Beratungshilfe spielt gerade im Familienrecht eine große Rolle. Im Spannungsfeld zwischen gesetzlicher Verpflichtung zum tätig werden für den mittellosen Mandanten und damit verbundener Abhängigkeit von staatlichen Stellen hinsichtlich der Vergütung erlebt der Rechtsanwalt hin und wieder Überraschungen. Gleich zwei solcher Überraschungen lieferte das Amtsgericht Hagen im Abstand von nur sechs Monaten:
Fall 1: Im ersten Fall (AG Hagen, Beschluss vom 09.10.2003 - 20 II 612/02) erteilte das Amtsgericht Hagen einem Rechtsuchenden einen "Berechtigungsschein für Beratungshilfe" gem. § 6 Abs. 1 BerHG für ein - wie die Eintragung lautete - "Verfahren bzgl. des BAFöG". Seine Tätigkeit liquidierte der Rechtsanwalt gegenüber der Staatskasse. Im Rahmen des Festsetzungsverfahrens stellte das Amtsgericht nunmehr fest, dass der Rechtsuchende über ein Vermögen von mehr als 5.000 € verfügte. Daraufhin legte der Bezirksrevisor als Vertreter der Staatskasse (trotz fehlender gesetzlicher Ermächtigung (aus der Neufassung von § 24a RPflG, die für die Beratungshilfe die Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 1 RPflG ausschließt, dürfte sich ergeben, dass der Gesetzgeber für diesen Fall einen Rechtsbehelf nunmehr ausschließt!) Erinnerung gegen die die Beratungshilfe gewährende Entscheidung ein, in deren Folge der Berechtigungsschein aufgehoben und der Liquidationsantrag zurückgewiesen wurden. Die dagegen eingelegte Beschwerde wies das Amtsgericht mit folgender Begründung als unbegründet zurück:
Zwar regele das Gesetz die Entziehung einmal gewährter Beratungshilfe wegen ursprünglicher oder nachträglicher Unrichtigkeit der Bewilligungsentscheidung nicht. Da es sie aber auch nicht ausschließe, seien die allgemeinen Vorschriften über die Abänderung von Entscheidungen gem. den §§ 5 BerHG i. V. m. 18 FGG anzuwenden. Die Aufhebung von Anfang an unrichtiger Entscheidungen bewege sich im Spannungsfeld zwischen dem staatlichen Interesse an der Leistungsgewährung nur aufgrund richtiger Entscheidungen einerseits und dem Vertrauensschutz der Begünstigten andererseits. Beruhe die Unrichtigkeit auf vom Gericht zu vertretenen Umständen, genieße der Vertrauensschutz Vorrang. Bei falschen Angaben des Rechtsuchenden jedoch könne kein Vertrauensschutz beansprucht werden. Auch im Falle des objektiven nicht Vorliegens der persönlichen und wirtschaftlichen Bewilligungsvoraussetzungen könne das Interesse an der Richtigkeit Vorrang vor dem Vertrauensschutz beanspruchen (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, Seite 300 (Vom AG wörtlich zitiert, in der aktuellen 4. Auflage allerdings S. 384).
Der Antragsteller verfüge hier über 5.000 € und damit über einen Betrag, der es ihm ohne weiteres erlaube, diesen für seine Rechtsberatung aufzuwenden. Ein möglicherweise entstandenes Vertrauen auf den Bestand des Berechtigungsscheins insbesondere durch den Verfahrensbevollmächtigten habe gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit zurückzutreten, nur denjenigen finanzielle Unterstützung zu gewähren, die bedürftig seien.
Fall 2: Auch im zweiten Fall (AG Hagen, Urteil vom 09.04.2003 - 18 C 562/02) erteilte das Amtsgericht Hagen der Rechtsuchenden einen Berechtigungsschein. Im Laufe der Vertretung stellte die Verfahrensbevollmächtigte fest, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Beratungshilfe von Anfang an nicht vorgelegen hatten. Nach Erledigung des Mandats rechnete sie ihre Gebühren nach § 118 Abs. 1 BRAGO gegenüber der Rechtsuchenden ab. Die nach Ausbleiben der Zahlung erhobene Gebührenklage wies das Amtsgericht ab:
Die Rechtsuchende habe bei ihrem ersten Besuch bei der Verfahrensbevollmächtigten den Beratungshilfeschein vorgelegt und damit klargestellt, dass die Beratung im Rahmen der Beratungshilfe in Anspruch genommen werde. Eine Abrechnung über den Umfang des § 8 Abs. 1 BerHG hinaus könne daher gegenüber der Rechtsuchenden wegen § 8 Abs. 2 BerHG nicht erfolgen.
