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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 20.01.2011, Az.: V ZA 30/10
Rechtmäßigkeit eines Antrags auf Prozesskostenhilfe im Falle eines Asylantrags nach erfolgter Vorlage eines gefälschten Reisepasses
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 20.01.2011
Referenz: JurionRS 2011, 11576
Aktenzeichen: V ZA 30/10
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Frankfurt am Main - 29.07.2010 - AZ: 934 XIV 1347/10 (H)

LG Frankfurt am Main - 14.10.2010 - AZ: 2-28 T 149/10

BGH, 20.01.2011 - V ZA 30/10

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 20. Januar 2011
durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger,
die Richter Dr. Lemke, Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth und
die Richterin Dr. Brückner
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag des Betroffenen, ihm Verfahrenskostenhilfe für die Einlegung einer Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 28. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Oktober 2010 zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Betroffene, ein nigerianischer Staatsangehöriger, traf am 26. Juli 2010 aus Italien kommend auf dem Frankfurter Flughafen ein. Er legte einen gefälschten britischen Pass vor und wurde festgenommen. Im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung am 27. Juli 2010 ersuchte der Betroffene um Asyl. Dieses Gesuch leitete die Beteiligte zu 2 am 28. Juli 2010 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend Bundesamt) weiter. Noch am 27. Juli 2010 beantragte die Beteiligte zu 2 bei dem Amtsgericht die Anordnung der Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen nach Italien. Der Antrag ging um 11:03 Uhr bei dem Gericht ein. Kurz vor Schluss des daraufhin anberaumten Termins zur persönlichen Anhörung des Betroffenen teilte dessen Verfahrensbevollmächtigte mit, dass sie um 12:07 Uhr für den Betroffenen per Telefax bei dem Bundesamt einen förmlichen Asylantrag gestellt habe. Daraufhin nahm die Beteiligte zu 2 den Haftantrag zurück.

2

Den Antrag des Betroffenen, der Beteiligten zu 2 die ihm durch den Haftantrag entstandenen Kosten aufzuerlegen, hat das Amtsgericht zurückgewiesen. Die Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit der beabsichtigten Rechtsbeschwerde möchte der Betroffene die Verpflichtung der Beteiligten zu 2 zur Erstattung seiner außergerichtlichen Auslagen erreichen und beantragt hierfür die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe.

II.

3

Das Beschwerdegericht meint, das Amtsgericht habe zu Recht davon abgesehen, der Beteiligten zu 2 die Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen. Denn es habe ein begründeter Anlass zur Stellung des Haftantrags bestanden. Der Betroffene sei ohne gültige Papiere eingereist und daher vollziehbar ausreisepflichtig gewesen. Somit habe ein Haftgrund vorgelegen. Da der Betroffene aus einem sicheren Drittstaat eingereist sei, habe das im Rahmen der polizeilichen Vernehmung geäußerte Asylgesuch einer Haftanordnung nicht entgegengestanden. Die Beteiligte zu 2 sei auch nicht zur Weiterleitung des mündlichen Asylersuchens verpflichtet gewesen.

III.

4

Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist zurückzuweisen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung aussichtslos erscheint (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO). Die Rechtsbeschwerde wäre mangels Zulassung durch das Beschwerdegericht (§ 70 Abs. 1 FamFG) nicht statthaft.

5

1.

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG nur dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen einen Beschluss richtet, der die freiheitsentziehende Maßnahme anordnet. Erforderlich ist, dass der angefochtene Beschluss eine unmittelbar freiheitsentziehende Wirkung hat (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht zu der BRAO-Novelle, BT-Drucks. 16/12717, S. 60). Das trifft zwar auch auf den Fall der Erledigung der Hauptsache zu, wenn es nach § 62 Abs. 1 FamFG nur noch um die Feststellung geht, ob die Haftanordnung den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 6. Mai 2010 - V ZB 213/09, Rn. 3 und 5, [...]; Beschluss vom 22. Juli 2010 - V ZB 29/10, Rn. 4, [...]; Beschluss vom 21. Oktober 2010 - V ZB 96/10, Rn. 4 und 10, [...]). Anders liegt es indes hier, weil die Behörde den Haftantrag noch vor der Entscheidung des Amtsgerichts über die Haftanordnung zurückgenommen und das Amtsgericht nach §§ 83 Abs. 2, 430 FamFG nur noch über die Kosten entschieden hat.

