Unfallflucht: Leistungsfreiheit und Regress im Kfz-Haftpflicht- und Kaskoschadenfall

Autounfall Verkehrsunfall
27.08.20076267 Mal gelesen
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Unfallflucht, Leistungsfreiheit und Regress
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1. Die Verletzung des § 142 StGB (Unfallflucht) stellt in der
Kaskoversicherung auch bei eindeutiger Haftungslage eine Verletzung der
Aufklärungsobliegenheit dar.

2. Eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit ist nicht gegeben, wenn
es sich um einen sog. Alleinunfall oder einen Unfall mit einem völlig
belanglosen Fremdschaden handelt (Obergrenze etwa 20 EUR).

3. Für die Klagefrist nach § 12 Abs. 3 VVG ist auf die endgültige
Ablehnung mit Schreiben aus dem betreffenden Versicherungsvertrag
abzustellen.

so OLG Brandenburg 14.09.06, 12 U 21/06

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Sachverhalt und Entscheidungsgründe:
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VN nimmt VR auf Kaskoentschädigung in Anspruch. Er unterhielt für
seinen sicherungsübereigneten Pkw eine Kfz-Haftpflicht- und
Vollkaskoversicherung. Bei einem Unfall wurde der Pkw und ein Baum
(Schaden ca. 200 EUR) beschädigt. VN beging Unfallflucht. VR lehnte
zunächst mit Schreiben vom 01.09.04 Versicherungsschutz bis 5.000 EUR
ab und kündigte Regress nach § 3 Nr. 9 KfzPflVG an. Mit Schreiben vom
26.10.04 lehnte VR Entschädigung aus der Kaskoversicherung wegen
Unfallflucht ab. Beide Schreiben wiesen auf § 12 Abs. 3 VVG hin. VN
reichte am 26.04.05 Klage auf Kaskoentschädigung ein, die am 09.05.05
zugestellt wurde. Den Gerichtskostenvorschuss hatte er am 13.04.05
gezahlt. Das LG hat der Klage stattgegeben.

Die Berufung des VR hatte Erfolg. Zwar ist die Klagefrist nach § 12
Abs. 3 VVG
gewahrt. Abzustellen ist auf das Schreiben des VR vom
26.10.04, mit dem der Anspruch auf Kaskoentschädigung abgelehnt worden
ist. Das Schreiben vom 01.09.04 betrifft die
Kfz-Haftpflichtversicherung.

Dem VN steht jedoch kein Anspruch auf Kaskoentschädigung zu. Der VR
ist wegen Obliegenheitsverletzung des VN leistungsfrei. Die Verletzung
des § 142 StGB ist eine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit (§ 7 I
Abs. 2 S.3 AKB). Eine Verletzung entfällt lediglich bei einem sog.
Alleinunfall oder einem Unfall mit völlig belanglosem Fremdschaden.
Dort wird die Obergrenze bei ca. 20 EUR angesetzt. Hier waren es jedoch
ca. 200 EUR.

Die Vorsatzvermutung des § 6 Abs. 3 VVG ist vom VN nicht widerlegt.
Entgegen dem LG ist die Frage, ob es sich hier um eine besonders
schwerwiegende Verletzung der Aufklärungspflicht handelt, in der
Kaskoversicherung ohne Belang. Sie hat nur in der
Kfz-Haftpflichtversicherung Bedeutung.

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Praxishinweis
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Bei der Frage, welches Ablehnungsschreiben die Klagefrist für die
vorliegende Kasko-Klage in Lauf gesetzt hat, ist das OLG zutreffend von
dem Schreiben vom 26.10.04 ausgegangen. Für § 12 Abs. 3 VVG
entscheidend ist die endgültige Ablehnung des vom VN erhobenen
Anspruchs aus dem betreffenden Versicherungsvertrag. Hierbei wird nicht
selten übersehen, dass es sich bei der Kfz-Haftpflicht und der
Kfz-Kasko jeweils um rechtlich selbständige Versicherungsverträge
handelt, auch wenn sie zumeist in derselben Police aufgeführt sind.

