Auch bei Ordnungswidrigkeiten muss die Entnahme einer Blutprobe vom Richter angeordnet werden

Auch bei Ordnungswidrigkeiten muss die Entnahme einer Blutprobe vom Richter angeordnet werden
04.09.20125840 Mal gelesen
Beruht die Anordnung einer Blutentnahme durch die Polizeibeamten auf einem besonders schwerwiegenden Fehler, weil sie auf einer groben Verkennung der Zuständigkeitsvorschriften beruht, wiegt sie ebenso schwer wie die willkürliche Ignorierung des Richtervorbehalts und führt zum Beweisvwertungsverbot.

Das besagt ein Urteil des Amtsgerichts Kempten vom12.07.2012

Erst am 28.12.2011 hatte das Amtsgericht Nörtlingen (Urteil vom 28.12.2011, Az.: 5 OWi 605 Js 109117/11) in einem anderen Fall einen Autofahrer wegen einer Zuwiderhandlung gem. § 24a StVG freigesprochen, weil die Polizei vor der Anordnung einer Blutentnahme wegen Verdachts auf Drogenkonsum auf die Einholung einer richterlichen Genehmigung verzichtet hatte, da sie in solchen Fällen generell von Gefahr in Verzug ausgegangen war. Auch hierin hatten die Richter einen derart schwerwiegenden Verfahrensfehler gesehen, dass sie wegen Verletzung von § 81 a Strafprozessordnung die Blutprobe nicht als Beweis gegen den Betroffenen zugelassen haben.

Hier ging das Amtsgericht Kempten von einem Beweisverwertungsverbot der auf Anordnung der Polizei beim Betroffenen entnommenen Blutprobe aus.

Deshalb hatte einen Mann vom Vorwurf freigesprochen ein Kraftfahrzeug mit einer Alkoholmenge im Körper geführt zu haben, die eine Alkoholmenge von 0,5 Promille oder mehr entsprach (§ 24a StVG, bedroht mit 500 ? Geldbuße und einen Monat Fahrverbot bei Ersttätern).  

Gegen 19.30 Uhr lies die Polizei den Betroffenen bei einer freiwillige Atemalkoholkontrolle mittels eines nicht gerichtsverwertbaren Tests ins Röhrchen blasen. Dieser Test ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0,37 mg/l. Auf weitere Nachfrage stimmte der Betroffene einer gerichtsverwertbaren Atemalkoholkontrolle mittels eines gerichtsverwertbaren Alkoholtests zu, weshalb die kontrollierenden Beamten mit dem Betroffenen zu ihrer Dienststelle in fuhren. Nach einer Wartezeit von 20 Minuten begehrte der Betroffene ein Telefonat mit seinem Verteidiger, welches ihm bewilligt wurde. Nach dem Gespräch mit dem Verteidiger stimmte der Betroffene weder einem freiwilligen Atemalkoholtest noch der Durchführung einer Blutentnahme zu. Gegen 19.55 Uhr ordneten daher die Polizeibeamtendie Durchführung einer Blutentnahme an, ohne zuvor eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit der Blutentnahme einzuholen bzw. dies versucht zu haben.

Im Bezirk des Landgerichts Kempten existiert nach der regulären Dienstzeit von 17.00 Uhr bis 21.00 Uhreinrichterlicher Bereitschaftsdienst. Der jeweilige Bereitschaftsdienstrichter ist mit einem Mobiltelefon ausgestattet, deren Nummer den Polizeidienststellen im Bezirk bekannt ist.

Nachdem der Betroffene mit seinem Verteidiger telefoniert hatte, übernahm der Zeuge PHM R das Telefonat. Letzterer widersprach dabei der Blutentnahme, worauf der Zeuge antwortete: "Bei OWis sind wir die anordnende Behörde".

Nachdem die Polizeibeamten keine Arzt zur Durchführung der Blutentnahme erreichen konnten, fuhren sie mit diesem zum Krankenhaus in Z., wo gegen 20.16 Uhr die Blutentnahme durchgeführt wurde. Das Ergebnis der Blutalkoholuntersuchung ergab einen Mittelwert von 0,74 Promille.

Der Betroffene hat sich zu der ihm vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit nicht geäußert.

Die wie beschrieben gegen ihn erlangten und erhobenen Beweise unterliegen nach Ansicht des AG Kempten einem Beweisverwertungsverbot.

Weder der eine noch der andere mit der Durchführung der Ermittlungsmaßnahme befasste Beamte hatten auf Grund des Zeitablaufs seit der Anhaltung und des zu befürchten den Alkoholabbaus die Einholung einer richterlichen Entscheidung für erforderlich erachtet. Aus ihrer Sicht sei eindeutig "Gefahr-in-Verzug" vorgelegen.

