Beamtenrecht - Schadensersatz wegen Nichtbeförderung

Staat und Verwaltung
14.07.20133059 Mal gelesen
Erneut hat sich ein Verwaltungsgericht mit der Frage beschäftigt, wann ein Beamter Schadensersatz wegen Nichtbeförderung fordern kann.

Zugunsten des Beamten entschied das VG Göttingen in einem Urteil vom 29.05.2013 (1 A 300/12), dass er einen Anspruch darauf hat, ab dem Zeitpunkt der (für ihn zunächst negativen) Beförderungsentscheidung sowohl dienstrechtlich als auch besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als wäre er zu diesem Zeitpunkt in ein Amt der Besoldungsgruppe A 11 BBesO befördert worden. Der Bescheid über seine Nichtbeförderung wurde aufgehoben.

VG Göttingen - Urteil vom 29.05.2013 - 1 A 300/12

Das Verwaltungsgericht folgt in dem Urteil der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und auch des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts, wonach für den Schadensersatzanspruch wegen Nichtbeförderung drei Voraussetzungen erfüllt sein müssen:

  1. Der Dienstherr hat bei der Vergabe eines Beförderungsamtes den verfassungsrechtlichen Anspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt,
  2. dem Beamten wäre das Amt ohne diesen Rechtsverstoß voraussichtlich übertragen worden und
  3. der Beamte hat es nicht schuldhaft unterlassen, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

In der Entscheidung ging es um einen Polizeibeamten, der zunächst eine dienstliche Beurteilung erfolgreich gerichtlich angefochten hatte. Das Verwaltungsgericht hatte die Beurteilung aufgehoben und den Dienstherrn zur Neubeurteilung verpflichtet. Dies führte zu einem besseren Ergebnis. Noch während des Klageverfahrens gegen die Beurteilung wechselte er in den Zuständigkeitsbereich einer anderen Dienststelle. Der dort anstehenden Beförderungsentscheidung wurde jedoch die rechtswidrige Ausgangsbeurteilung zugrundegelegt, ohne dass das zu diesem Zeitpunkt noch laufende Klageverfahren berücksichtigt wurde.

Das VG Göttingen kam zu dem Ergebnis, dass der Beamte aufgrund des korrigierten Ergebnisses der Beurteilung ebenfalls hätte befördert werden müssen. Insbesondere sieht das Gericht ein Verschulden des Dienstherren darin, dass vor der Beförderungsentscheidung keine Einsicht in die Gerichtsakten des noch laufenden Klageverfahrens gegen die dienstliche Beurteilung genommen und keine inzidente Rechtmäßigkeitsüberprüfung vorgenommen wurde. Bei einer Akteneinsicht wäre - so das VG Göttingen - erkennbar gewesen, dass gewichtige Gründe für die Rechtswidrigkeit der Beurteilung bestanden haben. In den Entscheidungsgründen wird ausgeführt:

"Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Nach § 9 Beamt-StG sind Ernennungen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ohne Rücksicht auf Geschlecht, Abstammung, Rasse oder ethnische Herkunft, Behinderung, Religion oder Weltanschauung, politische Anschauungen, Herkunft, Beziehungen oder sexuelle Identität vorzunehmen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2012 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen, a. a. O. Rn. 15) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. Beschluss vom 14.09.2011 - 5 LA 161/10 -, juris Rn. 10) kann ein Beamter von seinem Dienstherrn Ersatz des ihm durch die Nichtbeförderung entstandenen Schadens verlangen, wenn der Dienstherr bei der Vergabe eines Beförderungsamts den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch des Beamten auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl schuldhaft verletzt hat, wenn diese Rechtsverletzung für die Nichtbeförderung des Beamten kausal war und wenn der Beamte es nicht schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Die Beklagte hat den Anspruch des Klägers auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl verletzt. Nach Art. 33 Abs. 2 GG sind öffentliche Ämter nach Maßgabe des Leistungsgrundsatzes zu vergeben. Der Bewerberauswahl für die Besetzung eines öffentlichen Amtes dürfen nur Kriterien zugrunde gelegt werden, die unmittelbar Eignung, Befähigung und fachliche Leistung betreffen. Ein Bewerber kann deshalb verlangen, dass der Dienstherr seine Bewerbung nur aus Gründen zurückweist, die durch den Leistungsgrundsatz gedeckt sind. Der für die Auswahlentscheidung maßgebliche Leistungsvergleich muss, um diesen Anforderungen gerecht zu werden, auf aussagekräftige, d.h. hinreichend differenzierte und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhende, (rechtmäßige) dienstliche Beurteilungen gestützt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2012, a. a. O. Rn. 17; VG Augsburg, Urteil vom 25.04.2013 - AU 2 K 12.149 -, juris Rn. 25 u. 28 f.). Die Beklagte hat bei ihrer Auswahlentscheidung zur Besetzung der zehn A 11-Stellen zum 01.10.2007 die Beurteilung des Klägers der PD H. vom 13.10.2005 zum Stichtag 01.09.2005 mit dem Gesamturteil "Übertrifft erheblich die Anforderungen" (Wertungsstufe 4) berücksichtigt. Diese Beurteilung war rechtswidrig, wie das VG H. in seinem Urteil vom 11.03.2009 festgestellt hat. Dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit durch ein Gericht erst nach der Auswahlentscheidung getroffen wurde, ist rechtlich unerheblich, denn die Beurteilung war auch schon zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung rechtswidrig. Die Beklagte hat damit bei der Beförderungsentscheidung eine rechtswidrige Beurteilung des Klägers zugrunde gelegt und dadurch objektiv den Bewerbungsverfahrensanspruch des Klägers verletzt.

