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Ablehnung wegen Befangenheit

 Normen 

§§ 42 - 49 ZPO

§§ 22 ff. StPO

§ 54 VwGO

§ 49 ArbGG i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG

§ 60 SGG

§ 51 FGO

§ 10 RPflG

§ 11 LwVfG

§ 4 InsO

§§ 27 Abs. 6, 86 PatG

§§ 72, 88 MarkenG

§ 6 FamFG

§ 74 Abs. 3 AsylG

 Information 

1. Allgemein

Die Mitwirkung eines Richters bzw. eines anderen Prozessbeteiligten kann von einer Partei wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Rechtsgrundlagen sind § 42 ZPO und § 24 StPO. Die anderen Verfahrensnormen verweisen auf die ZPO.

Hinweis:

Die Ablehnung ist zu unterscheiden von dem zwingenden Ausschluss des Prozessbeteiligten bei Vorliegen der im Gesetz genannten Gründe. Siehe insofern den Beitrag "Ausschluss von Beteiligten im Prozessrecht".

2. Befangenheit

Befangenheit ist nach der gesetzlichen Definition in § 42 ZPO bzw. § 24 StPO ein Grund, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters (oder anderen Verfahrensbeteiligten) zu rechtfertigen.

Das Vorliegen eines Ablehnungsgrundes ist grundsätzlich vom Standpunkt des Angeklagten zu beurteilen. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters ist dann gerechtfertigt, wenn der Ablehnende bei verständiger Würdigung des ihm bekannten Sachverhalts Grund zu der Annahme hat, der Richter nehme ihm gegenüber eine Haltung ein, die dessen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit störend beeinflussen kann.

Rechtsprechung zu einzelnen Befangenheitsgründen:

  • Mitwirkung des Partners/der Partnerin des Richters an der vorinstanzlichen Entscheidung:

    Die Frage, ob der Umstand, dass ein Ehepartner / Lebenspartner des aktuellen Richters als vorinstanzlicher Richter an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, einen Befangenheitsgrund darstellt, wird in der Rechtsprechung unterschiedlich geurteilt:

    • Die Mitwirkung des Ehepartners eines Rechtsmittelrichters an einer Entscheidung eines vorhergehenden Rechtszuges begründet nach der Ansicht des BGH keine Befangenheit (BGH 17.03.2008 - II ZR 313/06).

    • Der 9. Senat des BSG hat diese Rechtsprechung in Zweifel gezogen (BSG 24.11.2005 - B 9a VG 6/05 B).

      Hinweis:

      Zu einer Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes ist es bislang nicht gekommen, weil die Besorgnis der Befangenheit dann jeweils nicht allein auf das eheliche Näheverhältnis, sondern noch auf weitere Umstände gestützt worden ist.

    • Das OVG Bremen hat die nichteheliche Lebensgemeinschaft der Ehe gleichgestellt. Es hat das Ablehnungsgesuch jedoch damit begründet, dass es der Richter unterlassen hat, den Umstand der nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit der erstinstanzlichen Richterin anzuzeigen (OVG Bremen 12.05.2015 - 2 B 40/15).

  • Handy-Nutzung während der Hauptverhandlung.

    Die (wenn auch nur sehr kurze) private Handy-Nutzung während der Hauptverhandlung kann die Besorgnis der Befangenheit begründen (BGH 17.06.2015 - 2 StR 228/14).

  • Außerhalb der Hauptverhandlung geführte Gespräche mit einzelnen Angeklagten

    "Der Bundesgerichtshof hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass bei außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen mit einzelnen Angeklagten unter Ausschluss von Mitangeklagten besondere Zurückhaltung geübt werden muss, um jeden Anschein der Parteilichkeit zu vermeiden" (BGH 10.01.2019 - 5 StR 648/18).

  • Enge / langjährige Freundschaft zwischen dem Ehegatten des Richters und einer Prozesspartei (BGH 19.11.2020 - V ZB 59/20).

  • Ausführungen eines Asylrichters in einem früheren Urteil (BVerfG 01.07.2021 - 2 BvR 890/20).

3. Ablehnungsberechtigung

Das Ablehnungsverfahren setzt ein Ablehnungsgesuch voraus. Ablehnungsberechtigt sind die Parteien. Im Strafprozess sind es die Staatsanwaltschaft, der Privatkläger und der Beschuldigte und der Nebenkläger.

4. Form und Frist der Ablehnung

Im Strafprozess:

Die Ablehnung eines erkennenden Richters wegen Besorgnis der Befangenheit ist gemäß § 25 StPO bis zum Beginn der Vernehmung des ersten Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse, in der Hauptverhandlung über die Berufung oder die Revision bis zum Beginn des Vortrags des Berichterstatters zulässig. Aber:

Befangenheitsgründe, die dem Ablehnungsberechtigten vor Beginn der Hauptverhandlung bekannt geworden sind, müssen seit dem 13.12.2019 unverzüglich angebracht werden.

