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Bundesgerichtshof
Beschl. v. 17.08.1978, Az.: 4 ARs 8/78

Beurteilung einer bloßen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ; Organisation und Einschleusung von Personen und Material; Anordnung einer vorläufigen Auslieferungshaft

Bibliographie

Gericht
BGH
Datum
17.08.1978
Aktenzeichen
4 ARs 8/78
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1978, 12468
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
OLG Hamm

Fundstellen

  • BGHSt 28, 110 - 116
  • JZ 1978, 726-727
  • MDR 1978, 946-947 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 1978, 2458-2459 (Volltext mit amtl. LS)

Prozessgegner

Jugoslawischer Staatsangehöriger Petar Damir P. aus B., geboren am ... 1949 in S. (Jugoslawien)

Amtlicher Leitsatz

Die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a StGB, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, auch vorsätzliche Verbrechen gegen das Leben im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages zu begehen, ist nicht als Teilnahme an einem solchen Verbrechen anzusehen.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat
nach Anhörung des Generalbundesanwalts
am 17. August 1978
durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Salger sowie
die Richter Dr. Dr. Spiegel, Dr. Knoblich, Dr. Ruß und Maier
beschlossen:

Tenor:

Die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a StGB, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, auch vorsätzliche Verbrechen gegen das Leben im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages zu begehen, ist nicht als Teilnahme an einem solchen Verbrechen anzusehen.

Gründe

1

I.

Das Bundessekretariat für Gerichtsbarkeit und Organisation der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien hat den Bundesminister der Justiz um die Auslieferung des Petar Damir P. nach Jugoslawien zum Zwecke der Strafverfolgung ersucht. Dem Auslieferungsersuchen ist ein Beschluß des Untersuchungsrichters des Kreisgerichts Belgrad vom 24. Mai 1978 beigefügt, durch welchen gegen den Verfolgten die Untersuchung eingeleitet und "Vorhaft" angeordnet worden ist. Der Verfolgte ist dem Auslieferungsersuchen zufolge jugoslawischer Staatsangehöriger, nach eigenen Angaben in einem früheren Verfahren dagegen staatenlos, demnach jedenfalls kein Deutscher, der nach Art. 16 Abs. 2 Satz 1 GG nicht ausgeliefert werden dürfte. Von den jugoslawischen Behörden wird ihm vorgeworfen, gegen Art. 111 ("Organisation und Einschleusung von Personen und Material"), Art. 113 a ("Terrorismus") und Art. 117 ("Vereinigung gegen Volk und Staat") des jugoslawischen Strafgesetzbuches vom 2. März 1951 verstoßen zu haben. Die entsprechenden Vorschriften des neuen jugoslawischen Strafgesetzbuchs vom 1. Juli 1977 kommen hier nicht zur Anwendung, weil sie nicht milder sind. Der Verfolgte soll sich nach dem Auslieferungsersuchen seit 1973 als Mitglied an der - auch in der Bundesrepublik verbotenen (BAnZ 1968 Nr. 125 vom 10. Juli 1968) - Vereinigung "Kroatische revolutionäre Bruderschaft" beteiligt haben, welche das Ziel habe, "Morde, Gewalt und andere terroristische Aktionen zu begehen". Im Rahmen dieser Vereinigung soll er unter anderem mehrere, im einzelnen dargelegte "diversant-terroristische Aktionen" gegen Jugoslawien "organisiert" haben.

2

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen. Sie hält die Auslieferung auch für den Fall für zulässig, daß die ihm zur Last gelegten Taten als politische Straftaten im Sinne des § 3 Abs. 2 DAG und des Art. 3 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages vom 26. November 1970 zu werten sind, weil sie auf die vorsätzliche Tötung von Menschen abzielten und damit als vorsätzliche Verbrechen gegen das Leben im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des Vertrages anzusehen seien.

