Alternativen zur Kündigung von Lebensversicherungen: Widerspruch, Widerruf und Rücktritt

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28.10.2016503 Mal gelesen
Ein Großteil der Lebens- und Rentenversicherungsverträge werden in Deutschland vorzeitig gekündigt. Häufig sind es wirtschaftliche Gründe, die den Versicherungsnehmer zu einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages veranlassen. Nachteil ist dabei: Der Versicherungsnehmer erhält nur den sogenannten Rückkaufswert ausbezahlt, einen Betrag, der häufig – gerade in den Anfangsjahren - wesentlich hinter den gezahlten Versicherungsprämien zurückbleibt.

Ein Großteil der Lebens- und Rentenversicherungsverträge werden in Deutschland vorzeitig gekündigt. Häufig sind es wirtschaftliche Gründe, die den Versicherungsnehmer zu einer vorzeitigen Beendigung des Vertrages veranlassen. Nachteil ist dabei: Der Versicherungsnehmer erhält nur den sogenannten Rückkaufswert ausbezahlt, einen Betrag, der häufig - gerade in den Anfangsjahren - wesentlich hinter den gezahlten Versicherungsprämien zurückbleibt. Dabei ist es oft Unwissenheit über die rechtlichen Möglichkeiten, die die Versicherungsnehmer zur "Kündigung" des Vertrages veranlasst. Denn oftmals ergeben sich - je nach Fallkonstellation - wirtschaftlich günstigere Rückabwicklungsmöglichkeiten, je nach Abschlusszeitpunkt Widerspruchs-, Rücktritts- oder Widerrufsrechte. Sind bei fondsgebundenen Versicherungen erhebliche Verluste eingetreten, können Rücktritts-, Widerspruchs- oder Widerrufsrechte ein Instrument zum Schadensausgleich sein. Diese Rechte basieren im Wesentlichen darauf, dass keine bzw. keine ordnungsgemäße Belehrung erfolgt ist oder erforderliche Unterlagen nicht (vollständig) übergeben wurden. Die Widerrufs-, Widerspruchs- oder Rücktrittsfrist wird in diesen Fällen nicht in Gang gesetzt, so dass noch ein "ewiges" Widerrufs-, Widerspruchs- oder Rücktrittsrecht besteht. Den wenigsten Versicherungsnehmern ist dieses bekannt.

Die Rechtslage ist dabei relativ unübersichtlich, da die einzelnen Vorschriften mehrfach geändert wurden und daher erst einmal geprüft werden muss, welche Gesetzesvorschrift zum maßgeblichen Zeitpunkt einschlägig war. Von den Rechtsfolgen her, sieht man von den Regelungen ab 2008 ab, sind die Regelungen allerdings im Wesentlichen identisch, beinhalten vor allem nach erklärtem Widerruf, Rücktritt oder Widerspruch eine Rückerstattung der gezahlten Prämien - ggf. unter Anrechnung eines Betrages für den Versicherungsschutz - und eine Nutzungsentschädigung. Sofern die Spezialregelungen nach Versicherungsvertragsgesetz (VVG) nicht eingreifen, ist im Hinblick auf die Rechtsfolgen auf die allgemeinen Regelungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) zurückzugreifen.

Der vorliegende Beitrag soll eine Übersicht über die Möglichkeiten liefern.

1. Verträge mit Vertragsabschluss zwischen 01.01.1991 und 28.07.1994

Für Vertragsabschlüsse zwischen dem 01.01.1991 und dem 28.07.1994 beurteilt sich die Widerrufsmöglichkeit nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. Danach kann ein Versicherungsvertrag innerhalb einer Frist von 10 Tagen ab Unterzeichnung des Versicherungsantrages noch schriftlich widerrufen werden. Maßgeblich für die Wahrung der Frist ist der Eingang der schriftlichen Widerrufserklärung bei dem Versicherer.

