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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 16.09.2009, Az.: VIII ZR 67/08
Revision über einen Anspruch eines ausländischen Mieters gegen einen Vermieter auf Genehmigung der Installation einer Parabolantenne zum Empfang ausländischer Fernsehprogramme; Überwiegen des Informationsinteresse eines kurdischen Beklagten bei möglicher Verfassungswidrigkeit des von Roj TV ausgestrahlten Programmes wegen Verbreitung gegen das deutsche Strafrecht verstoßender Inhalte
Gericht: BGH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 16.09.2009
Referenz: JurionRS 2009, 25071
Aktenzeichen: VIII ZR 67/08
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

AG Kamen - 15.08.2007 - AZ: 9 C 49/07

LG Dortmund - 24.01.2008 - AZ: 11 S 166/07

Fundstellen:

Info M 2010, 57

MietPrax-AK, § 535 BGB Nr. 38

NJW 2010, 436-438 "Sendelizenz in EU-Mitgliedstaat für inländisch umstrittenen Sender"

NZM 2010, 119-120

WuM 2010, 29-30

ZMR 2010, 268-269

BGH, 16.09.2009 - VIII ZR 67/08

Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat
am 16. September 2009
durch
den Vorsitzenden Richter Ball,
den Richter Dr. Frellesen,
die Richterin Dr. Milger,
den Richter Dr. Achilles und
die Richterin Dr. Fetzer
beschlossen:

Tenor:

Der Senat beabsichtigt, die vom Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss nach § 552a ZPO zurückzuweisen.

Gründe

1

1.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Voraussetzungen, unter denen einem ausländischen Mieter gegen den Vermieter ein Anspruch auf Genehmigung der Installation einer Parabolantenne zum Empfang ausländischer Fernseh- und Hörfunkprogramme zustehen kann, auch wenn das Haus mit einem Breitbandkabelanschluss ausgestattet ist, sind durch die Rechtsprechung des Senats und des Bundesverfassungsgerichts geklärt (Senatsurteile vom 10. Oktober 2007 - VIII ZR 260/06, NJW 2008, 216; vom 16. Mai 2007 - VIII ZR 207/04, NJW-RR 2007, 1243; vom 17. April 2007 - VIII ZR 63/04, WuM 2007, 380; vom 16. November 2005 - VIII ZR 5/05, NJW 2006, 1062; vom 2. März 2005 - VIII ZR 118/04, NJW-RR 2005, 596; BVerfGE 90, 27, 32 ff.; BVerfG, NJW-RR 2005, 661; BVerfG, GE 2007, 902).

2

2.

Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.

3

a)

Einen Anspruch der Klägerin aus § 541 BGB auf Entfernung der von einem Nachbarn der Beklagten errichteten und in dessen Eigentum stehenden Satellitenempfangsanlage auf dem Dach des Hauses hat das Berufungsgericht zu Recht verneint. Der vertragswidrige Gebrauch der Mietsache durch die Beklagten besteht nicht in der Anbringung und Vorhaltung dieser Anlage, sondern darin, dass sie von ihrer Wohnung aus eine Zuleitung zu der Anlage gelegt haben. Mit Entfernung dieser Zuleitung, zu der die Beklagten durch die Vorinstanzen verurteilt worden sind, ist der vertragswidrige Gebrauch der Mietsache durch die Beklagten beendet.

4

b)

Das Berufungsgericht hat auf die Widerklage der Beklagten auch rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Klägerin verpflichtet ist, die Installation einer baurechtlich zulässigen Parabolantenne zum Empfang kurdischer Sender an einem von ihr zu bestimmenden Aufstellungsort zu genehmigen, soweit die Beklagten für die Versicherung Sorge tragen und die Rückbaukosten gegenüber der Klägerin sicherstellen.

5

Nach der oben (unter 1) aufgeführten Rechtsprechung ist dem Grundrecht des Mieters aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, auch in zivilgerichtlichen Streitigkeiten über die Anbringung von Satellitenempfangsanlagen an Mietwohnungen Rechnung zu tragen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das - gleichrangige - Grundrecht des Vermieters als Eigentümer aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berührt ist, wenn von ihm verlangt wird, eine Empfangsanlage an seinem Eigentum zu dulden. Die erforderliche Abwägung, ob das Informationsrecht des Mieters aus Art. 5 Abs. 1 GG im konkreten Fall das Eigentumsrecht des Vermieters aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG überwiegt, ist grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters und vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar.

Das Berufungsgericht hat diese Abwägung ohne Rechtsfehler zu Lasten der Klägerin vorgenommen.

6

aa)

Dem steht nicht entgegen, dass die Beklagten, türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit, durch den in ihrer Wohnung vorhandenen Anschluss an das Breitbandkabelnetz mittels zweier Zusatzpakete neun Programme in türkischer Sprache empfangen können, die sie neben der kurdischen Sprache ebenfalls beherrschen. Das Berufungsgericht hat in seine Abwägung rechtsfehlerfrei ein besonderes Interesse der Beklagten an den Vorgängen, an Sprache und Kultur ihrer kurdischen Heimatregion einbezogen und nicht lediglich darauf abgestellt, dass ihnen der Empfang eines Senders in kurdischer Sprache möglich sein müsse, obwohl sie auch türkisch sprechen. Dass allein der von den Beklagten benannte Sender Roj TV Programme in kurdischer Sprache und mit kurdischen Inhalten abstrahlt, räumt die Revision ausdrücklich ein. Das Interesse der Beklagten am Empfang des Senders Roj TV wird nicht dadurch aufgehoben, dass sie sich daneben über kurdische Themen aus anderen Quellen (Zeitungen, Internet) informieren können. Dass das Berufungsgericht gegenüber einer - eher geringen - rein optischen Beeinträchtigung des Eigentums der Klägerin durch die fachgerechte Anbringung einer Parabolantenne dem Informationsinteresse der Beklagten den Vorrang eingeräumt hat, ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