3

Das Oberlandesgericht sieht die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Auslieferungshaft nach § 10 Abs. 1 Satz 1 DAG als gegeben an. Die Strafbarkeit der dem Verfolgten bisher zur Last gelegten Handlungen auch nach deutschem Recht und damit deren Auslieferungsfähigkeit nach Art. 2 Abs. 1 des Auslieferungsvertrages folgt nach seiner Ansicht aus § 129 a StGB. Das Oberlandesgericht hat jedoch gleichwohl Zweifel an der Zulässigkeit der Auslieferung und hat deshalb im Hinblick auf § 10 Abs. 1 Satz 2 DAG Bedenken, dem Antrag zu entsprechen. Es ist nämlich der Ansicht, daß hier "ersichtlich" politische Straftaten vorliegen. Da bei solchen nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages und § 3 Abs. 3 DAG die Auslieferung nur zulässig ist, wenn es sich um nicht im offenen Kampf begangene vorsätzliche Verbrechen gegen das Leben einschließlich Versuch und Teilnahme handelt, dem Verfolgten aber "weder Täterschaft noch Teilnahme hinsichtlich eines konkreten Verbrechens gegen das Leben vorgeworfen" werde, kommt es nach Auffassung des Oberlandesgerichts darauf an, ob unter den Begriff der Teilnahme an einem vorsätzlichen Verbrechen gegen das Leben im Sinne dieser Bestimmungen bereits die Mitgliedschaft in einer Vereinigung fällt, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, mit politischer Zielrichtung jedenfalls auch vorsätzliche Verbrechen gegen das Leben zu begehen. Das Oberlandesgericht hält eine solche Auslegung für möglich. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung hat es die Sache jedoch dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

4

Der Generalbundesanwalt vertritt im Anschluß an eine Stellungnahme des Bundesministers der Justiz die Ansicht, daß die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB nicht als vorsätzliches Verbrechen gegen das Leben nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages anzusehen sei. Er ist im übrigen der Meinung, daß entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts als rechtliche Grundlage für die Beantwortung der Vorlegungsfrage nur die Bestimmungen dieses Vertrages, nicht jedoch die des deutschen Auslieferungsgesetzes in Betracht zu ziehen seien.

5

II.

Die Vorlegung ist nach § 27 Abs. 1 DAG zulässig. Sie betrifft nach Auffassung des Oberlandesgerichts eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