Dabei wird die Widerrufsfrist nur dann in Gang gesetzt, wenn eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung erfolgt ist. Hat der Versicherer keine Widerrufsbelehrung erteilt oder ist diese fehlerhaft, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, so dass der Versicherungsvertrag nach wie vor widerruflich ist ("ewiges" Widerrufsrecht). Für den Versicherungsnehmer lässt sich häufig nicht beurteilen, ob die Widerrufsbelehrung ordnungsgemäß im rechtlichen Sinne ist. In der Rechtsprechung sind vor allem solche Belehrungen beanstandet worden, die nicht in drucktechnisch deutlicher Weise gestaltet waren (BGH, Urteil vom 16.10.2013 - IV ZR 52/12 - Rdn. 14). Nach dem Bundesgerichtshof muss eine gesetzlich angeordnete Belehrung, damit sie ihren Zweck erreichen kann, inhaltlich möglichst umfassend, unmissverständlich und aus Sicht der Verbraucher eindeutig sein. Insbesondere muss sie eine Form aufweisen, die dem Aufklärungsziel Rechnung trägt. Deshalb kann nur eine Erklärung, die darauf angelegt ist, den Angesprochenen aufmerksam zu machen und das Wissen, um das es geht, zu vermitteln, als Belehrung angesehen werden. Es muss insbesondere eine drucktechnisch deutlich gestaltete Belehrung vorliegen (BGH, Urteil vom 16.10.2013 - IV ZR 52/12 - Rdn. 14). 

2. Verträge mit Vertragsabschluss zwischen 29.07.1994 und 31.12.1994

Sofern der Versicherungsnehmer den Versicherungsvertrag in der Zeit zwischen dem 29.07.1994 und dem 31.12.1994 abgeschlossen hat, gewährt das VVG dem Versicherungsnehmer nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. ein Rücktrittsrecht innerhalb von 14 Tagen.

Der seit dem 29.07.1994 ebenfalls gültige § 5 a VVG a.F. findet nach Art. 16 § 11 des Dritten Durchführungsgesetzes/EWG zum VAG vom 21. Juli 1994 keine Anwendung auf Versicherungsverträge, die bis zum 31. Dezember 1994 zu von der Aufsichtsbehörde genehmigten Versicherungsbedingungen abgeschlossen wurden (siehe unter 3.).    

Im Hinblick auf den Fristbeginn gilt auch hier wiederum: Die vierzehntägige Frist für den Rücktritt nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. beginnt nur dann zu laufen, wenn eine ordnungsgemäße Rücktrittsbelehrung erfolgt ist. Ansonsten besteht ein zeitlich unbegrenztes Rücktrittsrecht.

Entgegen dem Wortlaut der Vorschrift erlischt das Recht zum Rücktritt, sofern eine ordnungsgemäße Belehrung des Versicherungsnehmers unterbleibt, auch nicht einen Monat nach der Zahlung der ersten Prämie (§ 8 Abs. 5, S. 4 VVG a.F.). Nach der Rechtsprechung des IV. Zivilsenats des Bundesgerichtshofes ist diese Vorschrift richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, dass sie in dem Bereich der Lebens- und Rentenversicherungen und der Zusatzversicherung zur Lebensversicherung nicht gilt (BGH, Urteil vom 17.12.2014 - IV ZR 260/11 -). Ist demnach keine ordnungsgemäße Rücktrittsbelehrung erfolgt, besteht ein zeitlich unbeschränktes Rücktrittsrecht.

3.Verträge mit Vertragsabschluss zwischen 01.01.1995 und 31.12.2007

Für Verträge ab dem 01.01.1995 (bis zum 31.12.2007) ist unter Umständen auch ein Widerspruchsrecht gem. § 5 a Abs. 1 VVG a.F. eröffnet. Liegen deren Voraussetzungen vor, beurteilt sich die Rechtslage nach dieser Norm und nicht nach dem subsidiärem Rücktrittsrecht gem. § 8 Abs. 5 VVG a.F. (§ 8 Abs. 6 VVG a.F.). Nur wenn § 5 a VVG a.F. nicht einschlägig ist, greift das Rücktrittsrecht gem. § 8 Abs. 5 VVG a.F. 

