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Abschiebungshaft

 Normen 

§§ 62 ff. AufenthG

BT-Drs. 19/10047 (zu den am 21.08.2019 in Kraft getretenen Änderungen)

 Information 

1. Allgemeine Grundsätze

Rechtsgrundlage sind die §§ 62 ff. AufenthG.

Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes, ebenfalls ausreichendes anderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken.

2. Vorbereitungshaft

Das Instrument der Vorbereitungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG dient der Vorbereitung der Ausweisung. Erfasst wird auch die Vorbereitung der Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG. Beide Fälle betreffen die Vorbereitung von Maßnahmen, die zur Beendigung des rechtmäßigen Aufenthalts des Ausländers führen und damit dessen spätere tatsächliche Ausreise vorbereiten sollen.

Die Vorbereitungshaft ermöglichte zuvor eine Inhaftnahme, wenn eine Entscheidung über die Ausweisung nicht sofort getroffen werden kann und die - spätere - Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde. Diese Interessenlage ist auch im Falle der Vorbereitung einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG gegen Gefährder gegeben. Auch bei besonders gefährlichen Ausländern, bei denen nicht der Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG abgewartet werden kann, der für die Beantragung von Sicherungshaft nach § 62 Abs. 3 Nr. 2 AufenthG erforderlich ist, soll in diesen Fällen nicht auf den polizeilichen Präventivgewahrsam zurückgegriffen werden müssen.

3. Sicherungshaft

Gemäß den Vorgaben in § 62 Abs. 3 - 4a AufenthG ist ein Ausländer zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn die dort aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.

Haftgrund Fluchtgefahr:

Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist in den Absätzen 3a und 3b erläutert:

  • In Absatz 3a werden Umstände benannt, bei deren Vorliegen Fluchtgefahr widerleglich vermutet wird. Der Ausländer hat die Möglichkeit, trotz Vorliegens der genannten Umstände darzulegen, dass Fluchtgefahr nicht besteht. Damit wird eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände gewährleistet, die durch § 62 Absatz 1 Satz 1 festgeschrieben ist. Die für die Annahme der widerleglichen Vermutung genannten Umstände lassen ihrer Art und Gewichtigkeit nach überdies eine im Vergleich zu den konkreten Anhaltspunkten in Absatz 3b verlässlichere Prognose zu, der Ausländer werde sich seiner Abschiebung entziehen.

  • In Absatz 3b werden Umstände aufgezählt, die konkrete Anhaltspunkte für eine Fluchtgefahr sein können. Das Verfahren entspricht dem bisherigen Verfahren nach § 62 Absatz 3 alte Fassung. Es ist eine einzelfallbezogene Prüfung unter Einbeziehung sämtlicher Umstände vorzunehmen, ob Fluchtgefahr vorliegt.

Hinweis:

Zu detaillierteren Inhalten der Absätze 3a und 3b siehe die Gesetzesbegründung BT-Drs. 19/10047, Seite 41 ff.

Sicherungshaft bei Straftätern:

Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten sechs Monate durchgeführt werden kann.

Dabei wurde die vormalige Drei-Monats-Frist zum 31.12.2022 durch eine Frist von sechs Monaten ersetzt. Mit dieser maßvollen Ausweitung ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip weiter gewahrt.

Der Maßstab an die Verhältnismäßigkeit der Abschiebungshaft ergibt sich nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 20/3717) vorrangig aus den gesetzlichen Voraussetzungen an das Prognoseelement. Der Regelung unterfallen die Tatbestände des § 54 Abs. 1 Nr. 1 bis 1b und Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Demnach sind Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten umfasst einschließlich Strafen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist.

