Betriebsrat - Rechte und Aufgaben
BT-Drs. 19/28899 (zu den Änderungen des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes 2021)
1 Allgemein
Die Aufgaben des Betriebsrats sind in §§ 80 ff. BetrVG normiert. Es sind u.a. die Überwachung der Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer bestehenden Rechtsvorschriften, die Zustimmung bei bestimmten personellen Einzelmaßnahmen, die Beantragung von arbeitnehmerfördernden Maßnahmen oder die Unterstützung von Frauen, schwerbehinderten, jugendlichen und ausländischen Arbeitnehmern.
Sachlich bestehen in folgenden Bereichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats:
soziale Angelegenheiten
Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung
personelle Angelegenheiten
wirtschaftliche Angelegenheiten
Nach dem Gewicht der Beteiligungsrechte werden unterschieden:
Informationsrechte
Mitwirkungsrechte
Mitbestimmungsrechte
Die Beteiligungsrechte können bei den einzelnen betrieblichen Maßnahmen nicht immer getrennt werden und liegen ggf. kumulativ vor.
2 Informationsrechte
In § 90 BetrVG sind verschiedene Bereiche aufgeführt, bei denen der Betriebsrat in der Planungsphase rechtzeitig unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen zu unterrichten ist.
Auch der Einsatz von Künstlicher Intelligenz gehört dazu.
3 Mitwirkungsrechte
Die Mitwirkungsrechte zeichnen sich dadurch aus, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, mit dem Betriebsrat zu beraten, ihn anzuhören oder mit dem ernsten Willen zur Einigung zu verhandeln.
4 Mitbestimmungsrechte
4.1 Allgemein
Bei den Mitbestimmungsrechten darf der Arbeitgeber ohne die Zustimmung des Betriebsrats die Maßnahme nicht durchführen bzw. dem Arbeitnehmer eine entsprechende Weisung erteilen.
Von großer praktischer Bedeutung ist dabei die Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen gemäß § 99 BetrVG: Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung, so kann der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht das Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 99 Abs. 4 BetrVG einleiten.
Dabei ist Folgendes zu beachten (BAG 11.10.2022 – 1 ABR 18/21):
»Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat »vor« der personellen Maßnahme zu unterrichten und die Zustimmung zu der »geplanten« Maßnahme einzuholen. Auch der Zweck des Mitbestimmungsrechts macht es grundsätzlich erforderlich, dass die Beteiligung des Betriebsrats zu einer Zeit erfolgt, zu der noch keine endgültige Entscheidung getroffen worden ist oder eine solche zumindest noch ohne Schwierigkeiten revidiert werden kann. (…).
Erfolgt eine Einstellung oder - wie hier - eine Versetzung ohne Beteiligung des Betriebsrats, kann der Arbeitgeber von der bereits durchgeführten personellen Einzelmaßnahme nur Abstand nehmen, indem er die Maßnahme tatsächlich aufhebt. Es genügt nicht, wenn er den Betriebsrat lediglich nachträglich um Zustimmung zur bereits (endgültig) vorgenommenen Einstellung oder Versetzung ersucht oder - wie im Entscheidungsfall - nur mitteilt, er nehme die Versetzung »zurück« und führe sie nunmehr nur noch »vorläufig« durch. Dies folgt aus § 101 BetrVG. Danach kann der Betriebsrat die Aufhebung einer personellen Maßnahme i.S.d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verlangen, wenn der Arbeitgeber sie ohne seine Zustimmung durchführt.«
Leitende Angestellte:
Bei der Einstellung eines leitenden Angestellten gemäß § 5 Abs. 3 BetrVG hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht. Aber gemäß § 105 BetrVG ist eine beabsichtigte Einstellung oder personelle Veränderung eines in § 5 Abs. 3 genannten leitenden Angestellten dem Betriebsrat rechtzeitig mitzuteilen.
4.2 Pflichten des Arbeitgebers
Pflicht des Arbeitgebers zur Ermöglichung der Mitbestimmungsrechte:
Zur Ausübung der Mitbestimmungsrechte benötigt der Betriebsrat Informationen, die es ihm ermöglichen, sein Recht zur Stellungnahme sachgerecht ausüben zu können. Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, ihm die in § 99 Abs. 1 BetrVG genannten Informationen zukommen zu lassen.
Aber nach der Rechtsprechung des BAG berechtigt das Informationsrecht den Betriebsrat nicht zu einer umfassenden Vertragsinhaltskontrolle, z.B. über die Wirksamkeit des abgeschlossenen befristeten Vertrages. Der Betriebsrat kann der Einstellung insbesondere nicht mit der Begründung widersprechen, die arbeitsvertraglich vereinbarte Befristung sei unzulässig (BAG 27.10.2010 – 7 ABR 86/09).
