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Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

 Normen 

Art. 19 - 51 EMRK

EuGHMRVfO

Verf EuGHMRÜbk

 Information 

1. Allgemein

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist ein internationales Gericht sowie eine Institution des Europarats. Seine Aufgabe ist es, sicherzustellen dass die Mitgliedsländer des Europarats die durch die Ratifizierung der Europäischen Menschenrechtskonvention übernommenen Verpflichtungen einhalten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist von dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg zu unterscheiden, einem Organ der Europäischen Union. Er steht in keiner Verbindung zur Europäischen Union.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird im deutschsprachigen Raum mit EuGHMR oder EGMR abgekürzt.

Sitz des Gerichtshofs ist Straßburg. Es handelt sich um einen ständig tagenden Gerichtshof mit hauptamtlichen Richtern. Die Verwaltung wird durch einen Kanzler geleitet.

2. Europäische Menschenrechtskonvention

2.1 Allgemein

Grundlage der Rechtsprechung sind die EMRK und ihre Zusatzprotokolle. Die Beschwerden können in einer der Amtssprachen der EU eingereicht werden, nach der Entscheidung über die Zulässigkeit ist das Verfahren in einer der beiden offiziellen Sprachen des EuGHMR (englisch und französisch) weiterzuführen.

Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) wurde 1950 in Rom unterzeichnet und ist 1953 in Kraft getreten. Es handelt sich um einen völkerrechtlichen Vertrag, in dem Grundrechte und Menschenrechte verankert sind.

2.2 Vertragsstaaten

Vertragsstaaten der Konvention sind die nunmehr 47 Mitgliedsstaaten des Europarats.

Die Europäische Union selbst ist derzeit noch kein Mitglied der Konvention. Seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon war dies zwar vorgesehen: Gemäß Art. 6 Abs. 2 EUV tritt die Europäische Union der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei. Jedoch hat der EuGH im Dezember 2014 erklärt, dass das Abkommen, das die EU-Kommission mit dem Europarat über den Beitritt zur Menschenrechtskonvention ausgehandelt hatte, mit dem EU-Recht nicht vereinbar sein. Daher muss nun ein neues Abkommen ausgehandelt werden. Mit dem Stand Juli 2018 wurden die Beitrittsverhandlungen noch nicht wieder aufgenommen.

Ziel ist es, ein Mindestschutzniveau innerhalb der EU zu garantieren. Wenn die EU Vertragspartei der Konvention wird, kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alle Rechtsakte der Organe und Einrichtungen der EU auf ihre Übereinstimmung mit der EMRK überprüfen. Dies bedeutet, dass jemand, der sich durch ein EU-Organ in seinen Rechten verletzt sieht, nach Ausschöpfung aller innerstaatlicher Rechtsbehelfe die Sache vor den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bringen kann. Dieses Gericht ist dann die letzte und höchste Instanz, um den Schutz der Grundrechte zu erwirken.

Das Beitrittsverfahren gliedert sich in folgende Abschnitte:

  • Alle 47 Vertragsparteien der EMRK müssen dem Beitritt der EU gemäß ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften zustimmen.

  • Der Rat muss den Beitritt gemäß § 218 Abs. 8 AEUV mit qualifizierter Mehrheit beschließen.

  • Der Rat muss die Zustimmung des Europäischen Parlaments zum Abschluss des Beitrittsabkommens einholen.

2.3 Schutzbereich

Die sich aus den Konventionsrechten ergebenden Schutzpflichten richten sich an die Vertragsstaaten.

Der Schutzbereich der Konventionsrechte erstreckt sich auf alle Personen, die der Hoheitsgewalt der Vertragsstaaten unterliegen. Die Staaten sind für das Handeln ihrer Organe verantwortlich, auch wenn diese im Ausland tätig werden.