Dies gelte auch für den Fall, dass sich im Rahmen der Beratung das tatsächliche Fehlen der Bedürftigkeit herausstelle. Die wirtschaftlichen Verhältnisse seien vom Antragsteller glaubhaft zu machen und vom Amtsgericht zu überprüfen. Die Überprüfung der Voraussetzungen für die Leistungsbewilligung aus öffentlichen Mitteln obliege allein dem Amtsgericht. Der Rechtsanwalt, der das Mandat auf der Grundlage der Beratungshilfe angenommen habe, sei an das Ergebnis dieser Überprüfung und die Entscheidung des Amtsgerichts gebunden; die Möglichkeit einer darüber hinausgehenden eigenständigen Prüfung bestehe nicht. Daher richte sich der Gebührenanspruch des Rechtsanwalts gegen den Mandanten ausschließlich nach § 8 BerHG.
Die Folgen: Beiden Fällen ist gemeinsam, dass das Amtsgericht einen Berechtigungsschein ausgestellt hat, obwohl in beiden Fällen die wirtschaftlichen Voraussetzungen von Anfang an nicht vorlagen, sei es infolge unzureichender sachlicher Überprüfung (im ersten Fall ergab sich das Vorliegen des Vermögens bereits aus dem vorgelegten BAFöG-Bescheid!) oder falscher Angaben des Rechtsuchenden. Während der Verfahrensbevollmächtigte im ersten Fall im Vertrauen auf den Bestand des Berechtigungsscheins seine Leistung erbracht und die sich daraus ergebenden Gebühren gegenüber der Staatskasse abgerechnet hat, stellte die Verfahrensbevollmächtigte im zweiten Fall das Fehlen der wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Erteilung des Berechtigungsscheins selbst fest und der Rechtsuchenden die gesetzlichen Gebühren unmittelbar in Rechnung. Eine dem entsprechende eigene Überprüfungskompetenz spricht das Amtsgericht der Verfahrensbevollmächtigten im zweiten Fall jedoch ohne weiteres ab, obwohl die Entscheidung im ersten Fall ein "staatliches Interesse an der Leistungsgewährung nur aufgrund richtiger Entscheidungen" sogar ausdrücklich hervorgehoben hat. Kraft Gesetzes jedoch trägt der Rechtsanwalt sein Gebührenrisiko nur nach § 7 BerHG, und zwar in dem Fall, dass die Angaben des Rechtsuchenden über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem Rechtsanwalt nicht zutrafen (Schoreit/Dehn: Beratungshilfe - Prozesskostenhilfe, 7. Aufl., Rn 3 zu § 7 BerHG).
Das Problem: Ist das Vertrauen in den Bestand des Berechtigungsscheins geschützt?
1. Dies ist ohne weiteres der Fall, wenn die Aufhebung des einmal erteilten Berechtigungsscheins aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch umstritten:
a) Z. T. wird vertreten, dass die Aufhebung des einmal erteilen Berechtigungsscheins gesetzlich nicht vorgesehen und damit von vornherein ausgeschlossen ist (Schoreit/Dehn aaO, Rn 6 zu § 6 BerHG m. w. N.). Diese Auffassung wird damit begründet, dass eine Aufhebungsmöglichkeit zwar im Regierungsentwurf als § 6 Abs. 4 BerHG vorgesehen, jedoch nicht in die endgültige Fassung des Gesetzes übernommen wurde.
b) Die Gegenmeinung (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rn 988 ff. m. w. N.) stellt darauf ab, dass das Gesetz die Entziehung der gewährten Beratungshilfe zwar nicht regele, jedoch auch nicht ausdrücklich ausschließe. Daher seien über § 5 BerHG die allgemeinen Vorschriften über die Abänderung von Entscheidungen gem. § 18 FGG anwendbar.