Die Pflichtverletzung erfolgte fahrlässig. Für die Frage des Verschuldens ist der allgemeine, objektiv-abstrakte Verschuldensmaßstab des Bürgerlichen Rechts anzuwenden. Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Von dem für die Auswahlentscheidung verantwortlichen Beamten muss dabei verlangt werden, dass er die Sach- und Rechtslage unter Hinzuziehung aller ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel gewissenhaft prüft und sich aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsauffassung bildet (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2012, a. a. O. Rn. 39). Wird eine behördliche Maßnahme gerichtlich missbilligt, so kann daraus ein Verstoß des verantwortlichen Amtsinhabers gegen Sorgfaltspflichten nicht hergeleitet werden, wenn er die zugrunde liegende Rechtsauffassung aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen hat und sie im Ergebnis als vertretbar angesehen werden kann. Eine letztlich als unzutreffend erkannte Rechtsauffassung stellt sich als vertretbar dar, wenn die Rechtsfrage nicht einfach zu beurteilen und weder durch die Rechtsprechung geklärt noch im Schrifttum abschließend behandelt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.02.2009 - 2 A 7/06 -, NVwZ 2009, 787). Die Beklagte hat hier überhaupt keine Prüfung der Beurteilung des Klägers vom 13.10.2005 vorgenommen. Bei der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte die personalbearbeitende Stelle der Beklagten aber erkennen können, dass die Beurteilung der PD H. vom 13.10.2005 rechtswidrig gewesen sein könnte und die Möglichkeit bestand, dass der Kläger um eine Notenstufe besser mit dem Gesamturteil "Hervorragend" (Wertungsstufe 5) zu beurteilen gewesen wäre. Grundsätzlich würde es zwar die im Verkehr erforderliche Sorgfalt übersteigen, bei jeder Beförderungsentscheidung die zugrunde liegenden Beurteilungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, soweit es dafür keine Veranlassung gibt. Im vorliegenden Fall lagen allerdings besondere Umstände vor, die eine Überprüfung der Beurteilung des Klägers erfordert hätten. Zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung im Herbst 2007 hatte der Kläger bereits vor dem VG H. Klage gegen seine Beurteilung eingelegt (Klageerhebung am 03.08.2006; Az.: 2 A 4651/06). Das Gericht geht auch davon aus, dass die Beklagte von diesem Rechtsstreit gewusst hat. Ihr sind nach der Versetzung des Klägers von der PD H. zur Beklagten am 30.08.2006 die Personalakten des Klägers einschließlich der Unterakten übersandt worden. Jedenfalls hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten, keine Kenntnis von den Gerichtsverfahren gehabt zu haben. Trotz des anhängigen Klageverfahrens hat die Beklagte ohne weitere Prüfung bei der Beförderungsauswahl die Beurteilung des Klägers mit der Wertungsstufe 4 zugrunde gelegt und dann zehn Beamte nach A 11 befördert, die aktuell mit der Wertungsstufe 5 beurteilt waren. Das Klageverfahren hätte Anlass gegeben, vor der Beförderungsentscheidung Einsicht in die Gerichtsakten zu nehmen und eine inzidente Rechtmäßigkeitsüberprüfung vorzunehmen. Dabei hätte die Beklagte erkennen können, dass gewichtige Gründe für die Rechtswidrigkeit der Beurteilung bestanden haben. So war bei der Beurteilung eine Beurteilungsnotiz des PK S. zu Lasten des Klägers berücksichtigt worden, obwohl diese Beurteilungsnotiz entgegen der Aufbewahrungspflicht nach Nr. 16.4 der damals gültigen Beurteilungsrichtlinie für den X. des Landes Y. vom 29.12.1999 (BRLPoLVV) nicht mehr auffindbar war. Da gemäß Nr. 13.1.2 BRLPoLVV die Beurteilungsnotizen Grundlage für die Beurteilungen sind und der Inhalt der Beurteilungsnotiz streitig war, hätte die Beklagte bei der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt erkennen können, dass die Berücksichtigung der nicht mehr vorhandenen Beurteilungsnotiz zu Lasten des Klägers zumindest nicht unproblematisch gewesen war. Dabei handelt es sich auch nicht um eine schwierige Rechtsfrage. Es geht um die tatsächlich vorliegenden Grundlagen der Beurteilung.

Außerdem hätte die Beklagte erkennen können, dass die 11 Monate umfassenden Auslandsmissionen des Klägers mit einem knappen Drittel des Beurteilungszeitraumes prägenden Charakter gehabt hatten und deshalb inhaltlich bei der Beurteilung hätten berücksichtigt werden müssen. Auch dabei geht es um die Beurteilungsgrundlagen und nicht um schwierige Rechtsfragen. Da die Beurteilungsnotizen der Auslandsmissionen dem Kläger besondere Leistungen bescheinigten, wäre erkennbar gewesen, dass eine stärkere Berücksichtigung dieser Beurteilungsnotizen und die Nichtberücksichtigung der fehlenden Beurteilungsnotizen des PK S. zu einem höheren Gesamturteil der Beurteilung des Klägers hätte führen können. Die ungeprüfte Berücksichtigung der Beurteilung des Klägers mit dem Wertungsurteil 4 stellt deshalb eine fahrlässige Pflichtverletzung der Beklagten dar.

Die Verletzung des Art. 33 Abs. 2 GG zu Lasten des Klägers war kausal für seine Nichtbeförderung. Ein Schadensersatzanspruch wegen rechtswidriger unterlassener Beförderung kann nur begründet sein, wenn dem Beklagten ohne den Rechtsverstoß das angestrebte Amt voraussichtlich übertragen worden wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2012, a. a. O. Rn. 42). Die Beklagte selbst hat vorgetragen, dass der Kläger, wäre er zum Stichtag 01.09.2005 gleich mit dem Gesamturteil "Hervorragend" (Wertungsstufe 5) beurteilt worden, zum 01.10.2007 zum Q. mit der Besoldungsgruppe A 11 befördert worden wäre. Die Kausalität liegt also vor.