3. Richter

Die Richter werden von der parlamentarischen Versammlung des Europarats für jeweils sechs Jahre gewählt. Die Zahl der Richter entspricht der Zahl der Vertragsstaaten der Konvention (derzeit 47). Die Richter sind Bedienstete des Europarats, jedoch in ihrer Arbeit unabhängig. Es bestehen drei Formen von Spruchkörpern:

  • Ausschüsse mit drei Richtern zur Vorprüfung von Individualbeschwerden

  • Kammern mit sieben Richtern (Normalbesetzung)

  • Große Kammer mit 17 Richtern (Entscheidung wichtiger Rechtsfragen oder wenn die Entscheidung zur Abweichung von früherer Rechtsprechung führen kann)

4. Verfahren

Es bestehen zwei Formen der Beschwerdeverfahren:

  • die Staatenbeschwerde durch einen Vertragsstaat

  • die Individualbeschwerde durch eine natürliche Person, nichtsstaatliche Organisation oder Personenvereinigung

Voraussetzungen der Individualbeschwerde sind gemäß Art. 35 EMRK:

  • Die innerstaatlichen Rechtsbehelfe sind ausgeschöpft.

  • Die Beschwerde wird innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung eingereicht.

  • Die Beschwerde wurde nicht anonym eingereicht.

  • Es liegt keine Übereinstimmung mit einer vorhergehenden Entscheidung des EuGHMR vor.

Das Verfahren zur Entscheidung über eine Individualbeschwerde hat folgenden Verlauf:

  • Prüfung der (offensichtlichen) Zulässigkeit durch einen Ausschuss gemäß Art. 28 EMRK.

  • Entscheidung über die Zulässigkeit durch die Kammer gemäß Art. 29 EMRK, Art. 35 Abs. 3 EMRK.

  • Entscheidung über die Begründetheit.

  • In Ausnahmefällen: Entscheidung durch die Große Kammer.

Geprüft wird die Zulässigkeit und die Begründetheit der eingereichten Beschwerden.

Stellt das Urteil eine Konventionsverletzung fest, so können die Richter dem Kläger einen Anspruch auf Schadensersatz zubilligen.

Beschwerdeführer, die nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, können bei dem Europarat die Gewährung einer Prozesskostenhilfe beantragen.

Seit dem 01.01.2016 sind die Verfahrensregeln teilweise geändert. Antragsteller, ihre Anwälte und andere Vertreter müssen seit dem 1. Januar 2016 das neue Formular für Individualbeschwerden benutzen. Um Antragssteller besser anzuleiten wurde Regel 47 der EGMR-Verfahrensordnung, die die Antragsvoraussetzungen regelt und die Einreichung eines vollständigen Beschwerdeformulars festlegt, geändert. Juristische Personen oder Organisationen, die klagen, müssen eine bestimmte Person als Vertreter benennen. Alle Vertreter müssen nun einen Nachweis über ihre Postulationsfähigkeit nach nationalem Recht beibringen.

Der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) hat einen Praxisleitfaden zum Klageverfahren bei dem EGMR unter der folgenden Adresse in Englisch veröffentlicht: https://www.ccbe.eu/fileadmin/speciality_distribution/public/documents/PD_STRAS/PDS_Guides___recommendations/EN_PDS_20181019_ECHR-Guide_2018.pdf

5. Rechtsmittel

Die Parteien können innerhalb einer Frist von drei Monaten nach dem Urteil der Kammer die Verweisung des Falles an die Große Kammer beantragen. Voraussetzung ist, dass die Beschwerde eine schwierige Frage der Auslegung, der Anwendung der Konvention oder eine schwierige Frage von allgemeiner Bedeutung betraf. Über die Annahme des Verweisungsantrags entscheidet ein Ausschuss der Großen Kammer.

Die Vollstreckung der Urteile wird von dem Ministerkomitee des Europarats überwacht. Da dem Gerichtshof jedoch Exekutivbefugnisse fehlen, hat es auf die Einhaltung der von ihm gefällten Beschlüsse in den Vertragsstaaten keinen Einfluss.

6. Verbindlichkeit für die deutsche Rechtsprechung

In der Bundesrepublik Deutschland nimmt die EMRK die Stellung eines einfachen Bundesgesetzes ein. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 14.10.2004 2 BvR 1481/04) steht die EMRK nach Ansicht der Verfassungsrichter unter dem Grundgesetz und dient als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte.

