Schmerzensgeld und seine "Anrechenbarkeit" (ALG II, Grundsicherung usw.)

Verkehrsrecht
20.10.20104121 Mal gelesen
Als Fachanwalt für Verkehrsrecht empfehle ich Geschädigten, generell das Schadensmanagement nach einem Verkehrsunfall einem Fachanwalt für Verkehrsrecht zu überlassen. In der Regel führt dies zu einer günstigeren Quote (bei Mitschuld) und einer umfassenderen Entschädigung aller Ansprüche. Das Schadensmanagement der Versicherung speist den Geschädigten durch Zahlung eines Betrages auf der Basis weniger Angaben recht bald ab. Bei einer kompletten Berechnung und Substantiierung von Schmerzensgeld, Erwerbs- und Haushaltsschaden, Fahrt- und Gesundheitskosten sowie weiterem Schadensersatz vergeht oft mehr als ein Jahr, bis der gesamte Schaden beziffert werden kann (weil z. B. ärztliche Behandlungen erst abgeschlossen sein müssen). Bisweilen unterlassen Geschädigte es, in dieser Zeit Leistungen zur Grundsicherung, ALG II oder Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu beantragen oder werden vorschnell entmutigt. Ganz abgesehen davon, dass Ihnen das Geld oft erst später zugeht, ist es für sie wichtig die Rechtslage zu kennen bzw. das Problem mit Ihrem Anwalt zu besprechen.

Immer wieder finden sich in der Literatur Verweise darauf, dass insbesondere Schmerzensgeld und Schmerzensgeldrenten auf "ergänzende Leistungen" anzurechnen wären.

Die wurde in der Vergangenheit auch vereinzelt immer wieder von Gerichten so entschieden. Die höheren Instanzen haben diesbezüglich - zumindest für den Moment - entschieden.

Der aus Bosnien-Herzegowina stammende Beschwerdeführer und seine Familie erhielten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Im August 1997 wurden die Ehefrau und ein Kind Opfer eines Verkehrsunfalls. Nachdem sie ein Schmerzensgeld von 25.000 DM erhalten hatten, lehnte der Leistungsträger die weitere Gewährung von Leistungen ab, weil das Schmerzensgeld als Vermögen im Sinn von § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG angerechnet werden müsse. Die hiergegen erhobene Klage blieb in allen Instanzen ohne Erfolg. Jetzt stellte das BVerfG auf die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers hin fest, dass es mit dem Gleichheitssatz unvereinbar sei, dass Asylbewerber Schmerzensgeld für ihren Lebensunterhalt einsetzen müssten, bevor sie staatliche Leistungen erhielten.

Schmerzengeld nimmt Sonderstellung ein

In seiner Begründung führte der Erste Senat aus, § 7 Abs. 1 Satz 1 AsylbLG sei insoweit verfassungswidrig. Asylbewerber würden im Hinblick auf das Schmerzensgeld im Vergleich zu Empfängern von Leistungen der Sozialhilfe und anderen Personengruppen, die einkommens- und vermögensabhängige staatliche Fürsorgeleistungen erhielten, in ungerechtfertigter Weise benachteiligt. Die dem Schmerzensgeld eigene Funktion verleihe ihm eine Sonderstellung innerhalb der sonstigen Einkommens- und Vermögensarten. Das Schmerzensgeld diene vor allem dem Ausgleich einer erlittenen oder andauernden Beeinträchtigung der körperlichen und seelischen Integrität, die über den Schadensfall hinaus anhalte und durch die materielle Schadensersatzleistung nicht abgedeckt sei. Zugleich trage es dem Gedanken Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schulde. Das Schmerzensgeld habe damit nicht die Funktion eines Beitrags zur materiellen Existenzsicherung. Die Gründe, die für das besondere Konzept der Sicherstellung des Lebensbedarfs von Asylbewerbern maßgeblich seien, trügen vor diesem Hintergrund die in der Anrechnung von Schmerzensgeld als Einkommen und Vermögen liegende Ungleichbehandlung nicht. Ein Verzicht auf die Berücksichtigung von Schmerzensgeld bei der Gewährung und Bemessung von Leistungen nach dem AsylbLG stelle nicht das Ziel des Gesetzgebers in Frage, den Anreiz zur Einreise von Ausländern aus wirtschaftlichen Gründen zu verringern. Denn Schmerzensgeld beruhe nicht auf einer kalkulierbaren Quelle für den Erwerb von Einkommen, die zu erschließen vernünftigerweise von Asylbewerbern angestrebt werde. (Bundesverfassungsgericht; Beschluss vom 11.07.2006, Az.: 1 BvR 293/05).

 Mit einer ähnlichen Begründung hat das Bundessozialgericht in Kassel entschieden, dass Schmerzensgeld nicht auf ALG II-Ansprüche anzurechnen sind (Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel. (Az: B 14/7b AS 6/07 R).