Zu den dem Betriebsrat im Rahmen eines Einstellungsverfahrens vorzulegenden Bewerbungsunterlagen gehören auch vom Arbeitgeber erstellte Unterlagen. Durch eine unvollständige Information des Betriebsrats wird die Wochenfrist des § 99 Abs. 3 BetrVG nicht in Gang gesetzt. Dies gilt nach dem Beschluss BAG 14.12.2004 – 1 ABR 55/03 selbst dann, wenn der Betriebsrat sachlich Stellung nimmt.
4.3 Begriffsbestimmung Versetzung i.S.d. BetrVG
»Nach der Legaldefinition in § 95 Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist eine - nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungsbedürftige - Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die die Dauer von voraussichtlich einem Monat überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist.
›Arbeitsbereich‹ sind die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs. Der Begriff ist räumlich und funktional zu verstehen. Um die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs handelt es sich, wenn sich das gesamte Bild der Tätigkeit so verändert, dass die neue Aufgabe vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters nunmehr als eine »andere« anzusehen ist. Dies kann sich aus der Änderung des Arbeitsinhalts und einer damit verbundenen geänderten Verantwortung, aus einem Wechsel des Arbeitsorts oder der Art der Tätigkeit oder aus einer Änderung der Stellung des Arbeitnehmers innerhalb der betrieblichen Organisation durch Zuordnung zu einer anderen betrieblichen Einheit ergeben« (BAG 11.10.2022 – 1 ABR 18/21).
4.4 Ordnung im Betrieb
»Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das Ordnungsverhalten ist berührt, wenn die Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Gegenstand des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG ist das betriebliche Zusammenleben und kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Es beruht darauf, dass sie ihre vertraglich geschuldete Leistung innerhalb einer vom Arbeitgeber vorgegebenen Arbeitsorganisation erbringen und deshalb seinem Weisungsrecht unterliegen. Das berechtigt den Arbeitgeber dazu, Regelungen vorzugeben, die das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb beeinflussen und koordinieren sollen. Solche Maßnahmen bedürfen der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dies soll gewährleisten, dass die Arbeitnehmer gleichberechtigt in die Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens einbezogen werden. Dazu schränkt das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG die auf die betriebliche Ordnung bezogene Regelungsmacht des Arbeitgebers ein.« (BAG 15.11.2022 – 1 ABR 5/22)
Das BAG hat in dem obigen Urteil die Anordnung eines Arbeitgebers gegen 17 Arbeitnehmer, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest vom ersten Fehltag an nachzuweisen, als mitbestimmungsfrei angesehen.
4.5 Neues Mitbestimmungsrecht: Ausgestaltung mobile Arbeit
Zum 18.06.2021 wurde mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz ein neues Mitbestimmungsrecht eingeführt (§ 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG):
»Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird.«
Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf die Ausgestaltung (»wie«) von mobiler Arbeit. Die Einführung der mobilen Arbeit (»ob«) verbleibt damit in der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers.
Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/28899) arbeitet ein Arbeitnehmer mobil, wenn er die geschuldete Arbeitsleistung unter Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnik außerhalb der Betriebsstätte von einem Ort oder von Orten seiner Wahl oder von einem mit dem Arbeitgeber vereinbarten Ort oder von mit dem Arbeitgeber vereinbarten Orten erbringt. Mobile Arbeit liegt nicht vor, wenn der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung aufgrund deren Eigenart ortsgebunden erbringen muss.
Von dem Mitbestimmungsrecht wird sowohl regelmäßige als auch anlassbezogene mobile Arbeit erfasst.
Das Mitbestimmungsrecht betrifft die inhaltliche Ausgestaltung der mobilen Arbeit. Dazu gehören zum Beispiel Regelungen über den zeitlichen Umfang mobiler Arbeit, über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit in Bezug auf mobile Arbeit oder über den Ort, von welchem aus mobil gearbeitet werden kann und darf. Es können Regelungen zu konkreten Anwesenheitspflichten in der Betriebsstätte des Arbeitgebers, zur Erreichbarkeit, zum Umgang mit Arbeitsmitteln der mobilen Arbeit und über einzuhaltende Sicherheitsaspekte getroffen werden. Das Mitbestimmungsrecht bildet einen Auffangtatbestand für alle Regelungen mit denen mobile Arbeit ausgestaltet werden kann. Bereits bestehende Mitbestimmungsrechte gelten unverändert. Das Mitbestimmungsrecht ermöglicht keine Regelungen zu arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeiten, die nicht mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht werden können (zum Beispiel Fahrer oder Boten). Gleiches gilt, wenn sich die Mobilität bereits zwingend aus der Eigenart der zu erbringenden Arbeitsleistung ergibt (zum Beispiel Handelsvertreter oder Monteure).
