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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 08.11.2011, Az.: 3 StR 367/11
Anforderungen an die gerichtliche Darlegung hinsichtlich einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten in Zusammenhang mit sexuellem Missbrauch von Kindern
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 08.11.2011
Referenz: JurionRS 2011, 29702
Aktenzeichen: 3 StR 367/11
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Lüneburg - 08.07.2011

Verfahrensgegenstand:

Sexueller Missbrauch von Kindern u.a.

BGH, 08.11.2011 - 3 StR 367/11

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 8. November 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 8. Juli 2011 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

    Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

  2. 2.

    Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie exhibitionistischer Handlungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils im gesamten Strafausspruch; zum Schuldspruch ist es aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

Die Darlegungen des Landgerichts zur Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert war, begegnen aus mehreren Gründen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

3

1. Hierzu hat das Landgericht im Wesentlichen folgendes ausgeführt: Zwar erfüllten nach dem psychiatrischen Sachverständigengutachten die beim Angeklagten festgestellte hirnorganische Symptomatik sowie die festgestellte dissoziale Persönlichkeitsstörung die Eingangskriterien krankhafte seelische Störung bzw. schwere andere seelische Abartigkeit. Der psychiatrische Sachverständige habe jedoch für die Kammer überzeugend dargelegt, dass deswegen die Steuerungsfähigkeit nicht erheblich vermindert gewesen sei. Soweit anlässlich früherer Taten eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit bejaht worden sei, beruhe dies darauf, dass zusätzlich zu der krankheitsbedingten Nivellierung der Kritik- und Urteilsfähigkeit eine Alkoholintoxikation vorgelegen habe, an der es bei den verfahrensgegenständlichen Taten fehle.

4

2. Diese Erwägungen sind so allgemein gehalten, dass sie dem Senat nicht die revisionsgerichtliche Überprüfung ermöglichen, ob die Strafkammer bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist und damit zu Recht keine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorgenommen hat. Sie beschränken sich darauf, das Ergebnis des psychiatrischen Sachverständigengutachtens zu referieren und sich diesem pauschal anzuschließen. Mit den für die Beurteilung der Schuldfähigkeit wesentlichen Umständen - dem Schweregrad der hirnorganischen Symptomatik und der Persönlichkeitsstörung sowie deren Auswirkungen auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Angeklagten und das Tatverhalten - befassen sich die Urteilsgründe nicht (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 21 Rn. 6 ff., 14 mwN). Bereits die festgestellten 58 Vorverurteilungen, von denen elf einschlägig sind, deuten auf eine Persönlichkeitsstörung von Gewicht hin. Außerdem hat das Landgericht im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung nicht die sich aufdrängende Frage geprüft, ob die Persönlichkeitsstörung im Zusammenwirken mit der hirnorganischen Symptomatik bei den Taten die Fähigkeit des Angeklagten, sich normgerecht zu verhalten, im Vergleich zu einem voll schuldfähigen Menschen in erheblichem Maße einschränkte (vgl. Fischer, aaO Rn. 7a mwN). Weiterhin hat es übersehen, dass es sich bei der auch normativ geprägten Beurteilung der Schuldfähigkeit um eine Rechtsfrage handelt, über die das Tatgericht aufgrund einer Gesamtwürdigung in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (Fischer, aaO Rn. 7 f. mwN).

5

Über den Rechtsfolgenausspruch ist daher neu zu verhandeln und zu entscheiden.

Becker

von Lienen

Schäfer

Mayer

Menges

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