Aufsichtspflicht - Eltern
1 Allgemein
Die Aufsichtpflicht der Eltern ist die Ausübung des Personensorgerechts zur Abwendung von Schäden.
Die Rechtsprechung definiert die Aufsichtspflicht wie folgt:
"Aufsicht bedeutet, den Aufsichtsbedürftigen zu beobachten und zu überwachen, zu belehren und aufzuklären, falls erforderlich bezüglich seines Verhaltens zu leiten und zu beeinflussen. Die insoweit gebotene Intensität der Aufsicht richtet sich einerseits nach der Person des Aufsichtsbedürftigen, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten, andererseits nach dem Ausmaß der Gefahr, die von der konkreten Situation für Rechtsgüter Dritter ausgeht und somit nach den besonderen Gegebenheiten des konkreten Falls (...). Bei Minderjährigen bestimmt sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des konkreten Kindes, dem örtlichen Umfeld, dem Ausmaß der drohenden Gefahren, der Voraussehbarkeit schädigenden Verhaltens sowie der Zumutbarkeit für den Aufsichtspflichtigen" (LG Wuppertal 17.10.2017 - 16 S 19/17).
Die Aufsichtspflicht bei Eltern richtet sich nach der Personensorgeberechtigung: Steht das Sorgerecht mehreren Personen zu (im Regelfall beiden Eltern), so sind beide unabhängig von der internen Aufgabenverteilung gleichberechtigt aufsichtspflichtig mit der Folge der gesamtschuldnerischen Haftung.
Aber: Bei geschiedenen oder nicht miteinander verheirateten Eltern obliegt die Aufsichtspflicht dem Elternteil, bei dem das Kind sich aufhält. Dies gilt auch dann, wenn beide Elternteile Inhaber des Sorgerechts sind.
Eine Aufsichtspflichtverletzung kann bei Vorliegen der Voraussetzungen zu einer Haftung des Aufsichtspflichtigen führen.
2 Umfang der Aufsichtspflicht
Der konkrete Inhalt der Aufsichtspflicht ist gesetzlich nicht geregelt. Art und Ausmaß der Aufsichtspflicht hängen von den Umständen des Einzelfalls ab. Entscheidend ist nicht, ob der Aufsichtspflichtige allgemein seine Aufsichtspflicht erfüllt hat, sondern ob er in der konkreten, zum Schaden führenden Situation seinen gesetzlichen Pflichten nachgekommen ist.
Die Aufsichtspflicht bezieht sich allein auf das Verhalten des eigenen Kindes des Aufsichtspflichtigen (OLG Karlsruhe 10.08.2007 - 14 U 8/06). Das Maß der gebotenen Aufsicht richtet sich danach, was verständige Aufsichtspflichtige nach vernünftigen Anforderungen im konkreten Fall tun müssen, um eine Schädigung Dritter zu verhindern, d.h. die Rechtsprechung urteilt nach einem objektiven Maßstab (OLG Karlsruhe 30.03.2006 - 12 U 298/05).
Der Umfang der Aufsichtspflicht richtet sich insbesondere nach dem Alter, dem Charakter des Kindes und der konkreten Situation. Das Maß der Aufsichtspflicht wird u.a. von folgenden Faktoren beeinflusst:
Alter des Kindes
Entwicklungsstand des Kindes (Intellektuelle Fähigkeiten, persönliche Veranlagung, körperliche Behinderungen)
Erziehungsstand
Aufenthaltsort (z.B. Spielplatz oder Bürgersteig neben stark befahrener Straße)
Neigungen
Charakter des Kindes und der Spielgefährten
Voraussehbarkeit des Schadenseintritts
3 Einzelfälle
Von Kindern verursachte Schäden entstehen insbesondere im Straßenverkehr oder durch unsachgemäßes Hantieren der Kinder mit gefährlichen Spielzeugen oder Feuermitteln:
Insbesondere bei der Aufsichtspflicht im Straßenverkehr richten sich die Anforderungen nach dem Alter des Kindes. Bis zum Beginn des schulpflichtigen Alters sind nach der Rechtsprechung Kinder gründlich zu beaufsichtigen, da sie zu unberechenbarem Verhalten neigen.
Beispiel:
Ein noch vierjähriges Kind benötigt im Straßenverkehr eine ständige Aufsicht, die alleinige Begleitung durch den erst siebenjährigen Bruder ist nicht ausreichend (OLG Karlsruhe 03.05.2012 - 1 U 186/11).
Nach der Entscheidung OLG Saarbrücken 18.07.2006 - 4 U 239/05 ist ein zweijähriges Kind im Straßenverkehr nur bei besonderen Gefahrsituationen an die Hand zu nehmen, beim Gehen auf dem Bürgersteig ist dies nicht der Fall.
