Verkehrsunfall - Personenschaden
1 Allgemein
Der Schädiger hat dem Geschädigten alle kausal auf dem Unfall beruhenden Gesundheitsschäden zu ersetzen. Dazu gehören auch Schäden, die dem Geschädigten erst durch Dritte zugefügt wurden, sofern sie adäquat kausal dem Schädiger zugerechnet werden können.
2 Umfang der Haftung
Der Schädiger hat für alle verletzungsbedingten Folgen einzustehen, d.h. auch anlagebedingte Verletzungsfolgen, die bei einem gesunden Menschen nicht oder nicht in dem Ausmaß eingetreten wären, sind dem Schädiger zuzurechnen.
Dabei bestehen folgende Grundsätze (u.a. BGH 26.07.2022 - VI ZR 58/21):
Der Begriff der Primärverletzung bezeichnet die für die Erfüllung der Haftungstatbestände des § 823 Abs. 1 BGB und des § 7 Abs. 1 StVG erforderliche Rechtsgutsverletzung (…). ... enthält der Begriff der Primärverletzung - der Rechtsgutsverletzung - kein kausalitätsbezogenes Element; (...) Ob das Handeln des Schädigers die festgestellte Rechtsgutsverletzung verursacht hat, ist in einem weiteren Schritt - ebenfalls nach dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO - zu prüfen (…).
Ist Gegenstand des Klagebegehrens - wie im Streitfall - ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld, muss eine Rechtsgutsverletzung in Form einer Körper- oder Gesundheitsverletzung gegeben sein (§ 253 Abs. 2 BGB, § 11 Satz 2 StVG). Dabei ist zu beachten, dass der Begriff der Körperverletzung (…) weit auszulegen ist. Er umfasst jeden Eingriff in die Integrität der körperlichen Befindlichkeit (…). So können auch Nacken- und Kopfschmerzen eine Körperverletzung im Sinne dieser Bestimmungen und damit eine Primärverletzung begründen (…). Dies hatte das Berufungsgericht (…) übersehen und deshalb Feststellungen zu der weiteren Frage unterlassen, ob diese Schmerzen durch den Unfall verursacht worden waren (haftungsbegründende Kausalität).
Von den Primärverletzungen sind Sekundärverletzungen abzugrenzen. Bei ihnen handelt es sich um die auf eine haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung zurückzuführenden haftungsausfüllenden Folgeschäden. Sie setzen schon begrifflich voraus, dass der Haftungsgrund feststeht (). Dementsprechend können vom Geschädigten geltend gemachte Beeinträchtigungen seiner körperlichen Befindlichkeit von vornherein nur dann als Sekundärverletzungen qualifiziert werden, wenn eine haftungsbegründende, d.h. durch das Handeln des Schädigers verursachte Primärverletzung unstreitig oder festgestellt und nach medizinischen Erkenntnissen grundsätzlich geeignet ist, die weitere behauptete Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit herbeizuführen.
Fehlt es dagegen an einer haftungsbegründenden Primärverletzung oder steht diese in keinem erkennbaren medizinischen Zusammenhang zu der weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigung, ist letztere als - ggf. zweite bzw. weitere - Primärverletzung anzusehen“.
Schadensersatz für Hinterbliebene:
Der Schadensersatz erfasst auch vermehrte Bedürfnisse. Bei der Tötung eines Menschen haben die Hinterbliebenen sowie dem Getöteten ähnlich nahestehende Personen gemäß § 10 Abs. 3 StVG einen Anspruch auf das Hinterbliebenengeld.
Tinnitus:
Insbesondere durch die Detonation eines Airbags, aber ggf. auch durch ein HWS-Schleudertrauma kann ein Tinnitus entstehen. Der Beweis der Erkrankung sowie deren Ursächlichkeit zu dem Verkehrsunfall ist gemäß § 286 ZPO zu führen. Das OLG Hamm hat in dem Urteil vom 23.10.2000 - 13 U 76/00 für einen nicht sehr belastenden Tinnitus (einhergehend mit einem geringen Hörverlust) ein Schmerzensgeld in Höhe von 7.000,00 DM anerkannt.
Hinweis:
Zu der Berechnung des in die Zukunft gerichteten Erwerbsschadens siehe den Beitrag "Schadensersatz".
Schadenseintritt bei einem Dritten:
Auch durch den Unfallverursacher geschädigte Dritte können gemäß §§ 842 - 845 BGB die ihnen entstandenen Schäden ersetzt verlangen, so z.B.:
Der Arbeitgeber kann die Kosten der Entgeltfortzahlung geltend machen (BGH 14.10.2008 - VI ZR 36/08).
Der Anspruch umfasst auch den auf den Zeitraum der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit entfallenden Anteil des Urlaubsentgelts (BGH 13.08.2013 - VI ZR 389/12).
Auch ein Haushaltsführungsschaden unterliegt der Schadensersatzpflicht.
3 Schwere Verletzungen
Zur Sicherung des Arbeitsplatzes und der Vermeidung einer ggf. ausgesprochenen personenbedingten Kündigung empfiehlt es sich für Arbeitnehmer bei schweren Personenschäden vorsorglich einen Antrag auf Anerkennung als Gleichgestellter bzw. Schwerbehinderte Arbeitnehmer zu stellen.
4 Abfindung
Der Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherung bietet dem Geschädigten im Rahmen eines Vergleichs nicht selten die Zahlung einer größeren Summe als Abfindung an.
Damit sollen auch zukünftige Entwicklungen (Spätfolgen) mit abgedeckt sein. Nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen kann der Abfindungsvergleich abgeändert werden.