Das Bundesverfassungsgericht änderte mit dem Urteil BVerfG 04.05.2011 - 2 BvR 2365/09 (teilweise) seine u.a. in der Entscheidung BVerfG 14.10.2004 2 BvR 1481/04 vertretene Rechtsprechung. Die Richter erkannten erstmals eine Bindungswirkung von EGMR-Urteilen an:

"Die Europäische Menschenrechtskonvention steht zwar innerstaatlich im Rang unter dem Grundgesetz. Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind jedoch völkerrechtsfreundlich auszulegen. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die neue Aspekte für die Auslegung des Grundgesetzes enthalten, stehen rechtserheblichen Änderungen gleich, die zu einer Überwindung der Rechtskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts führen können."

Daneben haben die nationalen Gerichte die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu berücksichtigen und in die nationale Rechtsordnung mittels einer konventionsfreundlichen Auslegung einzupassen (BAG 20.10.2015 - 9 AZR 743/14).

Diese Rechtsprechung wurde nunmehr in der Entscheidung BVerfG 12.06.2018 - 2 BvR 1738/12 präzisiert:

"Die Bestimmungen des Grundgesetzes sind völkerrechtsfreundlich auszulegen. Die Europäische Menschenrechtskonvention steht zwar innerstaatlich im Rang eines Bundesgesetzes und damit unter dem Grundgesetz. Sie ist jedoch bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes heranzuziehen. Dies gilt auch für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Diese Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention und damit auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beruht auf der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes und seiner inhaltlichen Ausrichtung auf die Menschenrechte. Eine Heranziehung als Auslegungshilfe verlangt allerdings keine schematische Parallelisierung beziehungsweise vollständige Harmonisierung der Aussagen des Grundgesetzes mit denen der Europäischen Menschenrechtskonvention, sondern ein Aufnehmen ihrer Wertungen. Jenseits des Art. 46 EMRK ist bei der Auslegung des Grundgesetzes dem spezifischen Kontext der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte besondere Bedeutung beizumessen. Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit ergeben sich dort, wo ein Aufnehmen der Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention methodisch nicht vertretbar und mit den Vorgaben des Grundgesetzes unvereinbar ist."

Hinweis:

Diese Grundsätze sind in der Urteilsbegründung ab der Randnummer 129 näher ausgeführt.

7. Kostenhilfe für Drittbetroffene in Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

Siehe insofern den Beitrag "Prozesskostenhilfe".

8. Aktuelle Entwicklungen

Mit dem 15. Zusatzprotokoll zur EMRK wurde eine weitere Reform des Rechts des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingeleitet. Es befindet sich derzeit im Ratifizierungsprozess der Länder (Stand Juli 2019). Es wurden u.a. folgende Änderungen beschlossen:

  • Die in Art. 35 Abs. 1 EMRK geregelte Berufungsfrist wurde von sechs auf vier Monate verkürzt.

  • Fälle, in denen der Kläger keine wesentliche Benachteiligung durch eine mögliche Menschenrechtsverletzung nachweisen kann, können einfacher abgewiesen werden.

  • Das Höchstalter für Richter wurde auf 65 Jahre herabgesetzt.

Gleichzeit befindet sich bereits das 16. Zusatzprotokoll auf dem Weg. Mit dem Inhalt wird - anders als es bei dem 15. Zusatzprotokoll der Fall ist - die EMRK nicht geändert, sondern ergänzt. Es tritt in Kraft, wenn 10 Mitgliedstaaten es ratifiziert haben. Es ist ebenfalls mit dem Stand Juli 2019 nocht nicht in Kraft getreten.

 Siehe auch 

Europäischer Gerichtshof

Europarat

Gericht der Europäischen Union

Gericht - öffentlicher Dienst der Europäischen Union

http://www.echr.coe.int (Internetauftritt des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte)

Haug: Die Pfllicht deutscher Gerichte zur Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2018, 2614

Heuchemer: Praxishinweise und aktuelle Entwicklungen im Verfahren der Individualbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR); Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht - NZWiSt 2016, 231

Meyer-Ladewig/Petzold: 50 Jahre Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2009, 3749

Schüller: Strategien und Risiken: Zur Durchsetzung migrationsrelevanter Menschenrechte vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte; Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik; ZAR 2015, 64