Nach § 26 Abs. 1 S. 1 StPO kann ein Ablehnungsgesuch in der Hauptverhandlung mündlich oder schriftlich bei dem Gericht angebracht werden, dem der Richter angehört. Daneben kann es auch außerhalb der Hauptverhandlung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht werden. Das Gericht kann dem Antragsteller aufgeben, das mündliche Ablehnungsgesuch schriftlich zu begründen. Das Ablehnungsgesuch ist damit ab mündlicher Anbringung gestellt, nur für die Vorlage der schriftlichen Begründung soll das Gericht eine angemessene Frist setzen können. Nach Ablauf dieser Frist ist die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen, wenn der Antrag nicht fristgerecht begründet wurde. Gibt das Gericht dem Antragsteller auf, sein Ablehnungsgesuch schriftlich zu begründen, so soll für das weitere Verfahren bis zur Entscheidung über das Ablehnungsgesuch § 29 StPO zur Anwendung gelangen.

Der Ablehnungsgrund ist gemäß § 44 ZPO, § 26 StPOglaubhaft zu machen.

Im Zivilprozess:

Der zum 01.01.2020 neu eingefügte § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO legt fest, dass Ablehnungsgesuche unverzüglich, d.h. ohne prozesswidriges Verzögern, nach Kenntniserlangung von den Ablehnungsgründen geltend zu machen sind.

Hinweis:

Damit soll nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 19/13828) verhindert werden, dass Ablehnungsgesuche von einer Partei aus taktischen Gründen zur Verfahrensverzögerung erst dann gestellt werden, wenn sich im Verlauf des Verfahrens eine für sie ungünstige Verhandlungsposition ergibt. Zwar enthält bereits § 43 ZPO eine zeitliche Grenze für die Geltendmachung von Ablehnungsgründen. § 43 ZPO hindert jedoch nicht die Geltendmachung von Ablehnungsgründen, die der Partei im Zeit-punkt der Einlassung oder Antragstellung noch nicht bekannt waren. § 44 Abs. 4 Satz 2 ZPO gilt über § 54 Abs. 1 VwGO, § 51 Abs. 1 S. 1 der FGO und § 60 Abs. 1 SGG in Verfahren vor den Gerichten der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten entsprechend.

5. Entscheidung über die Ablehnung

5.1 Entscheidung über die Zulässigkeit des Ablehnungsgesuchs

Das Gericht verwirft bei Vorliegen der in § 26a StPO aufgeführten Gründe das Ablehnungsgesuch als unzulässig. Dabei ergeht die Entscheidung mit dem abgelehnten Richter.

Die Selbstentscheidung des Richters ist insbesondere dann zulässig, wenn es sich um ein gänzlich untaugliches oder rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch handelt. Völlige Ungeeignetheit ist anzunehmen, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Ist hingegen ein - wenn auch nur geringfügiges - Eingehen auf den Verfahrensgegenstand erforderlich, scheidet eine Ablehnung als unzulässig aus.

In der ZPO besteht keine entsprechende Norm. Aber: Diese Grundsätze über die Selbstentscheidung des abgelehnten Richters über den ihn betreffenden Befangenheitsantrag im Strafprozess sind nach der Entscheidung BVerfG 20.07.2007 - 1 BvR 2228/06 in gleichem Umfang in Zivilverfahren heranzuziehen.

Das Rechtsschutzbedürfnis für ein Befangenheitsgesuch entfällt grundsätzlich, wenn der abgelehnte Richter an ein anderes Gericht abgeordnet und infolgedessen ein anderer Richter mit der Sache befasst wird (BGH 27.10.2015 - LwZB 1/15).

5.2 Entscheidung über die Begründetheit des Ablehnungsgesuchs

Über das Ablehnungsgesuch entscheidet das Gericht, dem der Abgelehnte angehört, ohne dessen Mitwirkung (§ 45 ZPO, § 27 StPO, § 46 Abs. 2 ArbGG).

Gleichwohl ist anerkannt, dass abweichend von diesem Grundsatz und abweichend vom Wortlaut des § 45 Abs. 1 ZPO der Spruchkörper ausnahmsweise in ursprünglicher Besetzung unter Mitwirkung des abgelehnten Richters über unzulässige Ablehnungsgesuche in bestimmten Fallgruppen entscheiden darf. Hierzu zählen u.a. die Ablehnung eines ganzen Gerichts als solches sowie das offenbar grundlose, nur der Verschleppung dienende und damit rechtsmissbräuchliche Ablehnungsgesuch (vgl. BVerfG 15. Juni 2015 - 1 BvR 1288/14).

