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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 21.08.2012, Az.: 2 StR 199/12
Wertung des Tatgeschehens als natürliche Handlungseinheit bei Vorliegen eines einheitlichen Tatentschlusses und eines engen räumlichen Zusammenhangs
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.08.2012
Referenz: JurionRS 2012, 25178
Aktenzeichen: 2 StR 199/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Mainz - 20.12.2011

Fundstelle:

NStZ 2013, 6

Verfahrensgegenstand:

versuchter Totschlag u.a.

BGH, 21.08.2012 - 2 StR 199/12

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit liegt eine Tat im sachlichrechtlichen Sinne nur dann vor, wenn mehrere, im Wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden (objektiv) auch für einen Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Geschehen darstellt.

  2. 2.

    Richten sich die Handlungen des Täters gegen höchstpersönliche Rechtsgüter der Opfer, wird die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sie liegt jedoch bereits nicht nahe.

  3. 3.

    Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn ein einheitlicher Tatentschluss gegeben ist und die Aufspaltung des Tatgeschehens in Einzelhandlungen wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges, etwa bei Messerstichen oder Schüssen ohne jegliche zeitliche Zäsur, willkürlich und gekünstelt erschiene.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. August 2012 gemäß § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mainz vom 20. Dezember 2011 wird als unbegründet verworfen; jedoch wird der Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der sexuellen Nötigung, des versuchten Totschlags in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig ist.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Fall II. 2 der Urteilsgründe) zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt und drei Monate als vollstreckt erklärt. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Schuldspruch bedarf indes der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung.

2

1.

Das Landgericht hat das Tatgeschehen im Fall II. 2 der Urteilsgründe als natürliche Handlungseinheit gewertet. Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

3

a)

Unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit liegt eine Tat im sachlichrechtlichen Sinne nur dann vor, wenn mehrere, im Wesentlichen gleichartige Handlungen von einem einheitlichen Willen getragen werden und aufgrund ihres engen räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs so miteinander verbunden sind, dass sich das gesamte Tätigwerden (objektiv) auch für einen Dritten bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches Geschehen darstellt (st. Rspr.; vgl. BGH, StV 1994, 537 [BGH 24.02.1994 - 4 StR 683/93]; BGHR StGB § 52 Abs. 1 Entschluss, einheitlicher 1; vgl. LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., vor § 52 Rn. 10 ff.). Richten sich die Handlungen des Täters gegen höchstpersönliche Rechtsgüter der Opfer, wird die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sie liegt jedoch bereits nicht nahe (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., vor § 52 Rn. 7). Denn höchstpersönliche Rechtsgüter sind einer additiven Betrachtungsweise allenfalls in Ausnahmefällen zugänglich. Deshalb können solche Handlungen, die sich nacheinander gegen mehrere Personen richten, grundsätzlich weder durch ihre enge Aufeinanderfolge noch durch einen einheitlichen Plan oder Vorsatz zu einer natürlichen Handlungseinheit und damit zu einer Tat im Rechtssinne zusammengefasst werden. Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn ein einheitlicher Tatentschluss gegeben ist und die Aufspaltung des Tatgeschehens in Einzelhandlungen wegen eines außergewöhnlich engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhanges, etwa bei Messerstichen oder Schüssen ohne jegliche zeitliche Zäsur, willkürlich und gekünstelt erschiene (vgl. BGHR StGB § 232 Konkurrenzen 1; BGH, NStZ-RR 2001, 82 mwN; StraFo 2012, 267 [BGH 29.03.2012 - 3 StR 422/11]; Urteil vom 23. Mai 2012 - 5 StR 54/12; LK/Rissing-van Saan, aaO, Rn. 14).

4

b)

Nach diesen Maßstäben können die vorliegend gegen drei Geschädigte gerichteten Verletzungshandlungen des Angeklagten nicht zu einer einheitlichen Tat zusammengefasst werden. Nach den Feststellungen des Landgerichts fühlte sich der Angeklagte zurückgesetzt, nachdem er von seinen Freunden davon abgehalten worden war, ein von ihm beabsichtigtes klärendes Gespräch mit dem Zeugen H. zu führen. Er lief deshalb nach einem Gerangel zwischen seinen Freunden und mehreren Personen um den Zeugen H. , an dem er selbst nicht aktiv beteiligt war, mit vorgehaltener Pistole aus der Gruppe seiner Freunde heraus und schoss in Richtung einer Personengruppe, die um den Geschädigten R. und wenige Meter hinter H. stand. Er traf R. am Oberarm. Anschließend lief der Angeklagte auf H. - zu und schoss diesem zielgerichtet in Bauch und Hals. Als nunmehr der mit einer Eisenstange bewaffnete Zeuge Ha. auf den Angeklagten zurannte, um diesen von weiteren Schüssen auf H. abzuhalten, entschloss sich der Angeklagte zur Flucht. Während des Wegrennens drehte er sich im Laufen um und gab drei Schüsse in Richtung des Oberkörpers des Geschädigten Ha. ab, die diesen an beiden Armen und einem Bein trafen.

5

Auf der Grundlage dieses Geschehensablaufes, der insbesondere durch mehrere Tatentschlüsse des Angeklagten gekennzeichnet ist, liegt keine der von der Rechtsprechung bei Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter mehrerer Personen anerkannten Ausnahmen vor.

6

2.

Der Senat hat den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO selbst geändert, da ergänzende Feststellungen nicht zu erwarten sind. § 358 Abs. 2 StPO steht der Ergänzung des Schuldspruchs nicht entgegen, da er das Risiko einer Verschlechterung des Schuldspruchs nicht ausschließt (vgl. BGH NStZ 2011, 212, 213). Auch § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich insoweit nicht anders verteidigen können.

7

Die Änderung des Schuldspruchs erfordert nicht die Aufhebung des Strafausspruchs. Denn die vom Landgericht bei der Bemessung der Jugendstrafe in den Vordergrund gestellten Belange eines gerechten Schuldausgleichs und erzieherischer Erfordernisse werden von der Schuldspruchänderung nicht berührt.

Fischer

Appl

Berger

Eschelbach

Ott

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