6

Ob die der Vorlegung zugrundeliegende Ansicht zutrifft, die Handlungen, welche dem Angeklagten vorgeworfen werden, seien "ersichtlich" politische Straftaten, ist allerdings fraglich. Der Begriff der politischen Tat bestimmt sich nach § 3 Abs. 2 DAG. Diese Vorschrift gilt entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts auch für den Auslieferungsverkehr mit Jugoslawien, denn Art. 3 Abs. 1 des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages macht die Beurteilung einer Tat als politische Straftat davon abhängig, daß sie "vom ersuchten Staat als eine politische oder eine mit einer solchen zusammenhängende strafbare Handlung" angesehen wird. Der Negativkatalog des Art. 3 Abs. 2 des Auslieferungsvertrages schließt nicht, wie der Generalbundesanwalt meint, die Anwendung des § 3 Abs. 2 DAG aus. Er setzt sie vielmehr voraus und enthält lediglich - wie § 3 Abs. 3 DAG, dem er weitgehend gleicht - besondere Einschränkungen. Nach der Begriffsbestimmung (vgl. BGHSt 2, 160, 162) des § 3 Abs. 2 DAG sind als politische Taten aber nur strafbare Angriffe anzusehen, die sich unmittelbar gegen den Bestand oder die Sicherheit des Staates, gegen das Oberhaupt oder ein Mitglied der Regierung als solches, gegen eine verfassungsmäßige Körperschaft, gegen die staatsbürgerlichen Rechte bei Wahlen oder Abstimmungen oder gegen die guten Beziehungen zum Ausland richten, soweit sie nicht im offenen Kampf begangen worden sind. Ob die Mitgliedschaft oder die Betätigung in einer Vereinigung, die - wie hier das Oberlandesgericht meint - politische Ziele jedenfalls auch mit kriminellen Mitteln zu verwirklichen sucht, diese Voraussetzungen erfüllt, wird in vielen Fällen nicht ohne weiteres "ersichtlich" sein. Diese Frage wird vielmehr in der Regel eine eingehende Prüfung erfordern. Dabei ist nicht in erster Linie auf die ursprünglichen Ziele der Vereinigung und das Programm, auf welches sie sich beruft, sondern darauf abzustellen, wie ihre Zwecke und ihre Tätigkeit aus der Sicht der deutschen Rechtsordnung zur Tatzeit zu beurteilen sind. Von Bedeutung kann dabei sein, ob (noch) der politische oder (bereits) der kriminelle Charakter überwiegt (vgl. Grützner, Erläuterung zu § 3 DAG in: Das deutsche Bundesrecht). Wenn die Zwecke und die Tätigkeit einer Vereinigung hauptsächlich auf die Begehung von Mord, Sprengstoffanschlägen und anderen schwersten Verbrechen gerichtet sind, so kann diese im allgemeinen auch dann nicht als politische Vereinigung angesehen werden, wenn bei ihrer Tätigkeit politische Motivationen eine Rolle spielen (vgl. BVerfG NJW 1977, 2355 [BVerfG 20.10.1977 - 2 BvR 631/77]). Die Frage, ob die dem Verfolgten vorgeworfene Mitgliedschaft und Betätigung in der "Kroatischen revolutionären Bruderschaft" die Anforderungen des § 3 Abs. 2 DAG erfüllt, wird deshalb noch eingehender Prüfung bedürfen. Soweit der Zweck seiner Mitgliedschaft und seine Tätigkeit in der Vereinigung auf die Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen oder ähnlichen schweren Angriffen gegen unbeteiligte Zivilpersonen gerichtet war, könnte dies immerhin zweifelhaft sein, ohne weiteres "ersichtlich" ist es nach Ansicht des Senats jedenfalls nicht.

7

III.

Diese Frage bedarf hier jedoch keiner abschließenden Erörterung. Denn die Ansicht des Oberlandesgerichts ist nicht schlechthin unvertretbar, der Senat hat sie deshalb hinzunehmen und sich auf die Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage zu beschränken (BGHSt 27, 168, 171 mit weiteren Nachweisen). Auch die weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorlegung, daß diese Rechtsfrage im anhängigen Auslieferungsverfahren Bedeutung gewinnen kann (vgl. BGHSt 20, 152, 154), ist hier gegeben.

8

IV.

In der Vorlegungsfrage schließt sich der Senat der Ansicht des Generalbundesanwalts an. Die bloße Mitgliedschaft in einer Vereinigung, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, jedenfalls auch vorsätzliche Verbrechen gegen das Leben zu begehen, ist nicht als Teilnahme an einem solchen Verbrechen nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages anzusehen.

9

1.

Diese Bestimmung entspricht im wesentlichen der Vorschrift des § 3 Abs. 3 DAG, die ebenfalls die Verbrechen "gegen das Leben" vom Auslieferungsverbot bei politischen Taten ausnimmt. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck dieser Vorschrift sind darunter aber nur solche Taten zu verstehen, bei denen der Täter bewußt menschliches Leben vernichtet hat oder vernichten wollte, einschließlich der Teilnahme und des Versuchs (vgl. Mettgenberg/Doerner, Deutsches Auslieferungsgesetz 2. Aufl. Anm. 49). Denn diese Ausnahme von dem grundsätzlichen Auslieferungsverbot bei politischen Taten soll die Straftaten erfassen, deren politische Beziehung in den Hintergrund tritt gegenüber einer besonderen Verwerflichkeit, welche die bevorrechtigte Stellung als politische Tat mit dem sittlichen Empfinden unvereinbar macht (vgl. die amtliche Begründung zu § 3 Abs. 3 DAG, abgedruckt bei Mettgenberg/Doerner a.a.O. Anm. 40). Das trifft aber gerade auf Straftaten zu, die bewußt auf die Vernichtung menschlichen Lebens gerichtet sind. Für Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages kann nichts anderes gelten. Nach Wortlaut, Sinn und Zweck kann vielmehr auch diese Bestimmung nur dahin verstanden werden, daß sie ausschließlich Verbrechen dieser Art erfassen will. Jedenfalls ist mangels einer ausdrücklichen anderweitigen Regelung davon auszugehen, daß bei Vertragsabschluß zumindest auf deutscher Seite dieser Vertragsbestimmung eine solche, dem § 3 Abs. 3 DAG entsprechende rechtliche Bedeutung beigelegt worden ist.