Soweit in dem in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachten des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit vom 23.01.2012 eine Blutalkoholkonzentration des Betroffenen im Mittelwert von 0,74 Promille festgestellt wird, ist dieses Ergebnis deshalb unverwertbar.

Die dem Gutachten zu Grunde liegende Anordnung der Blutentnahme durch die Beamten war rechtswidrig. Der Betroffene hat nach Rücksprache mit seinem Verteidiger in die Durchführung der Blutentnahme nicht eingewilligt.

Nach § 81 a Abs. 2 StPO  i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG obliegt die Zuständigkeit für die Anordnung körperlicher Untersuchungen auch bei Ordnungswidrigkeiten primär dem Richter. Nur ausnahmsweise kann bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung ein körperlicher Eingriff wie hier die Durchführung einer Blutentnahme durch die Polizei als Verwaltungsbehörde angeordnet werden. "Gefahr-in-Verzug" war vorliegend entgegen der Einschätzung der Zeugen offensichtlich nicht gegeben. Allein die abstrakte Gefahr, dass durch den körpereigenen Alkoholabbau der Nachweis der Tatbegehung erschwert oder gar verhindert wird, reicht nicht für die Annahme einer Gefährdung des Untersuchungserfolges aus. Es ist vorliegend nicht nachvollziehbar, inwiefern durch die Einholung einer richterlichen Entscheidung der Untersuchungszweck hätte gefährdet werden können. Im Bezirk des Landgerichts ist ein richterlicher Eildienst für außerhalb der Dienstzeiten unaufschiebbare richterliche Tätigkeiten eingerichtet. Der jeweils zuständige Bereitschaftsdienstrichter ist mit einem Mobiltelefon ausgestattet. Die Mobilfunknummer des Bereitschaftrichters ist den im Bezirk des Landgerichts liegenden Polizeidienststellen bekannt, um richterliche Entscheidungen notfalls telefonisch/mündlich einholen zu können. Dies ergibt sich auch aus der Aussage des Zeugen wonach üblicherweise versucht werde, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Der richterliche Bereitschaftsdienst besteht an Wochentagen u.a. abends in der Zeit von 17.00 Uhr bis 21.00 Uhr. Zum Zeitpunkt der Anordnung der Blutentnahme wäre es den Beamten im vorliegenden Fall ohne weiteres möglich gewesen, ohne größeren Zeitverzug eine - auch mündlich mögliche - Entscheidung des Bereitschaftsdienstrichters einzuholen. Nach den Zeugenangaben verweigerte der Betroffene gegen 19.55 Uhr den Alkoholtest mittels des Dräger-Evidentials. Nach dem in der Hauptverhandlung verlesenen ärztlichen Bericht wurde die Blutentnahme um 20.16 Uhr durchgeführt. Ein Telefonat mit dem Bereitschaftsdienstrichter, in dem der vorliegend denkbar einfache Sachverhalt mitgeteilt und um eine Entscheidung nachgesucht wird, wäre innerhalb dieser Zeitspanne in nur wenigen Minuten zu führen gewesen und hätte vorliegend noch auf der Dienststelle, auf dem Weg zum Krankenhaus oder auch noch im Krankenhaus geführt werden können, nachdem sich der diensthabende Arzt zunächst weigerte die Blutentnahme durchzuführen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür und sind auch von den Beamten nicht dargelegt worden, dass eine richterliche Entscheidung von vornherein verweigert worden wäre. Angesichts der bestehenden Möglichkeiten, eine richterliche Entscheidung telefonisch zu erlangen, ist der Begriff "Gefahr in Verzug" eng auszulegen und auf solche Fälle zu beschränken, in denen nicht einmal der Versuch der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung abgewartet werden kann, z.B. in Fällen eines geltend gemachten Nachtrunks. Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch nicht gegeben. Für den Fall, dass die Beamten keinen Richter erreicht hätten oder dieser schriftliche Unterlagen für eine Entscheidung fordert, wäre es ihnen nach wie vor offen gestanden, selbst die Anordnung zu treffen. Vorliegend wurde aber gar kein entsprechender Versuch unternommen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen.

Die rechtswidrig entnommene Blutprobe unterliegt einem Beweisverwertungsverbot.

