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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 08.02.2011, Az.: 5 StR 501/10
Rechtmäßigkeit der Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch den Urkundenbeweis bei sukzessiver Verlesungen von Niederschriften über polizeiliche Zeugenvernehmungen zum Zwecke der Gedächtnisunterstützung
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 08.02.2011
Referenz: JurionRS 2011, 11050
Aktenzeichen: 5 StR 501/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

LG Dresden - 05.05.2010

Fundstellen:

NStZ 2011, 7

NStZ 2011, 422-423

StRR 2011, 224 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

Verfahrensgegenstand:

Betrug u.a.

BGH, 08.02.2011 - 5 StR 501/10

Redaktioneller Leitsatz:

  1. 1.

    Ein Zeuge muss grundsätzlich vor Anordnung der Protokollverlesung nach § 253 Abs. 1 StPO vollständig, gegebenenfalls auch unter Einsatz von Vernehmungsbehelfen, vernommen worden sein.

  2. 2.

    Diese Vorgaben verbieten es indes nicht, die Zeugenvernehmung im Interesse des Zeugen, aber auch einer zügigen Verfahrensführung angemessen zu strukturieren, namentlich komplexen Verfahrensstoff in einzelne Abschnitte zu gliedern.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs
hat
am 8. Februar 2011
beschlossen:

Tenor:

Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 5. Mai 2010 werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts, die durch das weitere Revisionsvorbringen nicht entkräftet werden, bemerkt der Senat:

Die von dem Angeklagten beanstandeten Verletzungen des § 253 StPO sind nicht in zulässiger Weise ausgeführt. Die rügebegründenden Tatsachen werden jeweils durch den Beschwerdeführer nicht vollständig vorgetragen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).

Den Verfahrensbeanstandungen liegen vier durch den Vorsitzenden der Strafkammer nach § 253 Abs. 1 StPO angeordnete Verlesungen von Niederschriften über polizeiliche Zeugenvernehmungen zum Zwecke der Gedächtnisunterstützung zugrunde. Die Verlesungen erfolgten jeweils, nachdem die Zeugin T. erklärt hatte, sie könne sich auch auf Vorhalt nicht an einzelne ihrer Angaben im Rahmen früherer polizeilicher Vernehmungen erinnern. Ausweislich des Revisionsvortrags - und mangels staatsanwaltschaftlicher Gegenerklärung unwiderlegt - wurde die Zeugin nach jeder einzelnen Verlesung weiter vernommen und machte jeweils "weitere Angaben zur Sache". Der Beschwerdeführer erblickt in diesem sukzessiven Vorgehen der

Strafkammer eine rechtsfehlerhafte Durchbrechung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes durch den Urkundenbeweis.

Im Grundsatz zutreffend hebt die Revision darauf ab, dass ein Zeuge vor Anordnung der Protokollverlesung nach § 253 Abs. 1 StPO vollständig, gegebenenfalls auch unter Einsatz von Vernehmungsbehelfen - die regelmäßig ausreichen werden - vernommen werden muss (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 1965 - 1 StR 4/65, BGHSt 20, 160, 162; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 253 Rn. 3; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 277 mN). Im Sinne bestmöglicher Wahrheitsermittlung ist der Zeuge dabei zu veranlassen, im Zusammenhang anzugeben, was ihm von dem Gegenstand seiner Vernehmung bekannt ist (§ 69 Abs. 1 Satz 1 StPO); daran anschließend ist er zu vernehmen (§ 69 Abs. 2 StPO).

Diese Vorgaben verbieten es indes nicht, die Zeugenvernehmung im Interesse des Zeugen, aber auch einer zügigen Verfahrensführung angemessen zu strukturieren, namentlich komplexen Verfahrensstoff in einzelne Abschnitte zu gliedern (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Juli 1965 - 4 StR 343/65, bei Dallinger MDR 1966, 25; E. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordung und zum Gerichtsverfassungsgesetz Teil II, § 69 Rn. 4; zur Strukturierung der Sachvernehmung des Angeklagten vgl. KK-Schneider, StPO, 6. Aufl., § 243 Rn. 39). Umfasst eine Anklageschrift mehrere Taten im prozessualen oder materiell-rechtlichen Sinne und damit naheliegenderweise verschiedene Beweisthemen im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StPO (vgl. Rogall in SK-StPO, 45. Lfg., § 69 Rn. 12), ist eine daran orientierte Vernehmungsgestaltung regelmäßig sogar geboten. Der Zeuge hat sein Wissen jeweils für das einzelne Beweisthema im Zusammenhang vorzutragen. Kann er sich dabei nach einer vollständigen auch unter Einsatz von Vorhalten durchgeführten Vernehmung an einzelne Tatsachen nicht erinnern, so begründet eine daran anknüpfende Protokollverlesung einen Verstoß gegen § 253 Abs. 1 StPO grundsätzlich auch dann nicht, wenn anschließend die Vernehmung bezogen auf weitere Beweisthemen fortgeführt wird.

Daher ist zum Gegenstand einer zulässigen Verfahrensbeanstandung nach § 253 Abs. 1 StPO namentlich bei umfangreichen Anklagevorwürfen auch zu machen, ob und in welcher Weise die Vernehmung durch die Strafkammer gegliedert wurde. Anderenfalls ist dem Revisionsgericht eine Überprüfung verschlossen, ob das Erfordernis einer der Verlesung vorangehenden vollständigen Zeugenvernehmung durch das Tatgericht erfüllt worden war. Dazu verhält sich das Revisionsvorbringen hier nicht.

Der Senat kann mit Blick auf diesen Zulässigkeitsmangel es dahin stehen lassen, ob der Revisionsführer zum Erhalt seiner Verfahrensrüge bei sämtlichen einzelnen Anordnungen nach § 253 Abs. 1 StPO vom Zwischenrechtsbehelf des § 238 Abs. 2 StPO hätte Gebrauch machen müssen (vgl. Mosbacher in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 253, Rn. 26) und ob auf einem etwaigen Verstoß mit der hier gegebenen Zielrichtigung ein Urteil überhaupt beruhen könnte.

Basdorf
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Schneider

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