Der Kläger hat es nicht schuldhaft unterlassen, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Nach dem Rechtsgedanken des § 839 Abs. 3 BGB kann ein zu Unrecht nicht beförderter Beamter Schadensersatz für diese Verletzung seines aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch nur verlangen, wenn er sich bemüht hat, den eingetretenen Schaden dadurch abzuwenden, dass er um gerichtlichen Rechtsschutz gegen die bevorstehende Personalentscheidung nachgesucht hat. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der unterlegene Beamte rechtzeitig vor der Ernennung der Konkurrenten über das Ergebnis der Auswahlentscheidung und die maßgebenden Gründe dafür unterrichtet worden ist. Dies gilt auch dann, wenn eine größere Anzahl von Beamten zur gleichen Zeit befördert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.04.2004 - 2 C 26/03 -, NVwZ 2004, 1257). Dabei hat der unterlegene Bewerber stets Anspruch auf eine verbindliche Information durch den Dienstherrn über das Ergebnis des Auswahlverfahrens, damit er nicht Gefahr läuft, ein Rechtsmittel auf ungesicherter tatsächlicher oder rechtlicher Grundlage zu ergreifen. Unterbleiben solche Informationen, kann dem Beamten nicht vorgeworfen werden, er habe die Inanspruchnahme primären Rechtsschutzes schuldhaft versäumt. Die bloße Mitteilung der Namen der 10 zu befördernden Beamten durch die Beklagte reicht dafür nicht aus. Dabei ist es unerheblich, ob die Namen durch einen Aushang oder eine Rundmail an alle Beamten in der Vergleichsgruppe bekannt gemacht wurden. Das Gericht folgt deshalb nicht der Beweisanregung der Beklagten. Mit der Kenntnis der Namen war es dem Kläger nicht möglich abzuschätzen, welchen Ranglistenplatz er einnahm und ob er mit dieser Rangstelle noch befördert worden wäre. Zusätzliche verbindliche Informationen hat der Kläger von der Beklagten nicht erhalten. Er kannte deshalb weder zuverlässig die genauen Auswahlkriterien noch die Anzahl der Mitbewerber. Der Kläger war auch nicht verpflichtet, sich bei seinem Dienstherrn oder beim Personalrat in diesem Fall zu erkundigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.04.2004, a. a. O.).

Der Kläger hat damit einen Anspruch, dienst-, besoldungs- und versorgungsrechtlich so gestellt zu werden, als sei er im Oktober 2007 zum Q. (Bundesbesoldungsordnung A 11) befördert worden. Besoldungsleistungen und die ihm nach dem Eintritt in den Ruhestand zustehende Versorgung sind deshalb so zu berechnen, als sei er seit diesem Zeitpunkt in die Besoldungsgruppe A 11 einzustufen (vgl. BVerwG, Urteil vom 26.01.2012, a. a. O. Rn. 50).

Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt gemäß § 195 BGB drei Jahre. Sie beginnt mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Der Anspruch ist im Oktober 2007 entstanden. Zu den anspruchsbegründenden Umständen gehört, dass die Beurteilung des Klägers zum Stichtag 01.09.2005 rechtswidrig war und eine rechtmäßige Beurteilung in einem Gesamturteil "Hervorragend" (Wertungsstufe 5) bestand sowie zu welchem Zeitpunkt der Kläger mit dieser rechtmäßigen Beurteilung befördert worden wäre. Der Kläger kann damit frühestens mit der rechtmäßigen Beurteilung vom 11.07.2012, eher aber wohl nach der Mitteilung der Beklagten im laufenden Gerichtsverfahren mit Schriftsatz vom 07.05.2013 über die Beförderung zum 01.10.2007 bei Berücksichtigung einer rechtmäßigen Beurteilung, von allen den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt haben. Letztendlich kann der genaue Zeitpunkt offen bleiben, da unter keinen Umständen die Verjährung eingetreten ist."

 

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