4.6 Rechtsprechung
Zu den Mitbestimmungsrechten ist u.a. folgende Rechtsprechung ergangen:
Nach der Entscheidung BAG 15.05.2007 – 1 ABR 32/06 kann bei einer sowohl nach der Dauer als auch nach dem Umfang nicht unerheblichen Erweiterung der arbeitsvertraglich geschuldeten regelmäßigen Arbeitszeit eines im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmers eine – neuerliche – Einstellung nach § 99 Abs. 1 BetrVG vorliegen. Eine Einstellung liegt aber nicht vor, wenn die Verlängerung der wöchentlichen Arbeitszeit fünf Stunden nicht übersteigt.
Nach der Entscheidung BAG 22.07.2008 – 1 ABR 40/07 hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht, wenn der Arbeitgeber in einem Verhaltenskodex das Verhalten der Arbeitnehmer und die betriebliche Ordnung regeln will (Einführung von Ethikregeln).
Nach § 98 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat bei der Durchführung von Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung mitzubestimmen. Der Begriff der betrieblichen Berufsbildung ist weit auszulegen. Er umfasst alle Maßnahmen der Berufsbildung i.S.d. § 1 Abs. 1 BBiG und damit u.a. solche der Berufsausbildung, der beruflichen Fortbildung und der beruflichen Umschulung. Hierzu gehören alle Maßnahmen, die über die – mitbestimmungsfreie – Unterrichtung des Arbeitnehmers über seine Aufgaben und Verantwortung, die Art seiner Tätigkeit und ihrer Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebs sowie über die Unfall- und Gesundheitsgefahren und die Maßnahmen und Einrichtungen zur Abwendung dieser Gefahren i.S.d. § 81 BetrVG hinausgehen, indem sie dem Arbeitnehmer gezielt Kenntnisse und Erfahrungen vermitteln, die ihn zur Ausübung einer bestimmten Tätigkeit erst befähigen.
Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung sind auch Lehrgänge, die dem Arbeitnehmer die für die Ausfüllung seines Arbeitsplatzes und seiner beruflichen Tätigkeit notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten verschaffen sollen (BAG 05.03.2013 – 1 ABR 11/12 – Rn. 12 m.w.N.). Das Mitbestimmungsrecht besteht nur bei Maßnahmen der betrieblichen Berufsbildung. Dies ist funktional zu verstehen. Eine Berufsbildungsmaßnahme ist eine betriebliche, wenn der Arbeitgeber Träger bzw. Veranstalter der Bildungsmaßnahme ist und die Berufsbildungsmaßnahme für bei ihm angestellte Arbeitnehmer durchgeführt wird (BAG 18.04.2000 – 1 ABR 28/99). Dabei muss die Maßnahme regelmäßig für die »eigenen« Arbeitnehmer durchgeführt werden; zumindest müssen sie bei der Beteiligung Vorrang haben (BAG 26.04.2016 – 1 ABR 21/14).
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen:
»Zur Überwachung »bestimmt« sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an (…).
Danach handelt es sich bei dem Softwarepaket Microsoft Office 365 um eine technische Einrichtung in diesem Sinn. Die im Zusammenhang mit einer Verwendung der Desktop-Anwendungen Office 365 ProPlus und den einzelnen Diensten erstellten, anfallenden oder erhobenen Daten können für eine Leistungs- oder Verhaltenskontrolle der Arbeitnehmer genutzt werden« (BAG 08.03.2022 – 1 ABR 20/21).
5 Verletzung eines Beteiligungsrechts
Bei einer Verletzung des jeweiligen Beteiligungsrechts kann der Betriebsrat wie folgt reagieren:
Verletzung des Mitbestimmungsrechts: Anrufung des Arbeitsgerichts (ggf. mit einer einstweiligen Verfügung) oder der Einigungsstelle
Hinweis:
Siehe auch den Beitrag »Verfahren zur Besetzung der Einigungsstelle«
Verletzung des Mitwirkungsrechts: Anrufung des Arbeitsgerichts
Verletzung des Informationsrechts: Anrufung des Arbeitsgerichts