10

2.

Die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB erfüllt diese Voraussetzungen nicht:

11

a)

Der Begriff "Verbrechen" im Sinne des Auslieferungsvertrages ist nicht in dem allgemeinen Sinn zu verstehen, daß er jede strafbare Handlung umfaßt. Er muß vielmehr in dem eingeschränkten Sinn der Abgrenzung bestimmter besonders schwerer und deshalb als "Verbrechen" bezeichneter Straftaten von den sonstigen, weniger schwerwiegenden strafbaren Handlungen verstanden werden. Das ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 des Vertrages, der zwischen "strafbaren Handlungen" (Buchst. b) und "vorsätzlichen Verbrechen" (Buchst. a) unterscheidet und damit unmißverständlich zum Ausdruck bringt, daß nicht jede Straftat als Verbrechen im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. Für den Bereich des deutschen Strafrechts bestimmt § 12 StGB, daß Verbrechen nur solche rechtswidrige Taten sind, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§ 12 Abs. 1), einschließlich der Teilnahme und des Versuchs (§ 12 Abs. 3). Dieser Verbrechensbegriff ist aus den vorstehend dargelegten Gründen auch für den Anwendungsbereich dies Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des deutsch-jugoslawischen Auslieferungsvertrages maßgebend. Die Mitgliedschaft in einer Vereinigung, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, jedenfalls auch vorsätzliche Verbrechen gegen das Leben zu begehen, ist aber nach dem deutschen Strafrecht, auf welches bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nach Art. 2 Abs. 1 des Auslieferungsvertrages abzustellen ist, nur ein Vergehen. Denn § 129 a Abs. 1 StGB, der - da der Verfolgte nach dem Vorlagebeschluß weder als Rädelsführer noch als Hintermann (vgl. § 129 a Abs. 2 StGB) anzusehen ist - insoweit allein in Betracht kommt, sieht eine Mindeststrafe von sechs Monaten vor.

12

b)

Die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 a StGB ist auch nicht als "gegen das Leben" gerichtete Tat oder als Teilnahme an einer solchen anzusehen. Denn diese Bestimmung verfolgt den Zweck, den dort genannten, besonders schweren Straftaten, zu denen auch Verbrechen gegen das Leben im Sinne des Art. 3 Abs. 2 Buchst. a) des Auslieferungsvertrages und des § 3 Abs. 3 DAG gehören, bereits im Vorbereitungsstadium entgegenzuwirken. Sie entspricht insoweit dem § 129 StGB, der ebenfalls eine generelle Vorverlegung des Strafschutzes in das Vorbereitungsstadium bezweckt (vgl. BGHSt 27, 325, 328; Rudolphi in SK § 129 a Rdn. 1 ff und § 129 Rdn. 2 ff). § 129 a StGB bildet somit - wie § 129 StGB - einen eigenständigen, von den in ihm genannten schweren Straftaten losgelösten Tatbestand, der diesen Straftaten zeitlich und logisch vorgeordnet ist (vgl. BGHSt 7, 6, 8). Die diesem Tatbestand unterfallende Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, deren Zwecke und deren Tätigkeit jedenfalls auch auf die Begehung vorsätzlicher Verbrechen gegen das Leben gerichtet sind, ist deshalb noch nicht als Teilnahme an diesen Verbrechen zu werten.

Salger
Spiegel
Knoblich
Ruß
Maier