Kostenbeitrag - Heimerziehung - Eingliederungshilfe - §§ 34, 35a SGB VIII – VG Hannover hält gesetzliche Regelung für lückenhaft (3 A 2347/11)

Soziales und Sozialversicherung
20.05.20132668 Mal gelesen
In einem jüngst veröffentlichten Urteil vom 08.03.2013 hat das Verwaltungsgericht Hannover die Rechtmäßigkeit der Heranziehung zu Kostenbeiträgen in der Jugendhilfe grundsätzlich in Frage gestellt. Nach Auffassung des Gerichts reicht die gesetzliche Grundlage nicht aus.

Die Entscheidung betrifft einen Vater, der für die Heimunterbringung seiner Tochter zu einem Kostenbeitrag herangezogen wurde.

Nach § 92 ff. SGB VIII müssen sich Eltern bei bestimmten Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe finanziell an den Kosten beteiligen (sog. Kostenbeitrag). Die Beitragshöhe hängt vom Einkommen ab. Das Verwaltungsgericht hält die gesetzlichen Regelungen, nach denen das maßgebliche Einkommen zu bestimmen ist, für lückenhaft und begründet dies wie folgt: Kostenbeiträge sind öffentliche Abgaben. Als solche stehen sie unter dem sog. Vorbehalt des Gesetzes. Soll heissen: Abgaben dürfen nur aufgrund einer gesetzlichen Regelung erhoben werden. Gesetze müssen hinreichend bestimmt sein. Welche Anforderungen an die Bestimmtheit zu stellen sind, hängt vom Regelungsgegenstand und vom Zweck des Gesetzes sowie davon ab, in welchem Ausmaß Grundrechte betroffen sind.

Gesetze, die zur Abgabenerhebung berechtigen, müssen allerdings so bestimmt sein, dass der Abgabepflichtige die Abgabe in gewissem Umfang vorausberechnen kann. Sie müssen außerdem Behördenwillkür ausschließen, eine einheitliche Verwaltungspraxis ermöglichen und dem Abgabeschuldner die Möglichkeit bieten, die auf ihn zukommende Belastung rechnerisch zumindest in Grundzügen selbst zu ermitteln. Dies gilt auch für den Kostenbeitrag in der Jugendhilfe. Denn der Gesetzgeber wollte bei der Neugestaltung der Heranziehungsregelungen für die Kostenbeitragspflichtigen eine größere Transparenz und Akzeptanz herstellen.

Die derzeitigen Regelungen erfüllen nach Auffassung des Verwaltungsgerichts diese Anforderungen nicht. Es fehlt an hinreichenden normativen Festlegungen dahingehend, auf welche Art und Weise das für die Bemessung des Kostenbeitrags maßgebliche Einkommen im Einzelfall zu ermitteln ist. Diese Lücke lässt sich nach Auffassung des Gerichts mit den Mitteln, die der Rechtsprechung zur Verfügung stehen (Gesetzesauslegung, richterliche Rechtsfortbildung) nicht schließen.

Das Gericht setzt sich insoweit ausdrücklich von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, das die gesetzlichen Regelungen für ausreichend hält. Es führt hierzu aus:

Das Gesetz bestimmt, dass die Kostenbeitragspflichtigen aus ihrem Einkommen in "angemessenem Umfang" heranzuziehen sind (§ 94 Abs. 1 SGB VIII). Es definiert den maßgeblichen Einkommensbegriff (§ 93 Abs. 1 SGB VIII) und regelt weitere Einzelheiten zur Berechnung des daraus abzuleitenden maßgeblichen Einkommens. Ergänzend legt eine Rechtsverordnung Pauschalbeträge fest, die nach Einkommensgruppen gestaffelt sind (sog. Kostenbeitragsverordnung). Kernstück dieser Verordnung ist eine Tabelle. Darin werden verschiedenen Einkommensgruppen jeweils bestimmte monatlich zu leistende Kostenbeiträge zugeordnet.

Dieses Regelungssystem zur Bestimmung der konkreten Beitragshöhe ist - so das Gericht - unvollständig, weil es aus sich heraus keine eindeutige Berechnung des im Einzelfall festzusetzenden Kostenbeitrages ermöglicht. Denn es fehlt eine Bestimmung, die festlegt, von welchen Daten für die Ermittlung des zu Grunde zu legenden Einkommens im Einzelfall auszugehen ist, insbesondere welcher Erhebungszeitraum dafür maßgeblich sein soll.

Diese Regelungslücke habe zu einer uneinheitlichen Verwaltungspraxis geführt, die das Gericht im Ergebnis für willkürlich hält. Diese Regelungslücke könne nach Ansicht des Gerichts nicht durch Auslegung oder Analogiebildung oder richterlicher Rechtsfortbildung geschlossen werden.

(Wird im einzelnen näher ausgeführt)

 Das das Verwaltungsgericht mit dieser Entscheidung von der Rechtsprechung höherrangiger Gerichte abweicht, hat es die Berufung zum Oberverwaltungsgericht als auch die Sprungrevision zum Bundesverwaltungsgericht zugelassen.

Die weitere Entwicklung der Sache wird zu verfolgen sein.

VG Hannover - Urteil vom 08.03.2013 - 3 A 2347/11

 

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