6

2.

Den Anwendungsbereich von § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG auf diesen Fall auszuweiten, ist im Lichte der Effektivität des Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht geboten.

7

a)

Zwar ist ein Rechtsschutzbedürfnis nach Erledigung der Maßnahme insbesondere bei Grundrechtseingriffen gegeben, die das Grundgesetz - wie hier Art. 104 Abs. 2 GG - selbst unter Richtervorbehalt gestellt hat (BVerfGE 96, 27, 40 [BVerfG 30.04.1997 - 2 BvR 817/90]; 104, 220, 233). Auch ist mit der Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung, die schwerwiegend in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eingreift, ein an ein zurechenbares Verhalten des Ausländers anknüpfendes Unwerturteil verbunden (vgl. BVerfGE 104, 220, 235). Anders verhält es sich jedoch hier.

8

aa)

Ob die Rücknahme des verfahrenseinleitenden Antrags vor der Haftanordnung ein Fall der Erledigung der Hauptsache (dazu Senat, Beschluss vom 14. Oktober 2010 - V ZB 78/10, Rn. 11, [...]) ist (so BayObLG, MDR 1985, 773; bejahend im Fall der Antragsrücknahme im Rechtsmittelverfahren nach dem FGG, BayObLGZ 1979, 211, 213; FGPrax 2004, 307, 308), kann offen bleiben. Erforderlich für die Statthaftigkeit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde ist jedenfalls ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht der Freiheit (vgl. BVerfGE 104, 220, 233; BayObLG, FGPrax 2004, 307, 308; Keidel/Budde, FamFG, 16. Aufl., § 62 Rn. 12) durch die gerichtliche Entscheidung, an dem es hier fehlt. Denn im vorliegenden Fall ist die Freiheitsentziehung nicht nur nicht vollzogen (dazu BVerfG, NJW 2006, 668, 669 [BVerfG 29.11.2005 - 2 BvR 1737/05]), sondern schon nicht angeordnet worden.

9

bb)

Anders als der Betroffene meint, gebieten auch die Ausführungen des Beschwerdegerichts zu § 430 FamFG nicht die Gleichstellung mit dem Fall einer erledigten Haftanordnung. Dem Rechtsschutzbedürfnis des Betroffenen ist dadurch Genüge getan, dass er die Möglichkeit hatte, eine in der Auslagenlast fortwirkende Beeinträchtigung seiner Rechte von dem Beschwerdegericht überprüfen zu lassen (vgl. nur BVerfGE 96, 27, 39 [BVerfG 30.04.1997 - 2 BvR 817/90]; 107, 395, 402; Dreier/Schulze-Fielitz, Grundgesetzkommentar, 2. Aufl., Art. 19 IV Rn. 94).

10

b)

Die Beschränkung der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde lässt schließlich nicht das von dem Betroffenen verfolgte Rechtsschutzziel außer Acht und verkürzt deshalb nicht seinen Rechtsschutzanspruch (Art. 19 Abs. 4 GG; vgl. BVerfG, InfAuslR 2008, 453, 455 [BVerfG 25.07.2008 - 2 BvR 31/06]). Gegen die Auslegung des auf Kostenerstattung gerichteten Antrags durch den Senat dahin, die Rechtswidrigkeit der Inhaftierung festzustellen, spricht der Umstand, dass der Betroffene in der Beschwerdebegründung nur die Entschließung zur Haftantragstellung und nicht die seit dem 26. Juli 2010 vollzogene Inhaftierung angegriffen hat und mit der Rechtsbeschwerde nicht rügt, dass schon das Beschwerdegericht den Kostenantrag nicht als umfassenden Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung behandelt hat.

Krüger
Lemke
Schmidt-Räntsch
Roth
Brückner

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