Suche

Nutzen Sie die Schnellsuche, um nach den neuesten Urteilen in unserer Datenbank zu suchen!

Bundesfinanzhof
Beschl. v. 12.01.2016, Az.: VII B 148/15
Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde betreffend die Verwertbarkeit strafgerichtlicher Feststellungen im Besteuerungsverfahren mangels grundsätzlicher Bedeutung
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 12.01.2016
Referenz: JurionRS 2016, 11678
Aktenzeichen: VII B 148/15
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Hamburg - 27.08.2015 - AZ: 4 K 88/15

Rechtsgrundlage:

§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO

Fundstellen:

AO-StB 2016, 133

BFH/NV 2016, 762-763

FA 2016, 139

PStR 2016, 80

BFH, 12.01.2016 - VII B 148/15

Redaktioneller Leitsatz:

In strafrechtlichen Ermittlungen oder in einem Strafurteil getroffene Feststellungen können im finanzgerichtlichen Verfahren verwertet werden, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das Finanzgericht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (BFH - VII B 88/11 - 19.01.2012; BFH - VII R 106/74 - 10.01.1978).

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Hamburg vom 27. August 2015 4 K 88/15 wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

I. Mit Tabaksteuer- und Zinsbescheid vom 20. September 2012 wurde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) vom Beklagten und Beschwerdegegner (Hauptzollamt —HZA—) wegen des Verbringens von 88 200 Stück unversteuerten und unverzollten Zigaretten von Polen in die Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) auf Entrichtung der dadurch entstandenen Tabaksteuer in Anspruch genommen. Dabei stützte das HZA den Steuerbescheid auf den Schlussbericht eines Zollfahndungsamts, in dem ausgeführt wird, der Kläger sei ausweislich der Auswertung seines Mobiltelefonanschlusses am 12. März 2010 von einer Fahrt von Polen nach Deutschland zurückgekehrt, wobei er mindestens 88 200 Stück Zigaretten mitgebracht habe. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.

2

Das Finanzgericht (FG) urteilte, den Protokollen über die Überwachung des Mobiltelefonanschlusses sei zu entnehmen, dass der Kläger regelmäßig und in erheblichem Umfang aus Polen unversteuerte und unverzollte Zigaretten nach Deutschland verbracht habe. Nach den Protokollen könne von einem Verbringen von 464 Stangen Zigaretten ausgegangen werden, die allerdings nicht Gegenstand des Verfahrens seien. Zu Recht habe das HZA angenommen, dass am Ende des Überwachungszeitraums ein Bestand von 700 Stangen vorhanden gewesen sei, was aus dem Telekommunikationsüberwachungsprotokoll vom 16. April 2010 hervorgehe. Insofern liege es nahe, die Differenz zwischen 700 Stangen und den bereits versteuerten 464 Stangen zu Grunde zu legen. Der Kläger sei auch nach § 19 Satz 2 des Tabaksteuergesetzes Steuerschuldner geworden. Ausweislich der Telefonüberwachungsprotokolle habe er über einen Bestand von 700 Stangen und die Schwierigkeiten berichtet, diese abzusetzen, so dass naheliegend sein Besitz an diesen Zigaretten anzunehmen sei. Bei alledem berücksichtige das Gericht auch, dass der Kläger mit rechtkräftigem Urteil vom 28. August 2012 wegen Steuerhehlerei verurteilt worden sei. Dieses habe zwar die nicht streitgegenständliche Menge von 464 Stangen betroffen, doch belege die Verurteilung grundsätzlich, dass der Kläger in dem Zeitraum, über den sich die Telefonüberwachung erstreckt habe, in den illegalen Zigarettenhandel involviert gewesen sei.

3

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Der vorliegende Sachverhalt sei nicht Gegenstand eines Strafurteils gewesen. Hingegen habe das FG auf ein gegen ihn ergangenes Strafurteil Bezug genommen, dem ein anderer Lebenssachverhalt zugrunde gelegen habe. Unter Bezugnahme auf ein anderes Strafurteil habe das FG auf eigene Feststellungen verzichtet. Es stelle sich sinngemäß die Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob das FG die in einem anderen Strafverfahren getroffenen Feststellungen übernehmen dürfe. Im "Haftungsverfahren" seien substantielle Einwendungen gegen eine solche Übernahme erhoben worden, mit denen sich das Gericht hätte auseinandersetzen müssen. Im Streitfall sei hinsichtlich der streitgegenständlichen Menge Zigaretten das Strafverfahren gegen ihn nach § 154 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt worden.

4

II. Die Beschwerde des Klägers ist als unzulässig zu verwerfen, weil dieser die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Frage nicht hinreichend dargelegt hat, wie dies nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlich ist.

