Falsch Verdächtigt; Aussage gegen Aussage; was nun?

Strafrecht und Justizvollzug
18.06.2014 369 Mal gelesen
Gerade in Sexualstrafsachen wie bei Vergewaltigungen oder dem sexuellen Missbrauch von Kindern ist die Beweislage oft schwierig. Meist gibt es nur einen Zeugen oder eine Zeugin, von deren Aussage die Verurteilung des vermeintlichen Täters abhängt. Oft steht dann „Aussage gegen Aussage“, da der vermeintliche Täter die Tat bestreitet. Die Glaubwürdigkeit des Zeugen ist daher besonders wichtig. Dies gilt umso mehr, da es in diesem Zusammenhang eine nennenswerte Zahl Falschbelastungen gibt.

Wegen der reduzierten Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten in derartigen Situationen stellt die höchstrichterliche Rechtsprechung besondere Anforderungen an die Beweiswürdigung in Konstellationen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht und das Gericht entscheiden muss, welcher der widerstreitenden Angaben - derjenigen des Beschuldigten oder des einzigen Belastungszeugen das Gericht glaubt.


Dann darf das Gericht den Bekundungen einer Auskunftsperson, die quasi eine Parteirolle einnimmt, nicht schon deshalb, weil sie gegebenenfalls Opfer der Tat ist, entscheidend höheres Gewicht beimessen als den Angaben des Angeklagten. Erforderlich sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vielmehr eine sorgfältige Aussageninhaltsanalyse, eine genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der Aussage sowie die Bewertung der Aussagemotive, sowie von Konstanz und Detailliertheit sowie Plausibilität der Angaben. Insbesondere bei detailarmen Aussagen ist zu beachten, dass das Kriterium der Aussagekonstanz erheblich an Wert verliert.


In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen daher alle Umstände, die die Entscheidung zu beeinflussen geeignet sind, erkennbar in die Überlegungen des Gerichts einbezogen sein. Dies fordert zugleich eine genauere Darlegung des Aussageninhalts als in anderen Fällen im schriftlichen Urteil, damit ein Revisionsgericht die daran anknüpfenden Überlegungen unter Umständen auch nachprüfen kann.


Der Schuldbeweis ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes in dieser Konstellation nur geführt, wenn die belastende Zeugenaussage auch nach Kriterien, die in der wissenschaftlichen Aussagenanalyse entwickelt wurden, als erlebnisfundiert anzusehen ist und hinsichtlich Konstanz, Plausibilität und Detailliertheit ein Mehr an Glaubhaftigkeit für sich in Anspruch nehmen kann, als die bestreitende Einlassung des Angeklagten.


Die Praxis der Strafgerichte in Deutschland sieht freilich oft anders aus. Da wird einem Opfer geglaubt, weil es eben angeblich ein Opfer ist. Umgekehrt wird tatsächlichen Opfern einer Straftat oft auch kein Glauben geschenkt.
Eine effektive Verteidigung setzt hier möglichst früh an. Zwar ist die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen die ureigenste Aufgabe eines Richters. Allerdings hat der Bundesgerichtshof verschiedenen Fallkonstellationen anerkannt, in dem die Einholung eines wissenschaftlichen Glaubhaftigkeitsgutachtens geboten ist:


So ist bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung eines Belastungszeugen regelmäßig die Einholung eine entsprechenden Gutachtens angeraten. Der Bundesgerichtshof hat beispielsweise entschieden, dass das Tatgericht bei längerer psychiatrischer Behandlung eines Zeugen ein Glaubwürdigkeitsgutachten einholen soll.


Auch wenn die vorgeworfene Tat schon länger zurückliegt (was insbesondere beim Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern häufig vorkommt) kann es sein, dass die eigene Sachkunde des Gerichts nicht ausreichend ist und ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist. Insbesondere bei Sexualdelikten an Kindern oder Jugendlichen wird das Gericht zudem meist nicht in der Lage sein, Aussagetüchtigkeit und Glaubwürdigkeit zu beurteilen.


Ebenso können die Umstände, unter denen eine Aussage des Zeugen zustande gekommen ist, die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens notwendig machen. Insbesondere wird dies wieder bei kindlichen Zeugen in Betracht kommen, die durch Eltern oder andere Personen wie Erziehern suggestive Fragen gestellt wurden und ein Tatverdacht erstmalig in einer solchen Situation geäußert wurde.


Eine effektive Verteidigung wird daher immer wenn entsprechende Anhaltspunkte vorliegen in einem möglichst frühen Stadium die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens beantragen. Damit kann oft schon die Anklage selbst vermieden werden. Aber auch, wenn das sprichwörtliche Kind schon in den Brunnen gefallen ist, kann noch geholfen werden. Im Rahmen von Berufung und Revision kann die unterbliebene Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens gerügt, bzw, nachgeholt werden. Ebenso kann geprüft werden, ob ein Urteil haltbar ist, wenn es, trotz des Vorliegens einer Aussage gegen Aussage Konstellation, die oben geschilderten hohen Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung nicht erfüllt. Dies ist erfahrungsgemäß oft der Fall. Der gesamte Prozess ist dann neu aufzurollen.