Bereits der Ansatz der Gegenmeinung ist verfehlt, denn das Gesetz regelt die Entziehung des Berechtigungsscheins bei Licht besehen eben doch: Wenn die Möglichkeit der Entziehung des Berechtigungsscheins im Regierungsentwurf noch vorgesehen war und dennoch nicht in die endgültige Gesetzesfassung übernommen wurde, darf von einem sog. "beredten Schweigen" des Gesetzgebers ausgegangen werden mit der Folge, dass auch nicht über den Verweis in § 5 BerHG auf die FGG-Bestimmungen abgestellt werden darf, denn dieser Verweis gilt ausdrücklich nur "soweit in diesem Gesetz nichts anders bestimmt ist". Daher darf festgehalten werden, dass das Gericht jedenfalls nicht über §§ 5 BerHG, 18 FGG zur Aufhebung des einmal erteilen Berechtigungsscheins (FGG-Terminologie: nachträglichen Änderung seiner einmal erlassenen Verfügung) berechtigt ist. Das Vertrauen des Rechtsanwalts in den Bestand des Berechtigungsscheins ist damit grundsätzlich geschützt.
2. Anerkannt ist hingegen, dass zwischen dem staatlichen Interesse an ausschließlich rechtmäßiger Leistungsgewährung einerseits und dem Vertrauensschutz der Begünstigten andererseits ein "Spannungsfeld" existiert (so ausdr. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO, Rn 989, ohne allerdings klarzustellen, ob auch der Rechtsanwalt zum Kreis "der Begünstigten" zählt). Fraglich ist daher, welche Einschränkungen dieser Grundsatz in Fällen unrechtmäßiger Leistungsgewährung erfährt. Dabei wird zu unterscheiden sein, aus welchen Gründen sich die staatliche Leistungsgewährung letztlich als unrechtmäßig darstellt. Hier sind im wesentlichen drei Fälle zu unterscheiden:
a) Zunächst die Erteilung eines Berechtigungsscheins trotz fehlender Voraussetzungen aus Gründen, die vom Gericht zu vertreten sind. Hierzu rechnen namentlich Fälle unzureichender Sachaufklärung durch das Gericht (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO, Rn 989). Insoweit wird der Vertrauensschutz ohne weiteres als vorrangig betrachtet (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO; Schoreit/Dehn aaO, Rn 6 zu § 6 BerHG). Dieser Auffassung ist fraglos zuzustimmen; sie bewahrt den Anwalt insbesondere davor, Leistungen im Vertrauen auf eine staatliche Vergütungszusage zu erbringen, ohne diesen Anspruch aus Gründen zu verlieren, die sich vollständig seiner Einwirkung entziehen. Leider schweigt sich das Amtsgericht im ersten Fall über die Hintergründe aus, die zur Aufhebung des bereits erteilten Berechtigungsscheins geführt haben.
b) Umstritten jedoch ist der Fall, in dem der Rechtsuchende bei der Beantragung des Berechtigungsscheins falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat:
aa) Insoweit wird vertreten, dass der Rechtsanwalt seinen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse auch dann nicht verliert, wenn der Rechtsuchende seinen Berechtigungsschein erschlichen hat, weil er sich auf die Erteilung des Berechtigungsscheins verlassen könne (Schoreit/Dehn aaO m. w. N.; jedenfalls dann, wenn der Rechtsanwalt dies nicht erkennen konnte!). Nach dieser Auffassung ist das Vertrauen des Anwalts in den Bestand des Berechtigungsscheins selbst dann geschützt, wenn sogar vorsätzlich falsche Angaben des Rechtsuchenden zur Erteilung des Berechtigungsscheins geführt haben.
bb) Nach der Gegenmeinung soll in solchen Fällen eine Aufhebung des Berechtigungsscheins möglich sein (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO). Zur Begründung werden die Rechtsgedanken aus § 124 Abs.1 Ziff. 1 - 3 ZPO herangezogen. Die Folge ist, dass der Rechtsanwalt seine volle Leistung erbringen muss (Vgl. § 49a BRAO), ohne im Ergebnis die dafür vorgesehene gesetzliche Vergütung zu erhalten, obwohl ihm die Angaben des Rechtsuchenden gegenüber dem Gericht völlig unbekannt sind (was der Regelfall sein dürfte).
Auch hier ist die Gegenmeinung abzulehnen, denn sie verkennt bereits, dass der Berechtigungsschein gegenüber dem Anwalt als Nachweis für die Berechtigung zur Inanspruchnahme der Beratungshilfe für diese Angelegenheit dient (so selbst Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO, Rn 982). Für den Anwalt ist es die grundsätzliche Garantie (!) der Landeskasse, für die bezeichnete Angelegenheit die gesetzliche Vergütung zu zahlen (Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO). Außerdem wird durch die analoge Anwendung § 124 ZPO der insbesondere im Rahmen der Beratungshilfe erforderliche Vertrauensschutz vernachlässigt (Schoreit/Dehn aaO). Immerhin ist der Anwalt durch die gesetzlichen Bestimmungen zum tätig werden gezwungen!