Diese Abweichung von der gesetzlichen Regel ist jedoch nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar. Voraussetzung ist, dass die Prüfung des Gesuchs keine Beurteilung des eigenen Verhaltens des abgelehnten Richters voraussetzt und deshalb keine Entscheidung in eigener Sache darstellt. Erlaubt sind nur echte Formalentscheidungen und Entscheidungen, die einen offensichtlichen Missbrauch des Ablehnungsrechts verhindern sollen. Ein rechtsmissbräuchliches Ablehnungsgesuch kann deshalb nur angenommen werden, wenn für eine Verwerfung als unzulässig jedes Eingehen auf den Gegenstand des Verfahrens entbehrlich ist. Das ist regelmäßig nur dann der Fall, wenn das Ablehnungsgesuch Handlungen des Richters beanstandet, die nach der Zivilprozessordnung oder dem Arbeitsgerichtsgesetz vorgeschrieben sind oder die sich ohne Weiteres aus der Stellung des Richters ergeben (BAG 17.03.2016 - 6 AZN 1087/15).

6. Weiteres Verfahren

Gemäß § 47 ZPO kann der in der Verhandlung abgelehnte Richter den Termin (aber nur diesen!) fortsetzen. Wird der Ablehnungsantrag später für begründet erklärt, so ist der nach dem Ablehnungsgesuch gestellte Teil der Verhandlung zu wiederholen.

Wird der Befangenheitsantrag unzulässigerweise abgelehnt, so ist dies gemäß § 338 Nr. 3 StPO / § 547 Nr. 3 ZPO ein absoluter Revisionsgrund.

Gemäß § 29 StPO kann mit der Hauptverhandlung begonnen und diese durchgeführt werden, bis der Staatsanwalt den Anklagesatz verlesen hat, wenn ein Richter erst kurz vor Beginn der Hauptverhandlung abgelehnt wird und eine Entscheidung über die Ablehnung den Beginn der Hauptverhandlung verzögern würde. Dieser Regelung kommt dem Bedürfnis der Praxis entgegen, Störungen und Verzögerungen des Beginns der Hauptverhandlung dort zu begegnen, wo Ablehnungsgesuche erst unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden.

Sind von einer Partei zwei Rechtsstreitigkeiten anhängig, zwischen denen tatsächlicher und rechtlicher Zusammenhang besteht und hat die Partei das Recht zur Stellung eines Befangenheitsantrags in einem Prozess verloren, so gilt dies nach der Entscheidung BGH 01.06.2006 - V ZB 193/05 auch für den zweiten Prozess.

7. Im Asylrecht

Bis zum 31.12.2022 führte ein Ablehnungsgesuch wegen Besorgnis der Befangenheit des Richters (Befangenheitsantrag) grundsätzlich zu einem vorläufigen Tätigkeitsverbot des abgelehnten Richters bis zur Entscheidung über den gestellten Befangenheitsantrag. Eine Ausnahme galt bei Befangenheitsanträgen, die erst während der laufenden mündlichen Verhandlung gestellt werden. In diesen Fällen konnte der Termin unter Mitwirkung des abgelehnten Richters fortgesetzt werden, wenn die Entscheidung über die Ablehnung eine Vertagung der Verhandlung erfordern würde.

Zum 01.01.2023 wurde diese Ausnahmeregelung in Asylgerichtsverfahren mit § 74 Abs. 3 AsylG auf solche Fälle ausgedehnt, in denen der Befangenheitsantrag zwar nicht während der mündlichen Verhandlung, aber innerhalb eines Zeitraums von drei Werktagen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung gestellt wird. Dadurch wird sichergestellt, dass eine mündliche Verhandlung nicht durch einen kurz vor dem Termin gestellten Befangenheitsantrag gesprengt wird.

 Siehe auch 

Ausschluss von Beteiligten im Prozessrecht

Befähigung zum Richteramt

Bestechung

Richter

BGH 15.03.2012 - V ZB 102/11 (Ehepartner des Richters Rechtsanwalt in Kanzlei des Gegners)

BGH 25.04.2007 - AnwZ (B) 102/05 (keine Anhörungsrüge bei Ablehnung des Ablehnungsgesuchs)

BVerfG 27.12.2006 - 2 BvR 958/06 (Ablehnungsrecht des Adhäsionsklägers)

BGH 10.08.2005 - 5 StR 180/05 (Vorbefassung als Grund für die Ablehnung)

BGH 14.06.2005 - III StR 446/04 (Urteilsmitwirkung eines abgelehnten Richters)

Eisenberg: Zur Ablehnung des Sachverständigen im Strafverfahren wegen Besorgnis der Befangenheit; Neue Zeitschrift für Strafrecht - NStZ 2006, 368

Ghassemi-Tabar/Nober: Die Richterablehnung im Zivilprozess; Neue Juristische Wochenschrift - NJW 2013, 3686

Oberheim: Erfolgreiche Taktik im Zivilprozess; 9. Auflage 2023

Pleines: Ablehnung des gerichtlich bestellten Sachverständigen. Befangenheit und die Auswirkungen für den Vergütungsanspruch; Der Bausachverständige - BauSV 2007, 45

Satzger/Schluckebier/Widmaier: StPO - Strafprozessordnung. Kommentar; 5. Auflage 2022

Stollenwerk: Die Kostenentscheidung bei Richterablehnung; Neue Juristische Wochenschrift 2007, 3751