Die Ausgangslage
Wer scheinselbstständige Mitarbeiter beschäftigt, entzieht der Sozialversicherung Beiträge und dem Mitarbeiter den sozialversicherungsrechtlichen Schutz. Geschieht dies vorsätzlich, kann dies strafbar sein.
§ 266a Abs. 1 des Strafgesetzbuches bestimmt, dass mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält. Das gleiche gilt für Arbeitgeber, die der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt und dadurch dieser Stelle vom Arbeitgeber zu tragende Beiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält.
Dieser Tatbestand war ursprünglich gar nicht primär für Fälle der Scheinselbstständigkeit vorgesehen. Der Gesetzgeber wollte in erster Linie verhindern, dass Arbeitgeber, die in Liquiditätsschwierigkeiten geraten sind, mit den verfügbaren Mitteln vorrangig vor den Sozialkassen andere Gläubiger bedienen. Wir beobachten jedoch, dass Zollbehörden und Staatsanwaltschaften diesen Tatbestand zunehmend auch auf Fälle der Scheinselbstständigkeit anwenden. Erhalten die zuständigen Zollbehörden Kenntnis vom Verdacht einer Scheinselbstständigkeit, führen sie Ermittlungen durch, im Extremfall bis hin zur Durchsuchung von Geschäftsräumen und Wohnungen. Die Ermittlungsergebnisse gehen an die Staatsanwaltschaft, die dann über die Einleitung eines Strafverfahrens zu entscheiden hat.
Zu den Aufgaben der Zollabteilung "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" (FKS)
Ob allerdings im konkreten Einzelfall tatsächlich eine abhängige Beschäftigung und damit Scheinselbstständigkeit oder nicht tatsächlich echte Selbstständigkeit vorliegt, ist oft schwierig zu beantworten. Zuständig für die Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status sind auf behördliche Ebene in erster Linie die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und im Bereich der Justiz die Sozialgerichte.
Die Entscheidung über den sozialversicherungsrechtlichen Status erfolgt durch einen (anfechtbaren) Bescheid. Jeder Arbeitgeber kann die Richtigkeit einer Statusentscheidung gerichtlich überprüfen lassen. Ein Blick in die Rechtsprechung zeigt, dass diese Verfahren nicht selten erfolgreich sind. Mitunter ist die Beurteilung der Rechtslage durch Sozialgericht der einzelnen Instanzen nicht einheitlich, wie das Fallbeispiel eines Subunternehmers im Transportgewerbe zeigt, in dem die Deutsche Rentenversicherung Braunschweig-Hannover (vormals LVA Hannover) eine Gruppe von Kurierfahrern, die als Subunternehmer für ein anderes Transportunternehmen tätig waren, als abhängig beschäftigt einstufte und von dem Transportunternehmen zunächst 325.437,72 DM ( = 166.393,66 EUR) forderte. Im Widerspruchsverfahren wurde diese Forderung zunächst auf 265.246,17 DM ( = 135.618,58 EUR), später um weitere 35.447,63 EUR reduziert. Die Restforderung betrug immerhin noch 100.170,58 EUR. Dagegen richtete sich die Klage. Diese wurde vom Sozialgericht Hannover in erster Instanz abgewiesen. Im Berufungsverfahren beanstandeten die Richter des Landessozialgerichts, dass die Behörde die entscheidenden tatsächlichen Fragen, auf die es für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit ankommt, nicht ausreichend geklärt hatten. Die Behörde war zudem beweispflichtig. Auf Anraten des Gerichts hob die Vertreterin der DRV noch im Termin den streitigen Beitragsbescheid in Bezug auf einen der betroffenen Kurierfahrer, der im Termin selbst anwesend war und über seine Tätigkeit Auskunft gegeben hatte, auf. Aus prozessökonomischen Gründen und zur Vermeidung einer langen Beweisaufnahme, deren Ergebnis angesichts des langen Zeitablaufs nicht voraussehbar war, schlossen die Parteien hinsichtlich eines weiteren Fahrers einen Vergleich dahingehend, dass auch insoweit der Prüfbescheid aufgehoben wurde. Die Restforderung beträgt nach Abschluss des Verfahrens noch gut 5.000,00 EUR (von ursprünglich 166.393,66 EUR).
In einer solchen Situation kann die oben beschriebene Falle zuschnappen: Behördliche Verwaltungs- und anschließende Sozialgerichtsverfahren dauern sehr lange (im geschildeten Fall gut dreizehn (!) Jahre, die strafrechtlichen Verjährungsfristen sind dagegen kurz. Die Strafbarkeit wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt verjährt im Regelfall nach fünf Jahren. Da die Taten nicht immer sofort aufgedeckt werden, sind die Staatsanwaltschaften praktisch dazu gezwungen, schnellstmöglich Anklage zu erheben. Im Extremfall kann dies dazu führen, dass ein Arbeitgeber wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt rechtskräftig verurteilt wird, die Sozialgerichte später jedoch feststellen, dass echte Selbstständigkeit vorlag, wie dieses Beispiel zeigt: Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen - 17.10.2011 - L 8 R 420/11 B ER
Betroffenen Arbeitgebern ist anzuraten, schon im Strafverfahren die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung sorgfältig vorzunehmen. Die Staatsanwaltschaften haben die Möglichkeit, das Ermittlungsverfahren auszusetzen, um das Ergebnis der sozialgerichtlichen Klärung abzuwarten.
Eine ähnliche gelagerte Problematik besteht übrigens auch im Steuerrecht. Der Präsident des Bundesfinanzhofs hat im Jahrespressegespräch 2013 kürzlich gefordert, dass sauber zwischen Strafverfahren und steuerlichen Ermittlungsverfahren unterschieden werden müsse. Während im Strafverfahren der Bürger sich nicht selbst belasten brauche, gelten im normalen Steuerverfahren umfassende Mitwirkungspflichten. "Diese Grenze wird gelegentlich verwischt."
"Wenn Steuerfahnder übertreiben" (Handelsblatt vom 05.02.2013)
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