5

1. Für die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 und 3 FGO zu fordernde Darlegung der Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) muss der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formulieren und auf ihre Bedeutung für die Allgemeinheit eingehen. Erforderlich ist darüber hinaus der substantiierte Vortrag, warum im Einzelnen die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage durch die angestrebte Revisionsentscheidung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Ferner muss die aufgeworfene Frage klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig sein (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Mai 2014 VII B 116/12, BFH/NV 2014, 1550, und vom 27. Oktober 2003 VII B 196/03, BFH/NV 2004, 232).

6

a) Diesen Anforderungen wird die Beschwerde, mit der der Kläger die Zulassung der Revision "insbesondere zur Frage der Übernahme von Feststellungen im Strafverfahren in anderer Sache" begehrt, nicht gerecht. Zutreffend führt die Beschwerde aus, dass die Bezugnahme auf Feststellungen eines Strafgerichts grundsätzlich zulässig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs können die in strafrechtlichen Ermittlungen oder in einem Strafurteil getroffenen Feststellungen im finanzgerichtlichen Verfahren verwertet werden, es sei denn, die Beteiligten erheben gegen die Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge, die das FG nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (Senatsentscheidungen vom 19. Januar 2012 VII B 88/11, BFH/NV 2012, 761, und vom 10. Januar 1978 VII R 106/74, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311 [BFH 10.01.1978 - VII R 106/74]). Dies gilt auch für den Fall, dass Vernehmungsprotokolle oder Strafurteile andere Tatbeteiligte betreffen (Senatsbeschluss vom 24. Mai 2013 VII B 155/12, BFH/NV 2013, 1613). Warum die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze nicht auch auf Fälle übertragen werden können, in denen der in Anspruch genommene Steuerschuldner wegen einer Straftat verurteilt worden ist, der ein anderer Sachverhalt zugrunde liegt, dieser Sachverhalt aber gegebenenfalls Rückschlüsse auf den streitigen Sachverhalt zulässt, legt die Beschwerde nicht hinreichend dar. Ebensowenig stellt sie die Bedeutung der Beantwortung der aufgeworfenen Frage für die Allgemeinheit dar. Ob die aus dem anderen Sachverhalt gezogenen Rückschlüsse im Einzelfall zutreffend sind, ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung.

7

b) Soweit sich dem Vorbringen des Klägers die Rüge des Verfahrensmangels eines Verstoßes gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 Abs. 1 FGO) entnehmen lassen sollte, ist der Verfahrensmangel nicht hinreichend dargelegt. In der mündlichen Verhandlung hat der anwaltlich vertretene Kläger in Bezug auf das gegen ihn ergangene Strafurteil und dessen Verwertung keine Beweisanträge gestellt. In der Klagebegründung hat er die Verurteilung in anderer Sache —nämlich wegen Steuerhehlerei für den Kauf von 464 Stangen unversteuerter Zigaretten— zwar erwähnt, jedoch keine Einwendungen gegen die in dem Strafurteil getroffenen Feststellungen erhoben, sondern lediglich die Beiziehung dieser Akten beantragt und ausgeführt, allein aus der Tatsache, dass er rechtskräftig wegen einer anderen Tat verurteilt worden sei, lasse sich nicht der Schluss auf eine weitere Tat ziehen. Erst in der Beschwerdebegründung hat er darauf hingewiesen, dass Einwendungen gegen eine Übernahme der vom Strafgericht getroffenen Feststellungen im "Haftungsverfahren" erhoben worden seien. Unklar bleibt, welches Haftungsverfahren —oder Haftverfahren— gemeint sein soll. Jedenfalls kann dem Vorbringen nicht entnommen werden, dass das FG von der Geltendmachung solcher Einwendungen hätte ausgehen müssen, zumal diese der Klagebegründung nicht entnommen werden können.

8

2. Schließlich lässt sich die allgemein gehaltene Frage zur Zulässigkeit der Übernahme von Feststellungen im Strafverfahren in anderer Sache nicht einheitlich für alle denkbaren Fallkonstellationen beantworten. Denn der Begriff "in anderer Sache" lässt sich in verschiedene Richtungen deuten. Es kann sich um Vernehmungsprotokolle oder Strafurteile handeln, die andere Tatbeteiligte, andere Personen oder den Steuerpflichtigen selbst betreffen. Darüber hinaus sind die besonderen Umstände der Tat und der Zusammenhang zu berücksichtigen, in dem der vom Strafurteil erfasste Sachverhalt mit dem Sachverhalt des finanzgerichtlichen Verfahrens steht.

9

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Hinweis: Das Dokument wurde redaktionell aufgearbeitet und unterliegt in dieser Form einem besonderen urheberrechtlichen Schutz. Eine Nutzung über die Vertragsbedingungen der Nutzungsvereinbarung hinaus - insbesondere eine gewerbliche Weiterverarbeitung außerhalb der Grenzen der Vertragsbedingungen - ist nicht gestattet.