Ist das Urteil eines Gerichtes für andere Gerichte bindend?

Zivilrecht, Prozess und Zwangsvollstreckung
13.10.201420024 Mal gelesen
Bindet das Urteil eines Gerichtes andere Gerichte? Diese Frage ist Gegenstand dieses Beitrages.

Häufig wird in den Nachrichten über neue wichtige Gerichtsurteile berichtet, die z. B. der Bundesgerichtshof oder das Bundesarbeitsgericht getroffen haben. In diesem Zusammenhang stellt sich dann die Frage, ob die ergangene  Entscheidung nun alle anderen Gerichte bindet, diese also genauso entscheiden müssen.

Die Antwort auf obige Frage lautet: In den allermeisten Fällen ist das Urteil eines Gerichtes für andere Gerichte nicht bindend. Diese für den einen oder anderen Leser vielleicht überraschende Antwort begründet sich wie folgt:

Richter sind bei ihrer Entscheidungsfindung unabhängig und nur dem Gesetz untworfen, Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG).

Folglich ist kein Gericht in seiner Entscheidung an das Urteil eines anderen Gerichtes gebunden, selbst dann nicht, wenn es sich um ein Gericht höherer Instanz handelt.

Nur Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes sind bindend

Einzige Ausnahme: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes binden die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden und entfalten mitunter sogar Gesetzeskraft, Art. 31 BVerfGG.

Urteile kommen durch die Anwendung von Rechtsnormen durch die Gerichte zustande. Rechtsnormen bestehen häufig aus abstrakten Begriffen, deren Bedeutung für den konkreten Rechtsfall vom Richter ermittelt wird. Anwendung von Rechtsnormen bedeutet somit Auslegung von Rechtsnormen. Deshalb ist es nur selten angebracht, bei einem Gerichtsurteil von "richtig" oder "falsch" zu
sprechen, wie man es von der Lösung einer Mathematikaufgabe kennt. Urteile sind das Ergebnis von Rechtsmeinungen zu Rechtsfragen. Und auch Gerichte können nun mal unterschiedlicher (Rechts-)Meinung sein.

Das deutsche Rechtssystem kennt zudem keine sog. Präzendenzfälle, die in vielen englischensprachigen Ländern (z. B. Großbritannien, USA, Australien) insbesondere für die Erstinstanz bindend sind.

Selbst ein Richter am Amtsgericht kann also zu einer Rechtsfrage eine andere Meinung haben als z. B. der BGH und entsprechend ein Urteil fällen, das einer Entscheidung des BGH widerspricht. Natürlich kommt dies in der Praxis eher selten vor, aber ausgeschlossen ist es eben nicht. Ebenso kommt es vor, dass z. B. der BGH eine Rechtsmeinung, die er bisher stets in der Vergangenheit vertreten hat, aufgibt..

Hat ein Gericht zu einem bestimmten Sachverhalt in der Vergangenheit bereits ein Urteil gesprochen, mag es also wahrscheinlich sein, dass ein anderes Gericht in einem vergleichbaren Fall genauso oder zumindest ähnlich entscheiden wird. Sicher ist dies aber nicht.

Zusammenfassung:

Gerichte sind bei der Urteilsfindung in aller Regel nicht an die Entscheidungen anderer Gerichte gebunden. Eine Ausnahme bilden Entscheidungen des Bundesverfassungerichtes. Das deutsche Rechtssystem kennt keine sogenannten Präzedenzfälle.