7

bb)

Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht auch zu Recht der Klägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür auferlegt, dass das Informationsinteresse der Beklagten deshalb nicht schützenswert ist, weil die von Roj TV ausgestrahlten Programme verfassungswidrig sind oder gegen das deutsche Strafrecht verstoßende Inhalte verbreiten. In dem Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2005, auf den die Klägerin verweist, ist der Sender Roj TV zwar als Fernsehsender der in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten kurdischen Organisationen und Arbeiterpartei aufgeführt. Gleichzeitig ergibt sich aus dem Bericht jedoch, dass der Sender über eine dänische Sendelizenz verfügt.

8

Nach Art. 2a der Richtlinie 89/552/EWG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Bereitstellung audiovisueller Mediendienste (Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, ABl. EG Nr. L 298 S. 23, zuletzt geändert durch Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007, ABl. EG Nr. L 332 S. 27, im Folgenden: Richtlinie) gewährleisten die Mitgliedstaaten den freien Empfang und behindern nicht die Weiterverbreitung von audiovisuellen Mediendiensten (unter anderem Fernsehprogrammen) aus anderen Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet aus Gründen, die Bereiche betreffen, die durch diese Richtlinie koordiniert sind. Davon können sie bei Fernsehprogrammen nur unter eng begrenzten Voraussetzungen abweichen. Dementsprechend sieht § 23 des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen (GVBl. NRW 2002, 334) vor, dass in einem anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union rechtmäßig veranstaltete Fernsehprogramme grundsätzlich in einer Kabelanlage zeitgleich, inhaltlich unverändert und vollständig weiterverbreitet werden dürfen.

9

Ob vor diesem Hintergrund im Rahmen der im Mietverhältnis für einen Anspruch des Mieters auf Genehmigung einer Parabolantenne erforderlichen Abwägung zwischen dessen Informationsinteresse und dem Eigentumsrecht des Vermieters bei einem Fernsehprogramm, das in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union lizenziert ist, überhaupt zulasten des Mieters berücksichtigt werden könnte, dass die Inhalte gegen das Grundgesetz oder das deutsche Strafrecht verstoßen, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Jedenfalls hat das Berufungsgericht angesichts dieser Rechtslage im Ergebnis zutreffend weitergehenden Vortrag der Klägerin zu unzulässigen, nicht mehr von einem legitimen Informationsinteresse der Beklagten gedeckten Programminhalten gefordert.

10

cc)

Anders als die Revision meint, ist das Berufungsurteil schließlich auch nicht deshalb mit Rechtsfehlern behaftet, weil das Bundesinnenministerium durch Verfügung vom 13. Juni 2008 (Az: ÖS II 3 - 619 314 - 2/52, Bundesanzeiger 2008, 2142), also nach Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht, gegenüber den Gesellschaften, die den Fernsehsender Roj TV betreiben, ein sofort vollziehbares Verbot einer Betätigung in Deutschland ausgesprochen hat. Allerdings können materiellrechtliche Folgen von Umständen, die nach Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung eingetreten sind, in der Revisionsinstanz aus Gründen der Prozessökonomie zu berücksichtigen sein, sofern die Tatsachen unstreitig sind und nicht schützenswerte Belange einer Partei entgegenstehen (Senatsurteil vom 12. März 2008 - VIII ZR 71/07, NJW 2008, 1661, Tz. 25; BGHZ 104, 215, 221). Das gilt insbesondere, wenn es sich bei den neuen Tatsachen um behördliche Akte oder gerichtliche Entscheidungen handelt (BGH, Urteil vom 3. April 1998 - V ZR 143/97, NJW-RR 1998, 1284, unter II 1; Urteil vom 12. Oktober 1984 - V ZR 31/83, MDR 1985, 394).

11

Die vorliegende Verbotsverfügung ist jedoch nicht bestandskräftig. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Beschlüsse vom 14. Mai 2009 (BVerwG, 6 VR 3.08 und 6 VR 4.08, [...]) die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklagen, die die Betreiber gegen die Verbotsverfügung erhoben haben, wiederhergestellt. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt, den Klagen könne eine Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden, weil viel dafür spreche, dass die von dem Ministerium herangezogenen deutschen Rechtsgrundlagen auf die grenzüberschreitende Sendetätigkeit nicht anwendbar seien, die Bestimmung des deutschen Strafrechts, die das Ministerium durch den Sender verwirklicht sehe, sich nur auf in Deutschland ausgeübte Tätigkeiten beziehe und die Richtlinie für grenzüberschreitende Fernsehsendungen Mindestnormen enthalte, deren Einhaltung nicht vom "Empfangsstaat", sondern vom "Sendestaat" kontrolliert werde. Es steht deshalb nicht fest, ob die nach Schluss der mündlichen Verhandlung erlassene Verbotsverfügung Bestand haben wird. Das schließt es aus, sie aus prozessökonomischen Gründen zulasten der Beklagten im Revisionsverfahren zu berücksichtigen.

12

3.

Die Klägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses.

Ball
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Fetzer

Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss erledigt worden.

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