"Es entspricht daher gesicherter Rechtsprechung, dass jedenfalls ein (fast) 8jähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann, etwa um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten, geläufigen Weg zurückzulegen" (OLG Oldenburg 04.11.2004 - 1 U 73/04).
Auch die Ausrüstung des Fahrrades ist Teil der Aufsichtspflicht: "... gegen ihre Aufsichtspflicht verstoßen, indem sie ihrer neunjährigen Tochter ein Fahrrad mit einem - von wem auch immer - abmontierten Kettenschutz ohne besonderen Hinweis auf die damit verbundenen Gefahren zur freien Verfügung überlassen haben, so dass diese unbeaufsichtigt mit offensichtlich nicht geeigneten Hosen im öffentlichen Straßenverkehr darauf fahren konnte" (LG Wuppertal 17.10.2017 - 16 S 19/17).
Bezüglich der Pflicht zur Kontrolle durch die Eltern bestehen folgende Grundsätze (BGH 24.03.2009 - VI ZR 51/08):
Normal entwickelte Kinder im Alter von fast 5 1/2 Jahren können eine gewisse Zeit ohne unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit und Aufsicht gelassen werden. Daher gesteht die Rechtsprechung Kindern ab einem Alter von vier Jahren einen Freiraum zu, wobei allerdings eine regelmäßige Kontrolle in kurzen Zeitabständen für erforderlich gehalten wird. Kinder in diesem Alter dürfen ohne ständige Überwachung im Freien, etwa auf einem Spielplatz oder Sportgelände oder in einer verkehrsarmen Straße auf dem Bürgersteig spielen, und müssen dabei nur gelegentlich beobachtet werden. Dabei wird ein Kontrollabstand von 15 bis 30 Minuten als zulässig angesehen, um das Spiel von bisher unauffälligen fünfjährigen Kindern außerhalb der Wohnung bzw. des elterlichen Hauses zu überwachen.
Bei Kindern im Alter von sieben bis acht Jahren ist weder eine Überwachung "auf Schritt und Tritt" noch eine regelmäßige Kontrolle in kurzen, etwa halbstündigen Zeitabständen wie bei kleineren Kindern erforderlich. Grundsätzlich muss Kindern in diesem Alter, wenn sie normal entwickelt sind, das Spielen im Freien auch ohne Aufsicht in einem räumlichen Bereich gestattet sein, der den Eltern ein sofortiges Eingreifen nicht ermöglicht. Vielmehr muss es bei Kindern dieser Altersstufe, die in der Regel den Schulweg allein zurücklegen, im Allgemeinen genügen, dass die Eltern sich über das Tun und Treiben in großen Zügen einen Überblick verschaffen, sofern nicht konkreter Anlass zu besonderer Aufsicht besteht.
Internetnutzung:
Der BGH hat zu der Frage, inwieweit Eltern verpflichtet sind, ihr minderjähriges Kind bei der Internetnutzung zu beaufsichtigen, um eine Schädigung Dritter durch das Kind und insbesondere eine Urheberrechte verletzende Teilnahme des Kindes an Tauschbörsen zu verhindern, die folgenden Grundsätze aufgestellt (BGH 15.11.2012 - I ZR 74/12):
Danach "genügen Eltern, die ihrem minderjährigen Kind ihren Internetanschluss zur Verfügung stellen, ihrer Aufsichtspflicht grundsätzlich bereits dadurch, dass sie das Kind über die mit der Internetnutzung verbundene Gefahr von Rechtsverletzungen belehren, wobei sich Inhalt und Umfang der Belehrung nach Alter und Einsichtsfähigkeit des jeweiligen Kindes richten. Dagegen sind Eltern nach dieser Auffassung grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Kind den Internetzugang teilweise zu versperren, die Nutzung des Internets durch das Kind ständig zu überwachen und den Computer des Kindes regelmäßig zu überprüfen. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern vielmehr erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsverletzende Nutzung des Internetanschlusses durch das Kind haben".
Eltern sind verpflichtet, die Internetnutzung ihres minderjährigen Kindes zu beaufsichtigen, um eine Schädigung Dritter durch eine Urheberrechte verletzende Teilnahme des Kindes an Tauschbörsen zu verhindern. Allerdings genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Nicht ausreichend ist es insoweit, dem Kind nur die Einhaltung allgemeiner Regeln zu einem ordentlichen Verhalten aufzugeben (BGH 11.06.2015 - I ZR 7/14).
4 Haftung
Der Aufsichtspflichtige haftet bei einer Aufsichtspflichtverletzung.