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Bundesfinanzhof
Beschl. v. 29.07.2009, Az.: VII B 35/09
Pflichtenkollision durch einen Widerstreit zwischen der Umsatzsteuerentrichtungspflicht einerseits und der Masseerhaltungspflicht andererseits
Gericht: BFH
Entscheidungsform: Beschluss
Datum: 29.07.2009
Referenz: JurionRS 2009, 35234
Aktenzeichen: VII B 35/09
ECLI: [keine Angabe]

Verfahrensgang:

vorgehend:

FG Köln - 19.12.2008 - AZ: 4 K 3592/06

Verfahrensgegenstand:

Haftung für Umsatzsteuer

BFH, 29.07.2009 - VII B 35/09

In dem Rechtsstreit
...
hat der VII. Senat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Bundesfinanzhof Dr. Müller-Eiselt,
der Richterin am Bundesfinanzhof Jäger und
des Richters am Bundesfinanzhof Dr. Jatzke
am 29. Juli 2009
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Finanzgerichts Köln vom 19. Dezember 2008 4 K 3592/06 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

1

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Gesellschafter und alleiniger Geschäftsführer einer GmbH (GmbH). Die für Juni 2004 angemeldete Umsatzsteuer wurde von der GmbH nicht beglichen. Am 10. September 2004 beantragte der Kläger die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH. Am gleichen Tag bestellte das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter. Einen Monat später wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Für die rückständigen Umsatzsteuern der GmbH nahm der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) den Kläger nach § 69 i.V.m. § 34 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) als Haftungsschuldner in Anspruch. Im Rahmen des vom Kläger angestrengten Einspruchsverfahrens ließ sich das FA vom Insolvenzverwalter die Akten der GmbH aushändigen. Deren Auswertung und die Neuberechnung der Haftungssumme führten zu einer Herabsetzung der Haftungsquote von ursprünglich 100% auf nunmehr 25%. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.

2

Die Klage führte zu einer weiteren Herabsetzung der Haftungsquote auf 19,23%. Das Finanzgericht (FG) urteilte, dass der Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden sei. Aus den Buchführungsunterlagen ergebe sich, dass der Kläger im Haftungszeitraum 19,23% der gesamten Schulden der GmbH beglichen habe. Dieser Prozentsatz sei der Haftung für Umsatzsteuern zugrunde zu legen. Unsicherheiten hinsichtlich der Vollständigkeit der Akten könnten die vom FA vorgenommene Erhöhung der Haftungsquote auf 25% nicht rechtfertigen. Im Streitfall habe der Kläger von vornherein keine finanziellen Mittel zum Zwecke der fristgerechten Befriedigung des FA abgesondert und zur Abführung bereitgehalten, gleichwohl aber Forderungen anderer Gläubiger befriedigt. Da die haftungsbegründende Pflichtverletzung dem in § 64 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) festgelegten Zeitraum vorgelagert sei, könne sich der Kläger nicht darauf berufen, dass während dieses Zeitraums eine entschuldbare Pflichtenkollision bestanden habe. Die Haftung des Klägers könne auch durch eine hypothetische Anfechtung geleisteter Zahlungen an das FA nach § 130 Abs. 1 der Insolvenzordnung nicht entfallen, denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs seien hypothetische Kausalverläufe im Rahmen einer Haftung nach § 69 AO nicht zu berücksichtigen.