Zwar unterliegt nicht jedes Beweiserhebungsverbot einem Beweisverwertungsverbot. Bei der Prüfung der Frage, ob ein Verstoß gegen eine Beweiserhebungsvorschrift ein Beweis-verwertungsverbot nach sich zieht, ist jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden . Ein Beweisverwertungsverbot stellt die Ausnahme dar, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (so der Bundesgerichtshof, BGH). Nach dem für Fälle einer rechtswidrig gewonnenen Blutentnahme ein gesetzliches Beweisverwertungsverbot nicht existiert, kommt ein Beweisverwertungsverbot dann in Betracht, wenn sich die Maßnahme zusätzlich als (subjektiv oder objektiv) willkürlich oder als gezielte Umgehung oder Ignorierung des Richtervorbehalts oder als ein gleichgewichtiger sonstiger besonders schwerwiegender Fehler darstellt (OLG Bamberg, DAR 2011, S. 268-272). Vorliegend stellt sich bereits die Frage, ob seitens des Polizeibeamten zum Zeitpunkt der Blutentnahme nicht bereits eine bewusste Ignorierung des Richtervorbehalts vor lag.

Die Anordnung der Blutentnahme durch die Polizeibeamten stellt jedenfalls einen besonders schwerwiegender Fehler dar, weil sie auf einer groben Verkennung der Zuständigkeitsvorschriften beruht und ebenso schwer wiegt wie die willkürliche Umgehung/ Ignorierung des Richtervorbehalts.

Objektive Willkür liegt dann vor, wenn die Entscheidung, die der Beweiserhebungsmaßnahme zu Grunde liegt, unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und daher der Schluss nahe liegt, dass sie auf sachfremden willkürlichen Erwägungen beruht. So liegt der Fall hier. Zwar sieht das Gericht bei der vorzunehmenden Interessenabwägung durchaus, dass die Durchführung einer Blutentnahme lediglich eine geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit darstellt und auf der anderen Seite ein erhebliches öffentliche Interesse an der Abwendung von Gefahren besteht, die von alkoholisierten Kraftfahrzeugführern ausgeht. Dieses erhebliches öffentliches Interesse spiegelt sich in der scharfen Sanktionierung von alkoholisierten Kraftfahrzeugführen durch den Verordnungsgeber in der Bußgeldkatalogverordnung wieder. Auch waren die Eingriffsvoraussetzungen für die Durchführung der Blutentnahme zweifellos gegeben, so dass aller Voraussicht nach ein richterlicher Anordnungsbeschluss ergangen wäre. Allerdings ist der Vorrang des Richtervorbehalts auch bei der Durchführung von Blutentnahmen insbesondere seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.2007 (Az.: 2 BA 273/06) in einer Vielzahl von obergerichtlichen Entscheidungen hervorgehoben worden, wenngleich die Frage des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots unterschiedlich bewertet wird. Es ist jedenfalls durch die obergerichtliche Rechtsprechung hinlänglich geklärt, dass Polizeibeamte während Zeiten, in denen ein richterlicher Bereitschaftsdienst besteht jedenfalls versuchen müssen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Vorliegend wurde noch nicht einmal dieser Versuch unternommen.

Angesicht der mittlerweile klaren Rechtslage ist die Anordnung der Blutentnahme ohne Einholung einer richterlichen Entscheidung unter keinem Gesichtspunkt mehr rechtlich vertretbar. Auch wenn das strafrechtliche Ermittlungsverfahren bzw. vorliegend das Ordnungswidrigkeitsverfahren primär der Erforschung der Wahrheit dient, hat dies in einem geordneten Verfahren nach rechtsstaatlichen Grundsätzen abzulaufen. Mit diesen rechtsstaatlichen Grundsätzen ist es jedoch unvereinbar, wenn im Rahmen der Ermittlungen durch die Rechtsprechung ausreichend geklärte Rechtsfragen - hier der Vorrang des Richtervorbehalts- schlicht nicht beachtet werden. Das Primat der Wahrheitsfindung hat dann zurückzutreten.

Tipp: Betroffene sollten sich gegenüber der Polizei nicht äußern und konsequent von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen sowie nichts unterschreiben. Der Blutentnahme sollte ausdrücklich widersprochen werden. Es empfiehlt sich, so früh wie möglich einen in Verkehrsordnungswidrigkeiten bzw. Verkehrsstrafsachen erfahrenen Anwalt einzuschalten. Dieser kann Akteneinsicht nehmen und die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens überprüfen.    

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Der Beitrag gibt das Urteil des AG Kempten v. 12.07.2012 - 25 OWi 144 Js 4384/12 wieder (Veröffentlicht unter Burhoff.online)

Der Verfasser, Rechtsanwalt Christian Demuth, ist auf die Verteidigung von Menschen in Verkehrsstraf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren spezialisiert - bundesweit. Nähere Infos unter: www.cd-recht.de