  • 5 a VVG a.F. setzt voraus bzw. regelt den Fall, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10 a des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) unterlassen hat. Unter dieser Voraussetzung eröffnet § 5 a Abs. 1 VVG a.F. dem Versicherungsnehmer ein Widerspruchsrecht von 14 Tagen. Die Frist beginnt dann zu laufen, wenn dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein und die vorgenannten Unterlagen (Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformation nach § 10 a VAG) vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Unterbleibt dies, besteht ein "ewiges" Widerspruchsrecht.

Sind dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen und die Verbraucherinformationen nach § 10 a VAG übergeben worden, beurteilt sich die Rechtslage nach dem nachrangigen Rücktrittsrecht gem. § 8 Abs. 5 VVG a.F. Aber auch hier gilt, dass der Versicherungsnehmer innerhalb einer Frist von 14 Tagen (in der Fassung des Gesetzes bis zum 07.12.2004) bzw. von 30 Tagen (Fassung bis 31.12.2007) nach Abschluss des Vertrages vom Vertrag zurücktreten kann. Diese Frist beginnt nur dann zu laufen, wenn der Versicherer dem Versicherungsnehmer über sein Rücktrittsrecht belehrt und der Versicherungsnehmer die Belehrung durch Unterschrift bestätigt hat (vgl. auch BGH, Urteil vom 17.12.2014 - IV ZR 260/11 -).

Für Versicherungsverträge mit Verbrauchern, die unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln abgeschlossen worden sind (§ 48 a VVG a.F.), gilt seit dem 08.12.2004 zudem das Widerrufsrecht gem. § § 48 c Abs. 1 VVG a.F. Die Widerrufsfrist beträgt bei Lebensversicherungen 30 Tage. Die Frist beginnt dabei unter den in § 48 c Abs. 2 VVG a.F. näher geregelten Voraussetzungen, u.a. mit einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung. Steht dem Versicherungsnehmer ein Widerrufsrecht nach § 48 c VVG a.F. zu, finden die Regelungen in §§ 5 a, 8 Abs. 5 VVG a.F. keine Anwendung (§ 48 c Abs. 6 VVG a.F.).

4. Vertragsabschluss in der Zeit vom 01.01.2008 bis heute

Mit der Novellierung des VVG ist das Widerrufsrecht seit dem 01.01.2008 in § 8 Abs. 1 VVG geregelt. Der Versicherungsnehmer kann danach seine Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen (§ 152 Abs. 1 VVG) widerrufen. Auch hier gilt, dass die Widerrufsfrist nur dann zu laufen beginnt, wenn dem Versicherungsnehmer zuvor folgende Unterlagen in Textform zugegangen sind (§ 8 Abs. 2 VVG):

- der Versicherungsschein,

- die Vertragsbestimmungen einschließlich der Allgemeinen Versicherungsbedingungen,

- die weiteren Informationen nach VVG-InfoV,

- eine deutlich gestaltete Belehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs.

Hat der Versicherungsnehmer diese Unterlagen nicht erhalten oder ist die Belehrung nicht - ordnungsgemäß - erfolgt, beginnt die Widerrufsfrist nicht zu laufen, so dass der Widerruf auch heute noch erklärt werden kann.