3

Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) und Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO). Während des Haftungszeitraums seien nur Bargeschäfte getätigt worden. Auf Altverbindlichkeiten seien keine Zahlungen erfolgt. Die Rechtsauffassung des FG führe zu einer Privilegierung des Fiskus und zu einer von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Gleichbehandlung von Umsatzsteuern und Lohnsteuern. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob die Haftungsfreistellung nach § 64 GmbHG auch im Falle der Abführung von Umsatzsteuern gelte. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe sich in seinem Urteil vom 14. Mai 2007 II ZR 48/06 (Neue Juristische Wochenschrift 2007, 2118) zu dieser Frage lediglich in Bezug auf die Lohnsteuer geäußert. In einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln habe das Gericht die Ansicht vertreten, dass die Zahlung von Umsatzsteuern nicht unter den Anwendungsbereich von § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG falle. Folglich sei es von einer Haftung für die Zahlung von Umsatzsteuern ausgegangen und habe den Parteien den Abschluss eines Vergleichs empfohlen. Demgegenüber habe das Landgericht München geurteilt, dass auch die Abführung von Umsatzsteuern mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers vereinbar sei. Da in Bezug auf die Umsatzsteuer der Grundsatz der anteiligen Tilgung gelte, habe das FG zu Unrecht eine Pflicht zur Bereithaltung von Mitteln und zur Tilgung von Umsatzsteuern angenommen. Soweit der gesetzliche Vertreter einer Gesellschaft Bargeschäfte tätige, handle er nicht pflichtwidrig i.S. von§ 69 AO.

4

Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.

5

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

6

1.

Der Senat lasst es dahinstehen, ob die Ausführungen des Klägers den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügen, jedenfalls kommt eine Zulassung der Revision deshalb nicht in Betracht, weil die Entscheidung des FG nicht auf einer Anwendung von § 64 Abs. 2 GmbHG (in der hier maßgeblichen Fassung vom 5. Oktober 1994, BGBl. I 1994, 2911) beruht und sich die vom Kläger aufgeworfene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen könnte.

7

Ausweislich der Urteilsbegründung hat das FG die haftungsbegründende Pflichtverletzung des Klägers insbesondere darin gesehen, dass er bereits vor dem in § 64 Abs. 1 GmbHG genannten Zeitraum nicht in ausreichendem Maße finanzielle Mittel zur Tilgung der Umsatzsteuerschulden abgesondert und bereitgehalten hat. Aus der Sicht des FG stellte sich somit das Problem einer etwaigen Pflichtenkollision und eines Widerstreits zwischen der Steuerentrichtungspflicht einerseits und der Masseerhaltungspflicht andererseits nicht. Aufgrund der zeitlich vorgelagerten Pflichtverletzung könnte sich der Kläger auf eine haftungsbeschränkende Pflichtenkollision selbst dann nicht mit Erfolg berufen, wenn die zur Lohnsteuerabführungspflicht ergangene Rechtsprechung des BGH auch auf die Abführung von Umsatzsteuern anzuwenden wäre. Damit würde sich die von der Beschwerde aufgeworfene Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen.

8

Aus diesem Grund kommt auch eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht in Betracht, selbst wenn dem Vorbringen des Klägers eine Divergenz in der Rechtsprechung von Zivil- und Finanzgerichten entnommen werden könnte.

9

2.

Den weiteren Ausführungen der Beschwerde ist ebenfalls kein Grund zu entnehmen, der zur Zulassung der Revision führen könnte. Soweit der Kläger rügt, dass das FG den Grundsatz der anteiligen Tilgung missachtet und eine vorrangige Tilgungspflicht auch für die Umsatzsteuer angenommen habe, richtet sich dieses Vorbringen gegen die materiell-rechtliche Würdigung des FG. Fehler bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts im konkreten Einzelfall rechtfertigen jedoch für sich gesehen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (vgl. Senatsbeschluss vom 6. Oktober 2003 VII B 130/03, BFH/NV 2004, 215; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24 und § 116 Rz 34, jeweils m.w.N.).

10

Abgesehen davon hat das FG den Grundsatz der anteiligen Tilgung bei der Umsatzsteuer nicht in Frage gestellt. Dies belegt die Ermittlung einer Tilgungsquote von lediglich 19,23%. Darüber hinaus hat das FG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es dem Kläger zum Vorwurf gereiche, dass er nicht angemessene Zeit vor dem Haftungszeitraum entsprechende Gelder zur Seite gelegt habe, um damit zumindestanteilig rückständige Steuern bezahlen zu können.

11

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Dr. Müller-Eiselt
Jäger
Dr. Jatzke

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