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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 21.06.2012, Az.: V ZB 46/12
Erfordernis eines zulässigen Haftantrags für die Rechtmäßigkeit der Anordnung der Sicherungshaft i.R. einer Abschiebung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 21.06.2012
Referenz: JurionRS 2012, 18527
Aktenzeichen: V ZB 46/12
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Pirmasens - 13.02.2012 - AZ: 1 XIV 11/12 B

LG Zweibrücken - 17.02.2012 - AZ: 4 T 18/12

BGH, 21.06.2012 - V ZB 46/12

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags für die Sicherungshaft ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden.

  2. 2.

    Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können.

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Juni 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt Räntsch und Dr. Roth und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Pirmasens vom 13. Februar 2012 und der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 17. Februar 2012 ihn in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen werden dem Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge auferlegt.

Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 3.000 €.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein chinesischer Staatsangehöriger, reiste 2001 ohne Pass und Visum in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sein Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt. Am 7. Oktober 2010 stellte die Volksrepublik China ihm ein für die Dauer von zwei Jahren gültiges Reisedokument aus. Eine für den 1. November 2010 geplante Abschiebung scheiterte, da der Betroffene untergetaucht war. Im Januar 2012 wurde er von der Polizei aufgegriffen und aufgrund gesundheitlicher Beschwerden ins Krankenhaus verbracht; dort hielt er sich bis zum 10. Februar 2012 auf. Auf Antrag der beteiligten Behörde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 13. Februar 2012 Abschiebungshaft bis zum 10. April 2012 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Am 21. März 2012 ist der Betroffene in die Volksrepublik China abgeschoben worden. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt er die Feststellung, dass er durch die Haftanordnung und ihre Aufrechterhaltung in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.

2

Nach Auffassung des Beschwerdegerichts liegen die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 5 AufenthG vor. Die Dauer der angeordneten Haft berücksichtige, dass die Abschiebung des Betroffenen aufgrund von medizinischen Gründen möglicherweise nicht sofort möglich sei. Es handle sich aber um einen minimalinvasiven Eingriff mit geringer Belastung und geringer Behandlungsdauer, so dass eine Abschiebung innerhalb der vorgesehenen Frist erfolgen könne.

III.

3

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

4

Sowohl die Entscheidung des Amtsgerichts als auch die des Beschwerdegerichts haben den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Die Anordnung der Sicherungshaft und die Beschwerdeentscheidung waren rechtswidrig, weil es an einem zulässigen Haftantrag und damit an der nach § 417 Abs. 1 FamFG unverzichtbaren Grundlage für die Freiheitsentziehung fehlt.

5

1.

Das Vorliegen eines zulässigen Haftantrags ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, Rn. 12 mwN, [...]; Senat, Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317 mwN).

6

2.

Diesen gesetzlichen Anforderungen an die Begründung genügt der Haftantrag nicht. Entgegen § 417 Abs. 2 Nr. 4 und 5 FamFG fehlen jegliche Ausführungen zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und der Erforderlichkeit der beantragten Haftdauer von zwei Monaten. Anzugeben ist, ob und innerhalb welchen Zeitraums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind. Erforderlich sind konkrete Angaben zum Ablauf des Verfahrens und eine Darstellung, in welchem Zeitraum die einzelnen Schritte unter normalen Bedingungen durchlaufen werden können (Senat, Beschluss vom 27. Oktober 2011 V ZB 311/10, Rn. 13 f., [...]).

7

3.

Den Mangel des Haftantrages hat die beteiligte Behörde, was für die Zukunft möglich gewesen wäre (siehe nur Senat, Beschluss vom 15. September 2011 V ZB 123/11, FGPrax 2011, 317), nicht nachträglich behoben. Zwar hat sie anlässlich der persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren vorgetragen, dass zur tatsächlichen Durchführung der Abschiebung lediglich ein Flugticket erforderlich sei. Warum die Beschaffung eines Flugtickets für den Betroffenen, der über ein gültiges Reisedokument verfügte, einen Zeitraum von zwei Monaten in Anspruch nehmen soll, hat sie aber nicht erläutert.

8

Soweit die Vertreterin der Behörde auf eine in vier Wochen anstehende Operation des Betroffenen hingewiesen hat, die ihrer Auskunft zufolge auch in jedem kleineren Krankenhaus in China durchgeführt werden könne, ist nicht nachvollziehbar, ob und inwieweit dies mit der Durchführbarkeit der Abschiebung im Zusammenhang steht.

IV.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 83 Abs. 2, § 81 Abs. 1, § 430 FamFG. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, den Landkreis Wunsiedel i. Fichtelgebirge zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Juli 2010 V ZB 28/10 Rn. 18, [...]). Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i.V.m. § 30 Abs. 2 KostO.

Krüger
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner
Weinland

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