Achtung: Mütter nicht zahlender Väter! Auch der Bezieher von ALG II / Hartz IV schuldet Kindesunterhalt; er ist verpflichtet und bleibt verpflichtet in Höhe des Mindestunterhalts, und macht sich strafbar nach § 170 StGB, wenn er nicht zahlt.

Achtung: Mütter nicht zahlender Väter! Auch der Bezieher von ALG II / Hartz IV schuldet  Kindesunterhalt; er ist verpflichtet und bleibt verpflichtet in Höhe des Mindestunterhalts, und macht sich strafbar nach § 170 StGB, wenn er nicht zahlt.
26.10.201015636 Mal gelesen
Ein Standartgrund für Unterhaltsabänderungen auf Null war das Argument, der Schuldner sei von ALG I auf Sozialhilfe (ALG II gem. SGB II heruntergesetzt. Das ist kein Argument, denn § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGBII belässt dem Sozialhilfeempfänger als anrechnungsfreies Einkommen, was der zur Bezahlung des titulierten Unterhalts benötigt. Er darf sogar sich während des Bezugs dieser Leistungen zur Zahlung von Mindestunterhalt verpflichten. Das bdeutet aber zugleich, dass nahezu jeder Vater, der Leistungen nach SGB II bezieht dann, wenn er nicht einen kleinen Job übernimmt und verdient, was er für den Unterhalt seiner Kinder braucht, wegen Unterhaltsgefährdung strafbar ist gem. § 170 StGB. Ein fertiger Schriftsatz zum Abschreiben.

Nach dem zum 1.8.2006 eingeführten § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II ist ein Hinzuverdienst anrechnungsfrei, soweit damit titulierte Unterhaltspflichten bedient werden.

 

Bereits vor dem 1.8.2006 waren nach einer internen Anordnung der Bundesagentur für Arbeit (Ziffer 11.5 der Verwaltungshinweise zu § 11 SGBII) Zahlungen auf Unterhaltsansprüche von dem nach § 11 II Nr. 2 - 6 SGBII bereinigten Einkommen des Unterhaltspflichtigen abzuziehen,

 

·       wenn es sich um Unterhaltspflichten gegenüber Personen handelt, die gegenüber den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft des Unterhaltspflichtigen vorrangig sind oder denen zumindest im Range gleich stehen und

·       wenn der Unterhaltspflichtige die tatsächliche Erbringung der Leistungen nachweist.

 

(Siehe dazu ausführlich OLG Koblenz 7 WF 107/06, Beschluss vom 6.2.2006, FamRZ 2006, 1296, in der NJW 2009 bei OLG Hamm fälschlich zitiert unter FamRZ 2006, 297)

 

Streit besteht lediglich darüber, ob nach der Gesetzesfassung des § 11 II Nr. 7 SGBII die Anrechnungsfreiheit

 

·       auch für solche Unterhaltspflichten gilt, die gerade im laufenden Verfahren tituliert werden sollen, ob also mit Blick auf die Möglichkeit der Anrechnungsfreiheit Verurteilung / Verpflichtung zu höheren Unterhaltszahlungen als denen, die sich aus dem reinen SGBII-Bezug ermitteln ließen, erfolgen kann, (so OLG Hamm BeckRS 2007, 19473; OLG Brandenburg FamRZ 2008, 2304 = NJW 2008, 3366) oder

·       ob dies nur für den gilt, dessen Unterhaltspflicht bereits bei Beginn des Bezugs von Leistungen nach SGBII bestand (so OLG Hamm, NJW 2009, 3446 ff und OLG Düsseldorf, FamRZ 2010, 1740 ff)

 

Das OLG Hamm argumentiert aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift:  Der Regelungsgehalt sei eigentlich nicht neu (siehe die oben genannte Verwaltungsanordnung der Bundesagentur für Arbeit)

 

Nach Sinn und Zweck des § 11 II Nr. 7 SGBII sei eine Ausweitung der bestehenden Möglichkeiten eines anrechnungsfreien Erzielens von Einnahmen vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen.

Das wiederum wird mit einer im Internet veröffentlichten "einschlägigen Weisung" zur Verordnung von Einkommen und zur  Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld (ALG II-VO) vom 18.12.2008 begründet, wonach der Unterhaltspflichtige   - soweit er durch Absetzung von Unterhaltsbeträgen selbst hilfebedürftig werde  -  aufzufordern sei, im Rahmen der Selbsthilfemöglichkeiten einen Unterhaltsabänderungsantrag zu stellen.

 

Das wiederum wird begründet wie folgt:

 

"Andernfalls würde letztlich der Unterhalt mittelbar aus dem Sozialeinkommen finanziert, ohne dass geprüft werden könnte, ob der Empfänger von Sozialleistungen" (das wären also die Unterhaltsberechtigten, Anmerkung des Unterzeichners)  "nach sozialrechtlichen Grundsätzen überhaupt als bedürftig anzusehen wäre." (So OLG Hamm, a.a.O., S. 3448)

 

Diese Auffassung beruht auf mindestens vier Denkfehlern.

 

·       Erstens kann der Schuldner von Unterhaltsleistungen nicht erst durch Abzug (Pfändung) der Unterhaltsbeträge zum Empfänger von Unterhaltsleistungen werden, weil kein Vollstreckungsrechtspfleger bei Wahl des Pfandfreibetrages nach § 850 d ZPO unter die ALG II-Sätze gehen darf. (Binsenweisheit, neuestens wieder festgestellt vom BGH am 5.8.2010 VII ZB 17/09 und 18/09, FamRZ 2010, II (Umschlagseite) (Das heißt: Ein Einkommenserzieler kann nicht durch Unterhaltspfändung zum "Aufstocker" werden.)