Im Fall des § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG muss die Verwirklichung des Tatbestands des § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 des Betäubungsmittelgesetztes objektiv und subjektiv feststehen und die Tat schuldhaft begangen worden sein. Die in den vorgenannten Regelungen in Bezug genommenen Fälle von Verurteilungen zu Jugendstrafen sind jedoch nicht erfasst, da die Verlängerung des Prognosezeitraums nicht gilt, wenn Jugendstrafrecht angewendet wurde. In den Fällen des § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG, der nicht zwingend das Vorliegen einer Verurteilung voraussetzt, greift die Verlängerung nicht nur dann nicht, wenn bereits eine einschlägige Verurteilung nach Jugendstrafrecht vorliegt, sondern auch wenn auf die Tat Jugendstrafrecht "anzuwenden wäre". § 62 Abs. 1 S. 3 AufenthG bleibt unberührt. Eine Inhaftierung Minderjähriger ist unter gebotener besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls in der Regel unverhältnismäßig und damit unzulässig.

4. Ausreisegewahrsam

Unabhängig von den Voraussetzungen der Sicherungshaft, insbesondere vom Vorliegen der Fluchtgefahr, kann ein Ausländer zur Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebung auf richterliche Anordnung bis zu zehn Tage in Gewahrsam genommen werden, wenn die in § 62b AufenthG aufgeführten Voraussetzungen vorliegen.

Durch Neufassung des Tatbestandsmerkmals in Absatz 2 "im Transitbereich eines Flughafens oder in einer Unterkunft, von der aus die Ausreise des Ausländers ohne Zurücklegen einer größeren Entfernung zu einer Grenzübergangsstelle möglich ist" wird klargestellt, dass die Unterbringung in einer Unterkunft, die sich im weiteren Umfeld eines Flughafens oder einer Grenzübergangsstelle befindet, möglich ist.

Dabei ist nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 10047) eine übliche Fahrzeit von etwa einer Stunde von Unterkunft bis Flughafen oder Grenzübergang als "ohne Zurücklegen einer größeren Entfernung" zu bewerten. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen wegen der entsprechenden Geltung des § 62 Absatz 1 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Ausreisegewahrsam genommen werden, wie es unter gebotener besonderer Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Dementsprechend dürfte in vielen Fällen eine Inhaftierung Minderjähriger unverhältnismäßig sein.

5. Abschiebungshaft für Minderjährige oder Familien

Im Rahmen der Abschiebungs-, Sicherungs- und Mitwirkungshaft dürfen Minderjährige und Familien mit Minderjährigen gemäß § 62 Abs. 1 Satz 3 AufenthG nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Haft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Bei Anordnung und Vollzug ist das Kindeswohl besonders zu berücksichtigen. Dementsprechend dürfte in der Regel eine Inhaftierung Minderjähriger unverhältnismäßig sein.

6. Hafteinrichtungen

Gemäß § 62a AufenthG wird die Abschiebungshaft grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen vollzogen. Sind spezielle Hafteinrichtungen im Bundesgebiet nicht vorhanden oder geht von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus, kann sie in sonstigen Haftanstalten vollzogen werden; die Abschiebungsgefangenen sind in diesem Fall getrennt von Strafgefangenen unterzubringen.

Mit dem Urteil EuGH 10.03.2022 - C 519/20 hat der EuGH Leitlinien zu den Anforderungen an Abschiebehafteinrichtungen aufgestellt: Danach legten die Richter u.a. fest, dass eine Unterbringung in einer speziellen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt, die über eine eigene Ausstattung verfügen und von den übrigen Gebäuden der Einrichtung, in denen Strafgefangene inhaftiert sind, getrennt sind, als "spezielle Hafteinrichtung" angesehen werden kann,

  • sofern die Bedingungen der Unterbringung so weit wie möglich verhindern, dass diese Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt

  • und sie so ausgestaltet sind, dass

 Siehe auch 

Abschiebung

Asylberechtigte

Fritz/Vormeyer: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz (GK-AufenthG)

Wollenschläger: Handbuch des Ausländerrechts der Bundesrepublik Deutschland; Loseblattwerk