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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 15.11.2012, Az.: V ZB 119/12
Anforderungen an das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags zur Sicherung der Abschiebung eines serbischen Asylsuchenden
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 15.11.2012
Referenz: JurionRS 2012, 28590
Aktenzeichen: V ZB 119/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Achim - 23.05.2012 - AZ: 4 XIV 17/12 B

LG Verden - 19.06.2012 - AZ: 3 T 49/12

Fundstelle:

AUAS 2013, 20-21

BGH, 15.11.2012 - V ZB 119/12

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. November 2012 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland

beschlossen:

Tenor:

Dem Betroffenen wird für die Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung der Rechtsanwälte Dipl.-Phys. Engel und Rinkler bewilligt.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Achim vom 23. Mai 2012 und der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Verden vom 19. Juni 2012 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Landkreis Verden auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt

3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste in Begleitung von Familienangehörigen Ende Oktober 2010 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde abgelehnt; er wurde unter Androhung der Abschiebung zur Ausreise aufgefordert. Der angekündigten Abschiebung entzog er sich. Am 22. Mai 2012 wurde er festgenommen.

2

Auf den Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht die Haft zur Sicherung der Abschiebung bis einschließlich 4. Juli 2012 angeordnet. Die Beschwerde ist erfolglos gewesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde will der Betroffene nach Ablauf der Haftzeit die Rechtswidrigkeit der Freiheitsentziehung feststellen lassen.

II.

3

Das Beschwerdegericht sieht den Haftantrag als zulässig an. Insbesondere enthalte er ausreichende Angaben zu der erforderlichen Haftdauer. Die Ausländerbehörde habe eine deutlich unter der Höchstfrist liegende Haftzeit von sechs Wochen mit tragfähiger Begründung beantragt. Der Haftgrund ergebe sich aus § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 und 5 AufenthG. Die Erteilung des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft sei nicht erforderlich, weil die Polizei ausschließlich zum Zwecke der Durchführung der Abschiebung tätig geworden sei.

III.

4

Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Die Entscheidungen des Amtsgerichts und des Beschwerdegerichts haben den Betroffenen bereits deshalb in seinen Rechten verletzt, weil es an einem zulässigen Haftantrag und damit an der nach § 417 Abs. 1 FamFG unverzichtbaren Grundlage für die Freiheitsentziehung fehlte.

6

a) Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 ff. Rn. 10; vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 12 f. mwN; vom 15. September 2011 - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8 mwN).

7

b) Die Begründung des Haftantrags muss auf den konkreten Fall zugeschnitten sein; Leerformeln und Textbausteine genügen nicht. Danach bestimmen sich Inhalt und Umfang der notwendigen Darlegungen. Sie dürfen knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte des Falls ansprechen. Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist dazu, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese im konkreten Fall vorliegen (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 ff. Rn. 9 f.; vom 27. Oktober 2011 - V ZB 311/10, FGPrax 2012, 82 Rn. 13 f. jeweils mwN).

8

c) Der Haftantrag der Beteiligten zu 2 genügte diesen Anforderungen nicht. Ausgeführt wird lediglich, dass die Beantragung eines Passersatzpapiers erfahrungsgemäß drei bis vier Wochen in Anspruch nehme; nach Vorlage des Passersatzpapiers werde das Abschiebungsverfahren eingeleitet. Weder ist ersichtlich, auf welcher Tatsachengrundlage diese Angaben beruhen, noch ist erkennbar, welche Zeit die Abschiebung nach Serbien auch nach Erteilung des Passersatzpapiers üblicherweise erfordert, welche Formalitäten dabei zu beachten sind und welche Zeit diese üblicherweise beanspruchen. Damit fehlen in dem Haftantrag hinreichende Tatsachen, anhand derer der Haftrichter die Prognose nach § 62 Abs. 3 Satz 4 AufenthG treffen konnte; die Angaben werden nicht dadurch entbehrlich, dass die Behörde eine unter der gesetzlichen Höchstfrist liegende Haftdauer beantragt.

9

d) Der Mangel ist auch nicht - was mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre - geheilt worden. Im Rahmen der Anhörung vor dem Beschwerdegericht hat der Vertreter der Beteiligten zu 2 lediglich mitgeteilt, das Passersatzpapier liege jetzt vor.

10

2. Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft gemäß § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderlich ist, wenn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und noch nicht abgeschlossen ist. Dazu bedarf es der Einleitung behördlicher Maßnahmen, die auf ein strafrechtliches Vorgehen abzielen (Renner/Dienelt, Ausländerrecht, 9. Aufl., § 72 Rn. 12; Hofmann in HK-AuslR, § 72 Rn. 31). Insoweit reicht es - anders als das Beschwerdegericht meint - aus, wenn die Polizei den Betroffenen selbst als Beschuldigten führt und, wie hier, einen Ermittlungsvorgang anlegt; ob der Beschuldigte auch als solcher vernommen wird, ist unerheblich. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.

IV.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG, § 430 FamFG, Art. 5 Abs. 5 EMRK analog; die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 128 c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 KostO.

Stresemann

Lemke

Schmidt-Räntsch

Brückner

Weinland

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