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Außergewöhnliche Belastungen

 Normen 

§ 33 EStG

 Information 

1. Allgemein

Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig besondere Aufwendungen für die Lebensführung, so können diese steuermindernd abgesetzt werden.

2. Die Voraussetzungen des Abzugs

2.1 Allgemein

Der Abzug außergewöhnlicher Belastungen allgemeiner Art nach § 33 EStG setzt voraus, dass

  • ein Antrag vorliegt,

  • Aufwendungen (in Form von Geldausgaben oder Sachzuwendungen) entstanden sind bzw. eine Einkommensbelastung oder eine Vermögensbelastung besteht,

  • die Aufwendungen keine Betriebsausgaben, Werbungskosten oder Sonderausgaben darstellen,

  • die Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen gegeben ist,

  • die Aufwendungen zwangsläufig entstehen und

  • die zumutbare Belastung überschritten wird.

2.2 Vermögensbelastung bzw. Einkommensbelastung

Die Beseitigung von Schäden an einem Vermögensgegenstand kann ausnahmsweise zu Aufwendungen im Sinne des § 33 EStG führen, wenn u.a. der Vermögensgegenstand selbst von existenziell wichtiger Bedeutung ist, kein Anhaltspunkt für ein eigenes Verschulden erkennbar und realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte nicht gegeben sind. Eine Berücksichtigung als außergewöhnliche Belastung scheidet auch insoweit aus, als eine allgemein zugängliche und übliche Versicherungsmöglichkeit wie eine Gebäudeversicherung oder Hausratversicherung nicht wahrgenommen worden ist (BFH 06.05.1994 - III R 27/92).

Aufwendungen zur Wiederbeschaffung oder Schadensbeseitigung können im Rahmen des Notwendigen und Angemessenen unter folgenden Voraussetzungen berücksichtigt werden:

  • Sie müssen einen existenziell notwendigen Gegenstand betreffen.

  • Der Verlust oder die Beschädigung muss durch ein unabwendbares Ereignis wie Brand, Hochwasser, Kriegseinwirkung, Vertreibung, politische Verfolgung verursacht sein.

  • Dem Steuerpflichtigen müssen tatsächlich finanzielle Aufwendungen entstanden sein; ein bloßer Schadenseintritt reicht zur Annahme von Aufwendungen nicht aus.

  • Die Aufwendungen müssen ihrer Höhe nach notwendig und angemessen sein und werden nur berücksichtigt, soweit sie den Wert des Gegenstandes im Vergleich zu der vorherigen Lage nicht übersteigen.

  • Nur der endgültig verlorene Aufwand kann berücksichtigt werden, d.h. die Aufwendungen sind um einen etwa nach Schadenseintritt noch vorhandenen Restwert zu kürzen.

    Keine Aufwendungen liegen nach der Auffassung der Finanzverwaltung vor, wenn der Steuerpflichtige für seine Kosten einen Gegenwert (d.h. ein marktfähiges Wirtschaftsgut) erhält, zum Beispiel bei

    • der Anschaffung von Haushaltsgeräten,

    • der Einrichtung einer Wohnung,

    • dem allergiebedingten Austausch von Mobiliar und Bettwäsche.

    Hinweis:

    Eine Ausnahme von dieser "Gegenwerttheorie" ist bei Aufwendungen für die Wiederbeschaffung von Hausrat oder Kleidung gegeben. Diese müssen durch ein unabwendbares Ereignis wie Brand, Diebstahl, Hochwasser, Unwetter, Kriegseinwirkung, Vertreibung oder politische Verfolgung verloren oder wieder beschafft worden sein, um dem Grunde nach als außergewöhnliche Belastung anerkannt zu werden.

  • Der Steuerpflichtige muss glaubhaft darlegen, dass er den Schaden nicht verschuldet hat und realisierbare Ersatzansprüche gegen Dritte nicht bestehen.

  • Ein Abzug scheidet aus, sofern der Steuerpflichtige zumutbare Schutzmaßnahmen unterlassen oder eine allgemein zugängliche und übliche Versicherungsmöglichkeit nicht wahrgenommen hat.

  • Das schädigende Ereignis darf nicht länger als drei Jahre zurückliegen, bei Baumaßnahmen muss mit der Wiederherstellung oder Schadensbeseitigung innerhalb von drei Jahren nach dem schädigenden Ereignis begonnen worden sein.

2.3 Außergewöhnlichkeit

Die Aufwendungen müssen außergewöhnlich sein. Die Außergewöhnlichkeit ergibt sich aus den besonderen Verhältnissen des einzelnen Steuerpflichtigen oder einer "kleinen Minderheit" von Steuerpflichtigen, bei denen Ereignisse eintreten, die bei der überwiegenden Mehrzahl von Steuerpflichtigen gleicher Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse nicht eintreten.

2.4 Zwangsläufigkeit

Die Zwangsläufigkeit der als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Aufwendungen ist erfüllt, wenn sich der Steuerpflichtige den Kosten aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (vergleichbar einer Pflicht zur Leistung):

  • Rechtliche Gründe sind anzuerkennen, wenn der Steuerpflichtige aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung die Aufwendungen zu tragen hat (z.B. Unterhaltspflicht).