Nachdem das Vertrauen des Rechtsanwalts in den Bestand des einmal erteilten Berechtigungsscheins in den vorstehenden Fällen geschützt ist, darf angenommen werden, dass er - sozusagen als Pendant - insoweit auch an die Entscheidung des Rechtspflegers gebunden ist und ihm daher keine eigene Überprüfungskompetenz zusteht. Es ergibt keinen Sinn, ihm einerseits die gesetzliche Vergütung von Staats wegen zu garantieren und andererseits noch die Möglichkeit zu eröffnen, die Anspruchsvoraussetzungen für die Inanspruchnahme von Beratungshilfe in eigener Verantwortung zu prüfen. Insoweit ist dem Amtsgericht in seiner zweiten Entscheidung beizupflichten.
3. Fraglich kann daher nur noch sein, ob dies auch dann gilt, wenn der Rechtsanwalt erkennt oder vorwerfbar nicht erkennt, dass die Gewährung von Beratungshilfe bei ordnungsgemäßer Erklärung des Rechtsuchenden per se ausgeschlossen war. Sofern der Rechtsanwalt anlässlich der Beratung Umstände positiv erkennt oder grob fahrlässig nicht erkennt, die eine rechtmäßige Gewährung von Beratungshilfe von vornherein ausschließen, wird eine Bindung an die Entscheidung des Rechtspflegers allgemein verneint, entweder in analoger Anwendung von § 124 ZPO (so Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs aaO, Rn 989, die dem Interesse an der Richtigkeit den Vorrang vor dem Vertrauensschutz einräumen) oder mit Rücksicht auf den Rechtsgedanken des § 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG (so Schoreit/Dehn aaO m. w. N.). Beide Meinungen führen insoweit zu demselben Ergebnis. Sofern diese Umstände in falschen Angaben des Rechtsuchenden bestehen, wird darüber hinaus bereits das Entstehen einer Beratungspflicht des Anwalts verneint und ihm nach allgemeinen Grundsätzen ein Leistungsverweigerungsrecht eingeräumt (so Schoreit/Dehn aaO). Dies bewahrt ihn gleichzeitig vor dem Dilemma, entweder den von seinem Mandanten beim Rechtspfleger erregten Irrtum unterhalten oder ungefragt die eine Gewährung von Beratungshilfe verbietenden Umstände offenbaren zu müssen.
Zu Fall 1: Die Entscheidung ist in dieser Form rechtsfehlerhaft. Da der Berechtigungsschein einen Justizverwaltungsakt darstellt, ist die Heranziehung der Rechtsgedanken aus § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG näher liegend (so zu Recht OLG Düsseldorf AnwBl 1991, 409). Damit ist hinsichtlich des Vertrauensschutzes darauf abzustellen, ob der Anwalt die Unrichtigkeit des Berechtigungscheins erkannt hat bzw. erkennen konnte oder nicht. Da sich das Vorhandensein des Vermögens bereits aus dem anzufechtenden BAFöG-Bescheid ergab, war die Rechtswidrigkeit des Berechtigungsscheins für den Anwalt zwar ersichtlich. Jedoch hätte sich das Amtsgericht angesichts eigenen und mindestens gleichwertigen Verschuldens mit Ermessenserwägungen für und gegen eine Rücknahme des Berechtigungscheins beschäftigen müssen. Solche Erwägungen fehlen indes völlig, die Entscheidung ist somit jedenfalls ermessensfehlerhaft.
Zu Fall 2: Diese Entscheidung ist dann rechtmäßig, wenn die Rechtsanwältin die Rechtswidrigkeit des Berechtigungsscheins bereits bei Annahme des Mandats positiv erkannt hat. In diesem Fall wäre keine Verpflichtung zur Beratung entstanden, sie hätte sich vielmehr auf ein Leistungsverweigerungsrecht berufen können. Sofern sie hingegen die Rechtswidrigkeit des Berechtigungsscheins erst nach Aufnahme ihrer Tätigkeit erkannt hat und vorher auch nicht erkennen musste, war ihr Vertrauen in den Bestand des Berechtigungsscheins geschützt.
09.12.20074469 Mal gelesen