Die Rechtsfolgen sind in §§ 9, 152 Abs. 2 VVG relativ kompliziert geregelt. Unter der Voraussetzung, dass der Versicherungsnehmer in der Belehrung auf sein Widerrufsrecht, die Rechtsfolgen des Widerrufs und den zu zahlenden Betrag hingewiesen worden ist und dieser zugestimmt hat, dass der Versicherungsschutz vor Ende der Widerrufsfrist beginnt, steht dem Versicherungsnehmer nur der auf die Zeit nach Zugang des Widerrufs entfallene Teil der Prämien sowie nach § 152 Abs. 2, S. 1 VVG der Rückkaufswert nebst der Überschussanteile zu. Der Versicherungsnehmer kann dabei, anders als bei einer vorzeitigen Kündigung des Vertrages, das ungezillmerte Deckungskapital ohne Verrechnung von Abschluss- und Vertriebskosten einschließlich etwaiger Überschussanteile verlangen. Beginnt der Versicherungsschutz nicht vor Ablauf der Widerrufsfrist oder hat der Versicherungsnehmer dem nicht zugestimmt, greifen die allgemeinen Rückabwicklungsvorschriften nach BGB (§§ 357 Abs. 1, S. 1 BGB a.F., §§ 346 ff. BGB). Der Versicherungsnehmer kann in diesem Fall insbesondere die gezahlten Prämien zurückverlangen.

Beginnt der Versicherungsschutz vor Ablauf der Widerrufsfrist und hat der Versicherungsnehmer dem zugestimmt, sind aber die vorgenannten Hinweise (Hinweis auf Widerrufsrecht, Rechtsfolgen des Widerrufs und zu zahlenden Betrag) unterblieben, kann der Versicherungsnehmer statt des Rückkaufswertes nebst Überschussanteile - sofern für ihn günstiger - die für das erste Jahr des Versicherungsschutzes gezahlten Prämien zurück verlangen. Daneben hat er - wie im erstgenannten Fall - einen Anspruch auf Rückzahlung der nach dem Widerruf gezahlten Prämien. Soweit jedenfalls der Gesetzeswortlaut.

Diskutiert wird in diesem Zusammenhang die Richtlinienwidrigkeit dieser Vorschrift, da es Art. 7 Abs. 1, 3, 4 Fernabsatz-RiLi II dem Versicherer verbietet, Zahlungen des Versicherungsnehmers zu behalten, wenn er nicht über den zu zahlenden Betrag belehrt hat (vgl. Looschelders/Heinig, in: Looschelders/Pohlmann (Hrsg.), VVG, § 9, Rdn. 30; Armbrüster, in: Prölls/Martin (Hrsg.), VVG, § 9, Rdn. 28).

5. Keine vollständige Leistungserbringung vor dem 01.01.2003 bei Widerruf nach § 8 Abs. 4 VVG a.F. 

Liegt eine vollständige Leistungserbringung vor dem 01.01.2003 vor, weil etwa bereits der Rückkaufswert ausgezahlt worden ist, besteht die Widerrufsmöglichkeit nach § 8 Abs. 4 Satz 1 VVG a.F. (in der Fassung vom 01.01.1991 bis zum 28.07.1994) nicht mehr. Die Rechte erlöschen in diesem Fall analog § 7 Abs. 2 S. 3 Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) bzw. § 2 Abs. 1 S. 2 Haustürwiderrufsgesetz (HWiG). 

Im Anwendungsbereich des § 5 a VVG a.F. ist eine vollständige Leistungserbringung dagegen in jedem Fall unschädlich (BGH, Urteil vom 27.01.2016 - IV ZR 488/14 -).

 6. Kündigung bereits erfolgt

Grundsätzlich gilt, dass eine bereits erfolgte Kündigung den späteren Widerspruch, Widerruf oder Rücktritt nicht ausschließt. Die rechtliche Prüfung macht gerade auch in diesen Fallkonstellationen Sinn.

7. Fazit

Besteht ein Rücktritts-, Widerspruchs- oder Widerrufsrecht, so kann dieses dem Versicherungsnehmer einen vergleichsweise zur Kündigung der Lebens- und Rentenversicherung wirtschaftlich vorteilhafteren Rückabwicklungsanspruch eröffnen. 

Wie sich aus der Darstellung ergibt, ist die Rechtslage jedoch relativ kompliziert und für den Laien kaum zu durchschauen. HAHN Rechtsanwälte bietet deshalb in diesem Bereich einen kostenfreien Erstcheck an. Bei Interesse senden Sie bitte eine E-Mail an info@hahn-rechtsanwaelte.de unter dem Stichwort "kostenfreier Versicherungscheck".