Im Schreiben vom 01.09.04 war zur Kaskoentschädigung lediglich
mitgeteilt worden, dass eine Regulierungszusage wegen des laufenden
Ermittlungsverfahrens noch nicht abgegeben werden könne. Es handelte
sich mithin nicht um eine die Folgen des § 12 Abs. 3 VVG auslösende
endgültige Leistungsablehnung. Diese ist erst durch das Schreiben vom
26.10.04 erfolgt.

Die Unfallflucht stellt auch bei eindeutiger Haftungslage eine
Verletzung der Aufklärungsobliegenheit dar (BGH r s 00, 94 = VersR 00,
222). Das sind die Fälle, in denen die Mitverursachung eines
Kaskoschadens durch einen Dritten ausscheidet. Für den Kasko-VR besteht
auch dann ein Aufklärungsinteresse, ob er gegen den VN z. B.
Leistungsfreiheit wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des
Versicherungsfalles geltend machen kann (§ 61 VVG).

Keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit hingegen liegt vor beim
Alleinunfall oder völlig belanglosem Fremdschaden, wenn mit der
Geltendmachung durch Dritte vernünftigerweise nicht zu rechnen ist. Zur
Obergrenze gibt es unterschiedliche Auffassungen. Jedenfalls handelt es
sich bei einer Schadenhöhe über 100 EUR nicht mehr um einen
belanglosen Fremdschaden (OLG Hamm NJW-RR 93, 101 = r s 93, 4).

Keine Verletzung der Aufklärungsobliegenheit liegt ebenfalls vor, wenn
das vom VN gefahrene Kfz unter Eigentumsvorbehalt steht oder
sicherungsübereignet ist. Dasselbe gilt bei Leasingfahrzeugen. Kein
Fremdschaden, wenn der Leasingnehmer als Unfallfahrer für jeden Schaden
am Fahrzeug, auch für Zufall, nach dem Vertrag einzustehen hat und nur
das Leasingfahrzeug beschädigt wird (OLG Hamm r s 97, 448 = VersR 98,
311).

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CHECKLISTE
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Die Rechtsfolgen von Obliegenheitsverletzungen nach § 2 b AKB (vor dem
Versicherungsfall) und § 7 AKB (nach dem Versicherungsfall) sind für
die Kfz-Haftpflicht- und die Kfz-Kaskoversicherung unterschiedlich
geregelt. Dies wird gelegentlich übersehen. Nachfolgende Checkliste
stellt aus Gründen der Übersichtlichkeit nur die Grundsätze und
häufigsten Fallgestaltungen nochmal dar:

in der HAFTPFLICHT:

Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall
§ 6 Abs. 1, Abs. 2 VVG; § 2b Abs. 2 S. 1 AKB;
§ 5 Abs. 3 S. 1 KfzPflVV
Folge: Leistungsfreiheit bis 5.000 EUR

Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall
§ 7 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 AKB; § 6 Abs. 1 KfzPflVV
Folge: Leistungsfreiheit bis 2.500 EUR

Bei vorsätzlicher, besonders schwerwiegender Verletzung der
Aufklärungs- oder Schadenmin-derungspflicht

§ 7 V Abs. 2 S. 2 AKB; & 6 Abs. 3 KfzPflVV
Folge: Leistungsfreiheit bis 5.000 EUR

in der KASKO:

Obliegenheiten vor dem Versicherungsfall
§ 6 Abs. 1, Abs. 2 VVG
Folge: Völlige Leistungsfreiheit

Obliegenheiten nach dem Versicherungsfall
§ 7 V Abs. 4 AKB; § 6 Abs. 3 VVG;
evtl. Relevanzrechtsprechung

Bei vorsätzlicher, besonders schwerwiegender Verletzung der
Aufklärungs- oder Schadenminderungspflicht

Folge: Völlige Leistungsfreiheit