Beamtenversorgungsrecht: Wann ist die gesetzliche Vermutung einer sog. Versorgungsehe ausgeschlossen?

Staat und Verwaltung
03.01.20102433 Mal gelesen
Das OVG Lüneburg hat in einem Beschluss vom 21.12.2009 (5 LA 481/08) entschieden, dass die Vermutung einer sog. Versorgungsehe nach den Umständen des Einzelfalles dann als widerlegt angesehen werden kann, wenn die Heirat im Zeitpunkt einer überwunden geglaubten lebensbedrohlichen Erkrankung erfolgt ist.
 
Nach der gesetzlichen Bestimmung des § 19 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BeamtVG ist die Zahlung von Witwengeld grundsätzlich ausgeschlossen, wenn die Ehe mit dem verstorbenen Beamten nicht mindestens ein Jahr gedauert hat. Es wird von Gesetzes wegen vermutet, dass durch die Heirat beabsichtigt war, der Witwe eine beamtenrechtliche Versorgung zu sichern. Deshalb wird es dem Dienstherrn auch im Rahmen der grundsätzlichen Alimentationspflicht nicht zugemutet wird, der Witwe Versorgungsleistungen zu gewähren. Die Witwe kann diese gesetzliche Vermutung jedoch widerlegen. Die Vermutung ist widerlegt, wenn nach den besonderen Umständen des jeweiligen Einzelfalls die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Die gesetzliche Vermutung ist entkräftet, wenn besondere, nach außen erkennbare Umstände vorliegen, wonach ein anderer Zweck der Eheschließung mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie der Versorgungszweck. Dazu genügt in der Regel, dass unter den Beweggründen jedenfalls eines der Ehegatten die Versorgungsabsicht keine maßgebliche Bedeutung hatte.
 
Die Beweislast dafür trifft die Witwe. Es genügt, wenn die Annahme, die Versorgungsabsicht sei der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat gewesen, ausgeräumt wird. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Kenntnis einer lebensbedrohlichen Erkrankung des künftigen Ehepartners von entscheidender Bedeutung für die Widerlegbarkeit der gesetzlichen Vermutung, die Eheschließung diene hauptsächlich der Versorgung (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.4.1991 - 2 C 7.90 -, Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 230; B.v. 2.10.2008 - 2 B 7.08; B.v. 19.1.2009 - 2 B 14.08 ). Es ist aber nicht in jedem Falle ausschlaggebend, wie schwer der Beamte im Zeitpunkt der Eheschließung erkrankt war. Denn nicht in allen Fällen, in denen der Beamte bei der Heirat schwer krank und dies den Eheleuten im Zeitpunkt der Eheschließung bzw. des Heiratsentschlusses bekannt ist, muss der Versorgungszweck alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat sein. Auch in diesen Fällen können andere "einigermaßen wirklichkeitsnahe" Beweggründe für die Heirat im Vordergrund stehen. 
 
In dem entschiedenen Fall hatte das Gericht keine Zweifel, dass nach den besonderen Umständen des vorliegenden Einzelfalls dass der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat nicht darin bestand, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Die besonderen Umstände bestehen hier darin, dass die Klägerin vorgetragen hat, die Heirat sei im Zeitpunkt einer überwunden geglaubten lebensbedrohlichen Erkrankung erfolgt. Der behandelnde Arzt Dr. B. habe vor der Hochzeit erklärt, dass einer vollständigen Heilung des verstorbenen Beamten nichts im Wege stehe. Nach der Überzeugung des Gerichts ist es rechtlich auch unerheblich, ob sich das Verwaltungsgericht bei der Auslegung der vom Klinikum angeführten Diagnose "Vollremission nach 3 Zyklen Chemotherapie" allein auf die Enzyklopädie "Wikipedia" hat stützen dürfen. Denn maßgeblich ist, wie die Klägerin und der verstorbene Beamte die ärztliche Diagnose und die ihnen seitens der behandelnden Ärzte gegebenen  Erläuterungen verstanden hatten. Die Klägerin hatte zu ihrem Vortrag, der behandelnde Arzt Dr. B. habe vor der Hochzeit erklärt, dass einer vollständigen Heilung nichts im Wege stehe, eine Bescheinigung des Arztes Dr. B. vom 16. Oktober 2006 vorgelegt. Hierin hat dieser ausgeführt, dass nach der Einleitung der Chemotherapie angesichts des lokalisierten Stadiums des Non-Hodgkin-Lymphoms "eine gute Heilungschance" bestanden habe. In seiner ergänzenden Bescheinigung vom 22. Januar 2007 hat Dr. B. ausgeführt, dass zum Zeitpunkt des Abschlusses der Chemotherapie Anfang Mai 2006 "der klinische Eindruck einer Vollremission" bestanden habe, was bedeute, dass "der Tumor vollständig verschwunden" gewesen sei. Zu dem Zeitpunkt habe der "Eindruck einer möglichen Heilung der Erkrankung" bestanden. In der Bescheinigung vom 22. Januar 2007 heißt es weiter, "aufgrund des hervorragenden Ansprechens des Lymphdrüsenkrebses auf die Chemotherapie und der klinisch nicht mehr nachweisbaren Tumormanifestation" habe im Mai 2006 "die Möglichkeit einer vollständigen Heilung der Erkrankung" bestanden, "da es sich nach primärer Einschätzung um ein lokalisiertes Stadium des Krebses" gehandelt habe. Schließlich heißt es in der Bescheinigung vom 22. Januar 2007, die hochdramatische Verschlechterung des Gesundheitszustandes des verstorbenen Beamten sei zum Zeitpunkt der Hochzeit nicht abzusehen gewesen. Die Erklärungen des Arztes durften die Klägerin und der verstorbene Beamte nach dem Verlauf der Behandlungen bei verständiger Würdigung dahingehend verstehen, dass es gelungen war, das Stadium der Lebensbedrohlichkeit der Erkrankung zu überwinden. Angesichts dieser besonderen Umstände des vorliegenden Einzelfalls kann die Beklagte dem Verwaltungsgericht nicht mit Erfolg entgegenhalten, es habe rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Ehe jedenfalls nicht in überwiegender Versorgungsabsicht geschlossen worden sei. Aus dem Umstand, dass die Klägerin und der verstorbene Beamte noch im Mai 2006 Neuanschaffungen für das lediglich zu eigenen Zwecken genutzte Ferienhaus getätigt und anlässlich der in kleinerem Rahmen durchgeführten Hochzeitsfeier mit einem Gastwirt die Konditionen für ein späteres größeres Hochzeitsfest besprochen haben, lassen sich ebenfalls gewichtige Indizien dafür ableiten, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen.  Ein beachtliches Indiz gegen die Annahme eines ausschließlichen oder überwiegenden Versorgungszwecks zum Zeitpunkt der Eheschließung ist schließlich auch die Tatsache, dass die Klägerin und der verstorbene Beamte nicht etwa überstürzt im Anschluss an die im Februar 2006 gestellte Diagnose geheiratet haben, sondern erst drei Monate später, nachdem ihnen der behandelnde Arzt die dargestellten Behandlungserfolge mitgeteilt hatte.
 
 

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