gewährleisten. Dabei kann die Berechnung und Notierung von Fristen zwar einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen werden. Dann hat der Rechtsanwalt aber durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden (vgl. BGH Beschlüsse vom 10. März 2011 - VII ZB 37/10 - NJW 2011, 1597 Rn. 12 und vom 8. Februar 2010 - II ZB 10/09 - MDR 2010, 533). Zu den zur Ermöglichung einer Gegenkontrolle erforderlichen Vorkehrungen gehört insbesondere, dass die Rechtsmittelfristen in der Handakte notiert werden und die Handakte durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lässt, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - zur Veröffentlichung bestimmt).

13

Darüber hinaus hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen immer dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt werden (Senatsbeschluss vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11 - FamRZ 2012, 108 Rn. 11 mwN). In diesem Fall muss er stets alle weiteren unerledigten Fristen einschließlich ihrer Notierung in den Handakten prüfen (Senatsbeschluss vom 23. Januar 2013 - XII ZB 167/11 - zur Veröffentlichung bestimmt).

14

Dass die Organisation der Fristenkontrolle des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers diesen Anforderungen gerecht wird und er seiner eigenen Prüfungspflicht nachgekommen ist, hat das Beschwerdegericht bisher nicht festgestellt.

Dose

Weber-Monecke

Klinkhammer

Nedden-Boeger

Botur

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