 

·       Zweitens kann nur der zum Bezieher von Leistungen von ALG II werden, wer keine bezahlte Arbeit hat oder mit Arbeit nicht erzielt, was ihm das SGBII garantiert, ohne dass zuvor Unterhaltspflichten berücksichtigt worden sind.

 

·       Drittens soll der unterhaltspflichtige Bezieher von ALG II in die Lage versetzt werden, seine Unterhaltspflicht gegenüber seinen Kindern zu erfüllen (warum nur die in Betracht kommen, siehe nachfolgend), was ihn 1.) der Strafverfolgung wegen Unterhaltsgefährdung entzieht, 2.) den Druck nimmt, Insolvenz beantragen zu müssen, möglicherweise allein schon wegen der Unterhaltspflicht, die er in aller Regel nicht unter den Mindestunterhalt drücken kann, und 3.) die Möglichkeit gewährt, morgens sein Gesicht beim Rasieren (oder beim Schminken) wieder ohne Scham im Spiegel betrachten zu können. In aller Regel ist  4.) der Einstieg in eine geringfügige Tätigkeit zugleich auch wieder Beginn einer beruflichen Vollerwerbstätigkeit.

 

·       Viertens ist § 11 II Nr. 7 SGB II geschaffen worden, bevor es den Mindestunterhalt und damit die Definition des kindlichen Existenzminimums sowie den unterhaltsrechtlichen Vorrang des Kindesunterhalts mit Inkrafttreten der Unterhaltsreform zum 1.1.2008 gab, was zugleich bedeutet, dass der ALG II-Bezieher zwar eine etwaige Unterhaltspflicht zweiten oder folgenden Ranges (§ 1603 BGB) auf Null senken lassen kann,  in aller Regel aber eben den kindlichen Mindestunterhalt nicht.

 

Diesen Unterhalt als Existenzminimum zu sichern und zwar primär als Leistung dessen, der den Unterhalt schuldet, also Vaters oder der Mutter, ist Staatsaufgabe (Mehrfach vom Bundesverfassungsgericht bestätigt), ist soziale Pflicht, weshalb  in den Fällen um die es hier geht, die Möglichkeit des Abzugs der tatsächliche Unterhaltsleistung dessen, der unterhaltspflichtig ist und deshalb verpflichtet wurde oder zu verpflichten ist, auch nicht "mittelbar" als "Zahlung aus der Staatskasse" anzusehen ist, sondern als das, was es ist, nämlich Ermöglichung der Erfüllung von menschlichen Kardinalpflichten, Achtung der Menschenwürde der Berechtigten wie der Verpflichteten.

 

Der Sozialstaat zahlt dem ALG II-Bezieher nicht mehr, als der zum Überleben braucht, weshalb es  schlicht unbedachtes Gerede ist, von indirekter Unterhaltsfinanzierung durch Sozialleistungen zu sprechen, wo lediglich darauf verzichtet wird, dasjenige, was der ALG II-Bezieher an Einkommen erzielt, um menschliche Kardinalpflichten, die sich aus dem Naturrecht herleiten, zu erfüllen, also der Pflicht eines Vaters oder einer Mutter, nach Kräften zum Überleben des eigenen Kindes beizutragen, anzurechnen. Die Nichtanrechnung raubt dem Unterhaltspflichtigen seine Würde.

Das Bundessozialgericht hat sich am 9.11.2010 der hier vertretenen Auffassung angeschlossen. Auch der Bezieher von Leistungen nach Hartz IV kann / darf den Mindestunterhalt titulieren und zahlen und hat Anspruch darauf, dass bei Eigeneinkommen (Aufstocker) der gezahlte Unterhalt vom anzurechnenden Einkommen abgezogen wir. Das gilt auch dann, wenn Bedürftigkeit überhaupt erst in Folge der Unterhaltszahlung einritt oder erhöht wird.  Der SGB-II Bezieher  muss sich nich um Abänderung des Titels bemühen. (So Sozialgericht Freiburg S 4 AS 3239/08, darauf LSG Baden-Württemberg L 7 AS 5458/09 und darauf BSG B 4 AS 78/10.

Gut für die Kinder, gut für Väter, die sich um ihre Kinder kümmern wollen, schlecht für Väter, die meinen, Kindesunterhalt versüße nur der blöden Mutter das Leben: Die wandern jetzt, wenn sie sich nicht mindestens um geringfügigse Einkommen bemühren, das sie unterhaltsrechtlich leistungsfähig macht, jetzt alle in den Knast, wenn sie nur angezeigt werden: § 170 StGB zeigt Zähne.

Deshalb ist die Möglichkeit des § 11 II Nr. 7 SGB II wie vor seinem Inkrafttreten die Möglichkeit nach  der internen Anordnung der Bundesagentur für Arbeit (Ziffer 11.5 der Verwaltungshinweise zu § 11 SGBII) zu berücksichtigen

 

a)      bei der Frage der Titulierung von Unterhaltsansprüchen minderjähriger, gesteigert unterhaltsberechtigter Kinder gegen einen Bezieher von ALG II,

b)      bei der Frage, ob ein solcher Bezieher von ALG II Abänderung einer Unterhaltspflicht unter den Mindestunterhalt verlangen kann, und

c)      bei der Frage, ob die Nichtnutzung der Möglichkeiten des anrechnungsfreien Hinzuverdienstes nicht zugleich vorsätzliches unerlaubtes Unterlassen im Sinne des Bemühens um die Herstellung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit ist und aus dem Unterlassen folgende Nichtzahlung von Unterhalt eben vorsätzliche unerlaubte Handlung im Sinne des § 302 InsO ist.