  • Tatsächliche Gründe ergeben sich in der Regel aus unabwendbaren Ereignissen wie zum Beispiel Katastrophen, Krieg, Vertreibung, Unfall, Krankheit, Tod und Erpressung.

  • Eine Zwangsläufigkeit aus sittlichen Gründen wird nur unter engen Voraussetzungen anerkannt. Sie ist regelmäßig bei der Unterstützung von Angehörigen (im Sinne des § 15 AO) gegeben, nicht aber bei der allgemeinen Unterstützung von in Not geratenen Menschen (BFH 25.03.1966 - VI 320/65). Die sittliche Zwangsläufigkeit ist jedoch für den Abzug von Unterhaltsaufwendungen allein nicht ausreichend.

2.5 Höhe der abziehbaren außergewöhnlichen Belastungen / Zumutbare Belastung

Von den Aufwendungen für die außergewöhnlichen Belastungen ist die sogenannte zumutbare Belastung nach § 33 Abs. 3 EStG abzuziehen. Der Gesetzgeber unterstellt, dass jedem Steuerpflichtigen zugemutet werden kann, die außergewöhnlicher Belastungen zum Teil aus seinem versteuerten Einkommen selbst zu tragen. Vom Gesetzgeber sind hierbei bestimmte soziale Gesichtspunkte (z.B. Familienstand, Kinder, Höhe des Einkommens) berücksichtigt worden.

"Abweichend von der bisherigen (durch die Rechtsprechung gebilligten) Verwaltungsauffassung, wonach sich die Höhe der zumutbaren Belastung ausschließlich nach dem höheren Prozentsatz richtet, sobald der Gesamtbetrag der Einkünfte eine der in § 33 Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Grenzen überschreitet, ist die Regelung so zu verstehen, dass nur der Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den im Gesetz genannten Grenzbetrag übersteigt, mit dem jeweils höheren Prozentsatz belastet wird" (BFH 19.01.2017 - VI R 75/14).

3. Kosten eines Zivilprozesses

Die Rechtsprechung des BFH zur Anerkennung von Kosten eines Zivilprozesses war in den vergangenen Jahren äußerst unterschiedlich. Nunmehr gilt:

"Zivilprozesskosten sind demnach nur insoweit abziehbar, als der Prozess existenziell wichtige Bereiche oder den Kernbereich menschlichen Lebens berührt. Liefe der Steuerpflichtige ohne den Rechtsstreit Gefahr, seine Existenzgrundlage zu verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen zu können, kann der Steuerpflichtige auch bei unsicheren Erfolgsaussichten zur Durchsetzung oder Abwehr eines zivilrechtlichen Anspruchs aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen gezwungen sein, einen Zivilprozess zu führen, sodass die Prozesskosten zwangsläufig i.S. von § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen" (BFH 14.12.2016 - VI R 49/15).

Diese Rechtsprechung geht einher mit der Entscheidung BFH 18.06.2015 VI R 17/14.

Anmerkung:

Vorübergehend nahm der Senat in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 die Unausweichlichkeit von Zivilprozesskosten und damit die Absetzbarkeit) bereits unter der Voraussetzung an, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine. Der Senat hält an dieser im Jahr 2011 vertretenen Auffassung allerdings nicht mehr fest.

4. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung

Der BFH erkent in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird:

"Voraussetzung ist allerdings weiter, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand i.S. des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind (...) oder wegen eines Strafausschließungsgrundes nicht geahndet werden (..). Als außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das ESchG verstößt und mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte im Einklang steht." (BFH 17.05.2017 - VI R 34/15).

Hinweis:

In dem Urteil wird auch detailiert zu den Voraussetzungen im Hinblick auf die Anzahl der befruchteten Eizellen Stellung genommen.

5. Scheidung

Scheidungskosten sind Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG. Sie sind durch § 33 Abs. 2 Satz 4 EStG vom Abzug als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen. Denn ein Steuerpflichtiger erbringt die Aufwendungen für ein Scheidungsverfahren regelmäßig nicht zur Sicherung seiner Existenzgrundlage und seiner lebensnotwendigen Bedürfnisse (BFH 18.5.2017 - VI R 9/16).

 Siehe auch 

Abschreibung

BFH 24.02.2011 - VI R 16/10 (Behindertengerechter Umbau einer Immobilie)

BFH 09.12.2010 - VI R 14/09 (Kosten der behinderungsbedingten Heimunterbringung)

BFH 27.09.2007 - III R 28/05 (Aufwendungen für die Besuche der Kinder keine außergewöhnlichen Belastungen)

BFH 02.12.2004 - III R 49/03 (Unterhaltsleistungen an Angehörige in Krisengebieten)

Geserich: Pflegeaufwendungen und Kosten der Heimunterbringung als außergewöhnliche Belastungen. § 33 EStG gilt auch bei Heimunterbringung; neue Wirtschafts-Briefe - NWB 2018, 207

Hermenns\Modrzejewski\Rüsch: Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung. Unterschiedliche Behandlung von gleich- und verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften? Finanz-Rundschau - FR 2017, 270

Weinreich/Klein: Familienrecht. Kommentar; 7. Auflage 2022